Aya hat recht. Wir müssen mit den Behörden sprechen. Aber hier lokal ist mir das zu unsicher. Ich schlage deshalb vor, wir nehmen mit Berlin Kontakt auf.«
»Mit der Regierung?«, fragt Paul. »Wen willst du denn da anrufen? Ich weiß, du kennst eine Menge Leute, aber das sind doch alles Politiker. Denen kann man in dieser Sache nicht trauen.«
»Stimmt.«, entgegnet Sam trocken. »Mit denen zu sprechen, wäre mir aber auch nicht im Traum eingefallen. Ich hatte eher daran gedacht, unsere guten Kontakte zur Cyberterror-Abwehr auszunutzen.«
***
Sam und seine Freunde brauchen fast zwei Tage, um eine Verbindung herzustellen. Schließlich treffen sie sich im Holovers mit einem Agenten Namens ProxyClobber. Sie alle sitzen auf der Veranda einer kleinen Strandbar an einem karibischen Strand. Klassisch, mit schneeweißem Sand und der obligatorischen Palme, die erst waagrecht aus dem Boden wächst, um dann über dem Wasser in die Höhe zu schießen. Ein lauer Wind vom Meer weht Brandungsgeräusche zu ihrem Plätzchen hoch.
»Natürlich können wir Leute mit euren Fähigkeiten hier brauchen.«, lässt sich ProxyClobber aus, der im wirklichen Leben Werner Hofer heißt. Seine Leutseligkeit passt zur Urlaubsstimmung. Mit der Sonnenbrille, den Shorts und dem roten Hawaiihemd reiht er sich in der Touristenmasse ein, die so auffällig unangepasst ist, dass man sie freiwillig gerne ignoriert. Genau das möchte er als Geheimdienstler. Nur hier am Strand ist er der einzige Tourist und sticht somit heraus wie ein bunter Papagei unter Krähen. »Hier hat sich seit dem EMP einiges verändert. Am Anfang war alles Chaos, aber mit Hilfe der ANEBs haben wir die Lage schnell unter Kontrolle bekommen.«
Seine Begeisterung scheint keine Grenzen zu kennen.
»Ich sage euch, es ist unglaublich, wie effizient diese Programme sind, wenn man sie lässt. Das hätten wir schon viel früher machen sollen. All das Getue mit Demokratie, Diskussion im Parlament und Politiker entscheiden lassen, kostet nur Zeit und macht das Regieren ineffizient. Jetzt werden die Beschlüsse von den ANEBs gemacht und auch gleich umgesetzt. Das hat weltweit Milliarden Menschen das Leben gerettet.«
»Die ANEBs treffen jetzt die Entscheidungen?«, fragt Phire ungläubig.
»Ja. Die Programme haben direkten Zugang zu allen Daten, die irgendwo auf der Welt gespeichert sind oder gerade gesammelt werden. Und was nicht automatisch erfasst wird, geben wir per Hand ein. Aber das ist sehr wenig.«
Arnold wirft ProxyClobber einen grimmigen Blick zu.
»Das heißt ja, es gibt überhaupt keinen Datenschutz mehr.«
»Das ist auch gar nicht mehr nötig!«, erwidert der Agent unbekümmert. »Die Daten bekommen doch sowieso nur noch Computer zu sehen, da die Entscheidungen nicht mehr von Menschen nachvollzogen werden müssen.«
»Ah ja.«, sagt Cyclone trocken. »Und die Demokratie habt ihr gleich mit abgeschafft!«
»Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Ohne die ANEBs würde immer noch Chaos herrschen. Gut, ich gebe zu, es waren ein paar Umstrukturierungen nötig. Wir arbeiten jetzt alle zusammen, um die Befehle der ANEBs möglichst effizient durchzuführen.«
»Befehle?«, fragt Zero. »Du meinst wohl Empfehlungen.«
Ohne eine Antwort von ProxyClobber abzuwarten, stellt Arnold eine weitere Frage. »Wer ist wir?«
»Na, wir alle.«, erwidert ProxyClobber. »Die Politiker, die Parteien, Beamte, Militär, Polizei, Richter, Geheimdienste, Ministerien, Behörden und so weiter und so weiter.«
Dann wechselt er unvermittelt das Thema.
