Sofort schossen Maren wieder die Bilder des Nachmittags durch den Kopf, und sie verzog angeekelt das Gesicht. Sie ging zum Bett und zog sämtliche Bezüge ab. Maren wollte auf keinen Fall darin schlafen, wenn noch das billige Parfüm der Frau, die mit Thomas hier drin gelegen hatte, auf der Bettwäsche zu riechen war.
Sie nahm alles zusammen und humpelte mit dem Knäuel zur Waschmaschine ins Badezimmer. Während Maren die Wäsche in die Waschtrommel stopfte, kam ihr der Gedanke, dass diese Bettwäsche sie immer an diese Tragödie erinnern würde. Der Schmerz würde niemals vergehen, egal, wie oft sie sie auch durch die Maschine jagte.
Maren zog alles wieder aus der Waschmaschine, ging mit der Bettwäsche beladen in die Küche und stopfte alles in einen Müllbeutel. Danach warf sie den Beutel in den Müllschlucker. Marens Magen krampfte sich zusammen. Ihr war speiübel.
„Ich muss was essen“, murmelte Maren. Das Display der Küchenuhr zeigte 23:45 Uhr an. Seit dem Mittagessen hatte sie nichts mehr gegessen. Mit zwei Kühlpacks, die sie sich aus dem Gefrierfach mitnahm, humpelte sie ins Schlafzimmer, wo sie die Champagner-Flasche und die jetzt nicht mehr so formschönen Creme-Törtchen einsammelte und sich ins Wohnzimmer verkroch. Dabei trat sie auf ihren abgebrochenen Absatz.
„Aua, verdammt noch mal!“, rief Maren laut ihren Ärger heraus. Völlig erschöpft ließ sie sich aufs Sofa plumpsen. Sofort machte sie sich über die Törtchen her und spülte ihren Herzschmerz mit dem Champagner, den sie direkt aus der Flasche trank, herunter. Der Alkohol tat ihr gut, wie die Kühlpacks ihren geschundenen Knöcheln.
Nachdem Maren ihre ‚Mitbringsel für einen schönen Kuschelnachmittag zu zweit‘ vertilgt hatte, hatte sie das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Vom Champagner beseelt, rief sie bei ihrer besten Freundin Carmen an.
Mit Carmen war Maren schon seit der Schulzeit befreundet und seitdem durch dick und dünn gegangen. Zusammen hatten sie so manchen Teenie-Frust, sei es mit den Eltern oder den Lehrern, oder so manchen Liebeskummer geteilt und sich gegenseitig darüber hinweggetröstet. Sie konnten zusammen shoppen, auf Partys gehen und feiern oder sich alles anvertrauen, was ihnen auf der Seele lag. So, wie es eben nur mit einer Seelenverwandten möglich war.
Maren wählte Carmens Nummer. Es klackerte im Telefon, die Verbindung wurde hergestellt. Es tutete einmal, zweimal, dreimal.
„Geh schon ran, Carmen“, flehte Maren. Beim fünften Tuten sprang der Anrufbeantworter an.
„Ene, meine, miste, sprech mir auf die Kiste, ene mene meck, denn die Carmen, die ist weg!“ … Piep.
Enttäuscht drückte Maren das Symbol mit dem roten Telefonhörer, um das Gespräch zu beenden. Jetzt fiel es ihr auch wieder ein. Carmen war mit ihrem Freund im Urlaub. Diese plötzliche Erinnerung versetzte ihr einen kleinen Stich. Sie gönnte ihrer Freundin von Herzen diese Beziehung. Aber gerade jetzt hätte Carmen sie gebraucht und war für einen Moment eifersüchtig auf ihren Freund Rüdiger.
Wen könnte ich jetzt noch anrufen? Kira vielleicht! Ach nein, Kiras Kinder könnten aufwachen, es ist ja schon spät , dachte Maren. Es gab nur noch eine Möglichkeit: Mama!
Marens Eltern hatten immer ein offenes Ohr für ihre Tochter, und sie konnte in jeder Lebenslage immer auf sie zählen. Dies war eindeutig ein Notfall.
Maren wählte die vertraute Rufnummer. Nach dem dritten Klingeln meldete sich Marens Mutter.
„Förster?!“
In ihrer vertrauten Stimme konnte Maren Schläfrigkeit sowie Aufregung hören. Immerhin war es schon spät – oder sehr früh? Maren wusste es nicht. Sie war nur froh, ihre Stimme zu hören.
„Mama, ich bin’s!“, presste Maren hervor, ehe sie schluchzte.
„Maren? Kind! Was ist los? Hattet ihr einen Unfall? Geht es dir nicht gut? Maren, so sag doch was!“
Maren konnte nichts sagen. Sie konnte nur weinen.
