Die Küche steht im Einklang mit dem Übrigen. - Sage mir, wie du isst und ich sage dir, was du bist.
Man muss über drei wesentliche Fähigkeiten verfügen, um den Restaurants und dem Tables d'h ô te trotzen zu können:
Keine Skrupel im Bezug auf Sauberkeit, eine Engelsgeduld und ein Magen, gepanzert wie ein Kriegsschiff.
Es sieht so aus, als ob alle Giftmischer sich in Preußen ein Stelldichein gegeben hätten, um weiter ungestraft ihr Handwerk ausüben zu können.
Das Abendessen beginnt mit einer Biersuppe, dann folgt Rindfleisch mit Pflaumenkompott, dann wird eine Folge von Ragouts mit rotem Pfeffer serviert, worin man Gemüsereste und Reste von Hühnerknochen entdeckt. Der übliche Kalbsbraten schwimmt in einer tintenschwarzen Soße; auch Rehbraten mit Orangen, gemischt mit Erbsen, wird angeboten. Der Fisch, zusammen mit hartem, bajonettähnlichem Spargel, erscheint erst vor dem Nachtisch. Es gehört zum guten Ton, ihn nicht wie in Frankreich zu verzehren, sondern ihn klein zu hacken.
Der Hotelchef steht der Tafel vor. Nachdem er die Suppe serviert hat, nimmt er am oberen Ende Platz und versäumt niemals, die besten Weine seiner Keller zu probieren, um ein gutes Beispiel zu geben. Währenddessen isst seine Frau zusammen mit der Dienerschaft in der Küche ...«
Auch Heinrich Heine hat hinsichtlich des Benehmens der Berliner an öffentlichen Buffets seine Zweifel.
»Wenn ich nicht den festen Glauben in der Brust trüge, dass die Berliner Muster von Bildung und Betragen sind und mit Recht auf die Ungeschliffenheit meiner Landsleute verächtlich herabschauten, wenn ich mich nicht bei vielen Gelegenheiten überzeugt hätte, dass der poverste Berliner es im anständigen Hungerleiden sehr weit gebracht hat, und meisterhaft darauf eingeübt ist, den schreienden Magen in die Formen vornehmer Konvenienz einzuzwängen, so hätte ich von den Leuten hier sehr leicht eine ungünstige Meinung fassen können, als ich bei dieser Freiredoute sah, wie sie das Büffet sechs Mann hoch umdrängten, sich Glas nach Glas in den Schlund gossen, sich den Magen mit Kuchen anstopften, und das alles mit einer ungraziösen Gefräßigkeit und heroischen Beharrlichkeit, dass es einem ordentlichen Menschenkinde fast unmöglich war, jene Büffetphalanx zu durchbrechen, um, bei der Schwüle, die in dem Saale herrschte, mit einem Glas Limonade die Zunge zu kühlen ...«
Auch das ist uns heute nicht unvertraut, es nennt sich die »Schlacht am kalten Buffet«, und Heines bildhafte Darstellung könnte durchaus in unser endendes 20. Jahrhundert passen.
Wenn Heine allerdings auf die Konditoreien Berlins zu sprechen kommt, erklingen Lobpreisungen und Begeisterung - doch davon später.
Die Speisehäuser Berlins sind zu dieser Zeit schon sehr verschiedener Art.
Unter den Linden, den ersten Restaurants am Platze, zeigen sich die Dandys, sie zahlen den Wert ihrer Würde und nicht die Qualität des gebotenen Essens. Das Mittagessen ist gewissermaßen das Vorspiel zum Abendbrot.
Künstler und Wissenschaftler haben ihren eigenen Tagesrhythmus, und der beginnt mit einem Frühstück um 12 Uhr und einer Mahlzeit gegen 17/18 Uhr. Dann hat das Mittagsmahl den Tag beendet und der Abend ist frei.
Die Ärmeren zwingt der Broterwerb, den alten Tageseinteilungen nachzugehen, sie essen Mittag um die Mittagsstunde und haben eine Abendmahlzeit, wie sie es vermögen.
Sie bevorzugen die billigen »Speiseanstalten«, die es in den entlegeneren Straßen von Berlin gibt oder auch in den Kellerwohnungen, wo gegen Pfennige ein mehr oder minder schlechtes Essen zu bekommen ist. Die Teller sind runde Vertiefungen des Tisches, die Messer und Gabeln hängen an Drahtketten, die am Tisch befestigt sind. Das Essen verteilt der Wirt je nach geforderter und bezahlter Preisklasse.