»Ihr müsst nach Berlin kommen. Ich sagte schon, dass wir Leute mit euren Fähigkeiten brauchen. Ich bin mir sicher, es wird euch hier gefallen. Der Bunker ist doch so abgelegen, da wollt ihr ganz bestimmt nicht bleiben. Wir werden euch in zwei Tagen abholen und in die Hauptstadt bringen. Bis dahin habt ihr Zeit eure Sachen zu packen und euch reisefertig zu machen.«
Cyclone ist beunruhigt, aber jetzt ist die Katze schon aus dem Sack. ProxyClobber weiß von ihrer letzten Begegnung her wo ihr Bunker ist und mit diesem Treffen ist nun auch bekannt, dass sie noch am Leben sind. Egal, was sie versuchen, der Geheimdienstchef lässt sich nicht umstimmen. Nicht einmal die Abholung können sie um ein paar Tage verschieben.
Während der folgenden zwei Tage packen sie ihre Sachen und treffen Vorbereitungen, den Bunker zu verlassen. Die Stimmung ist gemischt. Vor allem Vilca und Urs freuen sich darauf nach Berlin zu kommen. Sie haben genug von den Beschränkungen des Bunkers. Sam und Aya sehen die Sache kritisch. Paul geht es vor allem darum, möglichst viel von ihren Vorräten in Sicherheit zu bringen. Er findet in Urs einen Verbündeten. Ihr Versuch, wenigstens einen Teil davon in der Nähe zu vergraben, scheitert an der Effizienz ihrer Werkzeuge.
Am frühen Morgen des dritten Tages trifft das Abholkommando ein. Es besteht aus einem Militärkonvoi mit mehreren LKWs, Begleitfahrzeugen und einer Hundertschaft Soldaten. Sogar zwei Panzer haben sie dabei.
»Wie bitte?«, fragt Sam den Major, der den Konvoi anführt. »Sie wollen meinen Bunker besetzen, um ihn als Militärstützpunkt zu benützen?«
»Genau! Der Bunker ist hiermit beschlagnahmt.«, erwidert der Offizier befehlsgewohnt. »Er ist jetzt Eigentum der Armee der Vereinigten Staaten von Europa.«
Sam verschlägt es die Sprache. Bevor jemand Urs zurückhalten kann, legt der los.
»Moment mal. Was geht hier vor sich? Sie können hier nicht einfach das Privateigentum von Bürgern beschlagnahmen. Das ist gegen jedes Gesetz. So war das nicht abgemacht. Ich möchte auf der Stelle Ihren Vorgesetzten sprechen.«
Der Major lässt sich nicht beeindrucken.
»Die Gesetze, die Sie meinen, gelten nicht mehr. Wir haben Ausnahmezustand. Die Armee kann jederzeit und überall beschlagnahmen, was wir für notwendig erachten, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Und im Falle dieses Bunkers halten wir es für notwendig. Sie können gerne meinen Vorgesetzten sprechen. Wenn Sie in Berlin sind.«
Man kann zusehen, wie Urs zu kochen beginnt.
»Nein, ich möchte ihn sofort sprechen. Bevor wir ihn nicht gesprochen haben, gehen wir hier nicht weg.«, poltert Urs nur mühsam beherrscht los.
»Ich habe Anweisung, Sie unverzüglich nach Berlin zu bringen. Entweder Sie verlassen den Bunker freiwillig und kommen als unsere Gäste mit oder als unsere Gefangenen. Mir ist das egal.«
Um den Worten ihres Vorgesetzten Nachdruck zu verleihen, greifen die Soldaten demonstrativ nach ihren Waffen und entsichern sie. Aya hat ihren Freund die ganze Zeit über beobachtet. Sie weiß, wann er kurz vor der Explosion steht. In so einer Situation kann Urs sehr wohl durchschlagende Argumente vorbringen, aber selbst wenn sie die zwanzig Soldaten im Gemeinschaftsraum hier unten überwältigen, warten oben immer noch die restlichen achtzig. Deshalb legt sie ihm entschlossen die Hand auf den Arm und schüttelt energisch den Kopf, um ihn daran zu hindern, etwas Dummes zu tun.
»Lass gut sein Urs.«, beschwichtigt Sam. »Es hat keinen Zweck, mit diesen Befehlsempfängern zu diskutieren. Wir werden das in Berlin klären.«
Dann wendet er sich an den Major. Bevor er spricht, mustert er ihn demonstrativ von oben bis unten. Der Offizier hat breite Schultern, ist durchtrainiert, ein paar Zentimeter größer als Sam und trägt eine Uniform mit Tarnmuster. Seine kurzgeschorenen Haare sind mit einem grünen Barett bedeckt.
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