Einer der Helfer hatte gleich die Polizei verständigt, binnen kürzester Zeit vor Ort war. Das Martinshorn des Krankenwagens war schon aus der Ferne zu hören. Die Polizisten nahmen die Daten am Unfallort auf.
Maren und ihre Eltern wurden von den Sanitätern untersucht und trotz der Hitze in eine Rettungsfolie gewickelt. Es grenzte an ein Wunder, dass keine ernsthaften Verletzungen bei den Försters sowie den beiden Unfallverursachern festgestellt wurden. Somit konnte der Krankenwagen schnell wieder abfahren.
Die beiden jungen Männer, die nicht älter als achtzehn Jahre zu sein schienen, standen bedröppelt und schuldbewusst mit den Händen in den Hosentaschen am Straßenrand.
Der junge Fahrer hatte an diesem Tag seine Führerscheinprüfung bestanden und zusammen mit seinem Freund die bestandene Prüfung mit einer Spritztour nach Österreich feiern wollen.
Bei dieser Fahrt hatten die beiden mal so richtig Gummi geben und ihre neue Freiheit ausleben wollen. Diese Fahrt würde ihm nun bestimmt für immer im Gedächtnis bleiben.
Maren machte mit ihrem Smartphone wieder Fotos für die Versicherung. Das wird ja ein besonders schönes Fotoalbum , dachte sie Maren. Sie setzte sich zu ihrer Mutter, die hinter der Leitplanke auf der Berme saß und langsam wieder ihre Fassung zurückerlang. Das Medikament schien zu wirken. Maren legte den Arm um ihre Mutter.
Kurt Förster war im Gespräch mit dem Polizeibeamten vertieft, als der Abschleppwagen an dem Unfallort eintraf.
„Wir bringen Ihr Auto jetzt in eine Werkstatt hier in der Nähe und Sie in eine Pension“, sagte ein Polizist zu Kurt. „Da können Sie sich von dem Schreck erholen. Die Schuldfrage ist eindeutig. Die beiden jungen Männer im anderen Fahrzeug waren zu schnell und haben nicht aufgepasst. Die beiden können jetzt selber sehen, wie sie ihr Auto von der Fahrbahn bekommen. Montag wird sich der Sachverständige Ihr Auto ansehen. Aber so, wie ich das sehe, ist das ein Totalschaden.“
„Totalschaden?“ Kurt Förster sah vom Polizisten zu seinem Fahrzeug, und sein Gesicht wurde aschfahl. Er griff sich ans Herz. „Mein schönes Auto! Mein schönes Auto.“ Mehr konnte er gerade nicht mehr sagen.
Die Försters stiegen in das Polizeifahrzeug ein und wurden, wie versprochen, in eine Pension gebracht. Es ging wieder zurück über die Inntal-Autobahn in Richtung Deutschland.
Die Pension war im idyllisch gelegenen Örtchen Nußdorf. Das Polizeiauto hielt vor einem weißen, gepflegten Haus mit einem großen Balkon, der sich über die ganze Frontseite erstreckte. Über der Brüstung des Balkons ergossen sich üppige Geranienpflanzen.
„Das Gästehaus Nußdorf gehört einer Freundin meiner Schwägerin. Hier können Sie sich von dem Schock erstmal erholen. Die beiden werden sich gut um Sie kümmern, da bin ich mir sicher. Das Gasthaus ist auch nicht weit. Sehr gute Küche. Hier ist die Adresse, wo wir Ihr Fahrzeug hingebracht haben.“
Der freundliche Polizist übergab Maren einen Zettel. Fischbacher Reparaturwerkstatt, Brannenburger Straße , stand drauf.
„Nachher bringen Ihnen die Jungs von der Werkstatt Ihre Koffer.“
„Vielen Dank für Ihre Mühe“, bedankte sich Maren. „Sie haben uns sehr geholfen.“
„Keine Ursache, das ist unser Job. Ah, da kommt ja auch schon die Wirtin.“
Nachdem er die Wirtin begrüßt und ihr alles über die plötzliche Notlage erklärt hatte, verabschiedete er sich von allen mit einem kurzen Tippen an seine Mütze und fuhr mit seinem Kollegen zum nächsten Einsatz.
„Herzlich willkommen im Gästehaus Nußdorf. Ich bin Frau Gruber. Aber kommen Sie erstmal ins Haus, und ich zeige Ihnen Ihre Zimmer. Dann können Sie sich ausruhen und sich von dem fürchterlichen Schreck erholen. Das muss ja ein schreckliches Erlebnis für Sie gewesen sein!“
Nach dem Bezug der Zimmer ruhten sich Marens Eltern aus. Dieser Unfall, der tragisch hätte enden können, hatte beide mehr mitgenommen, als sie zugeben wollten.