Frau Förster versuchte vergeblich, ihren Fragenkatalog abzuspulen, doch es half nichts. Schließlicht sagte sie zu ihrem Mann: „Kurt, mit dem Kind stimmt irgendwas nicht. Da ist irgendwas passiert!“
Als Maren aufwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. In ihrem Kopf spielten mehrere Schlagzeuge ein Battle gegeneinander. Es pochte in den Schläfen und in ihrem Hinterkopf. Ihre Zunge klebte ihr am Gaumen fest. In ihrer Magengegend hatte sie ein unwohles Gefühl.
Eine Flasche Champagner und vier Sahnetörtchen sind wohl keine gute Kombi , dachte Maren gerade, als sie Geräusche hörte, die eindeutig von der Eingangstür stammten. Irgendjemand machte sich an ihr zu schaffen.
Thomas! , schoss es Maren durch den Kopf. Mist, sie war ja auch so blöd gewesen und hatte ihm seine Schlüssel hinterher geschmissen. Gerade jetzt, wo sie in ihrem Elend so manövrierunfähig war, wollte sie nicht, dass Thomas sie so sah. Diesen Triumph gönnte sie ihm nicht. Der letzte Rest von ihrem Stolz brachte sie dazu, aufzustehen, um dem Unvermeidlichen entgegenzutreten. Maren schnappte sich die leere Champagnerflasche. Sie schaffte es, voller Würde bis in den Flur zu humpeln, da schwang die Tür auf. Die Flasche hielt sie wie einen Baseballschläger in die Höhe.
Thomas stand nicht im Türrahmen. Er war tatsächlich nicht zurückgekommen. Teils sichtlich erfreut, teils maßlos enttäuscht, sah sie in die Gesichter ihrer Eltern.
„Maren!“, rief ihre Mutter.
„Mama? Papa? Was macht ihr denn hier?“
„Geht es dir gut? Was ist passiert? Wo ist Thomas? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht! Du rufst normalerweise nicht morgens um halb drei bei uns an und weinst“, entgegnete Frau Förster.
„Oh“, sagte Maren betroffen. „Ich wollte euch nicht beunruhigen. Nur … es ist … Ich brauche jemand zum Reden, weil …“
Weiter kam Maren nicht, denn da hatte ihre Mutter sie schon in den Arm genommen und die Tränen übernahmen wieder die Kontrolle über sie.
„Ach, Kind, nun sind wir ja da, und kannst uns erzählen, was passiert ist“, sagte Frau Förster mit tröstender Stimme und schob ihre Tochter behutsam in Richtung Wohnzimmer.
„Ich mach dann mal Kaffee, ich glaube, den können wir jetzt alle gut gebrauchen“, sagte Papa Förster, ehe er in der Küche verschwand und den Kampf mit dem modernen Kaffeeautomaten aufnahm.
„So eine Gemeinheit hätte ich ihm nicht zugetraut!“, schniefte Maren in den Armen ihrer Mutter, nachdem sie ihr furchtbares Erlebnis vom Vortag erzählt hatte. „Ausgerechnet am letzten Arbeitstag vor unserem Sommerurlaub tut er mir das an. Wer weiß, wie lange das schon geht mit dieser … dieser … blöden Kuh. Heute wollten wir in dieses romantische Hotel in die Provence reisen. Ich hatte mir das so schön vorgestellt im Domaine de Bournereau. Und ich Idiotin habe gehofft, er würde mir dort endlich einen Heiratsantrag machen.“ Es tat Maren gut, sich endlich alles von der Seele zu reden. Schon früher hatte sie mit ihren Eltern über alles reden können. Sie hatten immer eine Lösung parat, auch wenn es nicht immer die beste war. Dennoch waren sie stets um das Wohl ihrer Tochter bemüht.
„Ach, Kind“, seufzte Marens Mutter und strich ihr mitfühlend über den Rücken.
„Wenn ich diesen Thomas in die Finger bekomme, dann kann der aber was erleben“, brummte Herr Förster. „So eine Kanaille. Kann nicht mal einen Nagel in die Wand hauen und dann so was. Ich hätte mir ja schon denken können, dass der was auf dem Kerbholz hat.“
„Kurt, lass gut sein. Es bringt Maren auch nicht weiter, wenn du Thomas schlecht machst“, lenkte Frau Förster in die Schimpftirade ihres Mannes ein. Wenn es um seine Familie ging, insbesondere um sein ‚kleines Mädchen‘, konnte ihn nichts stoppen. „Lass uns jetzt lieber überlegen, wie es weitergeht.“
Читать дальше