Maren hingegen war zu aufgekratzt, um jetzt zu schlafen. Zu viel Adrenalin war noch in ihren Adern, als dass sie jetzt schlafen könnte. Sie schnappte sich ihren eBook-Reader und ihr Smartphone und setzte sich auf die Bank der Polyrattan-Outdoor-Möbel im Schatten vor dem Haus.
Sie hatte es sich gerade gemütlich gemacht, da kam die Wirtin aus dem Haus. „Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen? Und ein Stück Kuchen habe ich auch noch für Sie.“
„Ja, gern! Kaffee wäre jetzt wunderbar“, antwortete Maren.
„Kommt sofort.“ Die Wirtin verschwand mit einem zufriedenen Lächeln ins Haus, als Marens Smartphone erneut eine Zwitscher-Melodie verlauten ließ. Es war, wie konnte es auch anders sein, eine Nachricht von Thomas.
„Ganz bestimmt nicht!“, murmelte Maren. „Da kannst du warten, bis du schwarz wirst.“
In Wirklichkeit hatte Maren Angst, die Nachrichten von Thomas zu öffnen. Angst vor neuen Enttäuschungen. Angst vor der Aussprache. Angst vor Vorwürfen. Vielleicht war sie an diesem Dilemma auch selber schuld. Immerhin hatte sie in der letzten Zeit wenig Zeit für Thomas gehabt, weil sie sich mehr für ihren Job eingesetzt hatte.
Aber diese angebotene Chance hatte sie sich doch nicht entgehen lassen können! Ja, sie hatte vielleicht mit dem Rauswurf aus ihrer Wohnung übertrieben reagiert. Ihre Nerven waren schließlich mit ihr durchgegangen. Wer wusste, wie lange das schon mit der Blonden ging. War sie die Einzige, mit der er sie betrogen hatte? Oder waren da noch mehr? Maren wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Jedenfalls nicht jetzt.
Zwitscher, Zwitscher – wieder eine Nachricht von Thomas.
Wenn er mir so oft schreibt, ist es vielleicht wichtig , dachte sich Maren. Vielleicht bereut er, was er getan hat, und möchte sich mit mir versöhnen .
Nein , ermahnte sich Maren. Nicht heute. Dieser Blödmann kann mir gestohlen bleiben!
Ihr Handy klingelte erneut. Maren wollte es gerade genervt ausschalten, als sie den Namen ihrer Freundin las.
„Carmen!“, rief sie erfreut ins Telefon. „Ach, Carmen, schön, dass du dich meldest. Ich brauche dringend jemanden, mit dem ich reden kann.“
„Was ist denn los? Bist du krank? Hat deinem Chef die Präsentation nicht gefallen?“, fragte Carmen besorgt.
„Nein, ich bin nicht krank und meine Präsentation ist super verlaufen, ich bin sogar befördert worden. Danke übrigens noch mal für deine hilfreichen Tipps.“ Maren merkte, wie sich ihre Augen mit Wasser füllten und sich ihr Hals zuschnürte. Sie versuchte aber, ihre Tränen tapfer zurückzuhalten.
„Gern geschehen. Dann ist ja alles gut. Ich dachte schon, es wäre was passiert, als ich heute Nachmittag deinen Anruf auf meinem AB von letzter Nacht gesehen habe. Wir sind ja eben erst von der Ostsee zurückgekommen. Du, das war super schön. Das Hotel war einfach traumhaft. Rüdiger und ich haben so viel Schönes unternommen. Es war so romantisch. Maren? Du sagst ja gar nichts. Alles okay bei dir?“
Maren wurde es immer schwerer ums Herz. Sie freute sich natürlich für ihre Freundin, aber je mehr Carmen ins Schwärmen geriet und von ihrem Glück erzählte, desto mehr kam die Erinnerung daran zurück, dass sie jetzt eigentlich mit ihrer großen Liebe, Thomas, in ihrem Hotel in der Provence sein und auch romantische Tage verbringen sollte, so wie sie es sich vorgestellt hatte. Stattdessen war sie in einem katastrophalen Noturlaub mit ihren Eltern in diesem Kaff Nußdorf gestrandet.
„Nix ist okay!“ Tränen liefen ihr heiß über die Wangen. Sie war es leid, gegen sie anzukämpfen. „Gar nix ist okay. „Thomas hat mich betrogen. Ich habe ihn gestern in flagranti erwischt. Carmen, ich wurde noch nie so gedemütigt.“
„So ein Scheißkerl!“, rief Carmen wütend aus dem Lautsprecher des Handys. „Brauchst du Hilfe, ihn rauszuschmeißen? Ich komme sofort, Süße. Rüdiger und ich helfen dir, ihn an die Luft zu setzen.“
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