Es gibt auch Speisestätten in denen nicht das Essen, sondern die Essenszeit berechnet wird. Das Essen kam kochend auf die Teller, und wer nicht Essenszeit nachzahlen wollte, verbrannte sich den Mund.
Auch ein Lotterieessen wurde gehandhabt. Für einen gewissen Preis durften die Gäste mit der Gabel in einer großen Schüssel nach Fleischbrocken fischen. Fingen sie einen, war es ein billiges Mahl, gelang es ihnen nicht, so mussten sie von neuem Geld einsetzen, wenn es dazu noch reichte. Im Vergleich ist das kulinarische Profil unserer Stadt eher grob, gemessen an den Pastamenüs der italienischen Küche oder der Suppenkultur Frankreichs.
Die Franzosen haben den Begriff der »Cuisine Berlinoise« geprägt und meinen damit konkret das Pökeln des Fleisches, das in ihren Augen dann verdorben ist.
Aber gerade das gepökelte Fleisch machte den Fleischer Cassel aus Berlin berühmt, denn ihm ist die Erfindung des Kasselers zu verdanken. Und wenn heutzutage »gespickte Gansbrüstchen« auf der Speisekarte stehen, so ist deren delikater Geschmack vor allem dem Pökeln und dem Räuchern zu verdanken.
Die Statistiker zählen heute etwa 5000 »Bewirtungsstätten« in Berlin, aber 7000 Kneipen, und die haben ihren eigenen, vielfach bescheidenen Küchenzettel.
Aber unter all diesen Etablissements sind 90 Nationen vertreten, und es heißt im Allgemeinen: Das Alt-Berliner Flair nimmt zu.
Und das ist wieder typisch für Berlin: Es besinnt sich auf sich selber, denn die Berliner mögen sich! Aber diese Liebe zu sich selbst hat auch Platz für andere. Das hat Tradition. 1661 warb der Große Kurfürst schon um die Niederländer und erlässt ein Edikt, dem vor allem niederländische Gärtner und Landwirte folgen. Das Edikt verspricht diesen Neusiedlern sechsjährige Befreiung von allen Steuern und sonstigen Lasten, stellt ihnen unentgeltlich Baustellen zur Verfügung und Bauholz zum halben Preis. 1669 verspricht das kurfürstliche Einwanderungsedikt allen Zugewanderten die kostenlose Erteilung des Bürgerrechts und des Meisterrechts.
Nach der Ausweisung der Juden aus Österreich gestattet der Kurfürst Friedrich Wilhelm etwa 50 jüdischen Familien, »sofern es reiche, wohlhabende Leute wären, welche ihre Mittel ins Land bringen und hier anlegen wollen«, für ein jährliches Schutzgeld von 8 Talern pro Familie, die Ansiedlung.
So kommen wieder Juden nach Berlin, um 1700 sind es dann auch schon 117 Familien, die hier ihren Wohnsitz nehmen.
Den niederländischen, jüdischen und französischen Einwanderern, Letztere wegen ihres calvinistischen Glaubens in Frankreich verfolgt, fanden in Berlin und Brandenburg Aufnahme, folgten Neusiedler aus Piemont (Italien), der Schweiz und den wallonischen Gebieten, Böhmen, der Pfalz, Sachsen usf.. Wen wundert es da, dass heutzutage 90 Nationen dieser Welt ihren Fuß über die Berliner Stadtschwelle getan haben.
Berlin ist fürs Fremde gemacht, denn es ist »allet dem Berliner sein eijen«.
Und so ist es wohl auch mit der Küche bestellt, sie ist international und doch berlinisch. Sie hat sich alles zurechtgebogen und wo nicht, lässt sie es, wie es ist, es passt doch immer ins Programm. Oberflächlich betrachtet, ist sie erst einmal eine sehr eigene Mischung mit viel Fleisch.
Lothar Kusches Kellner Willi sieht sie aus der Sicht des Fachmannes so:
»Die eigentliche berlinische Küche besteht, soweit sie in Kneipen verabfolgt wird, hauptsächlich aus Eisbein mit Sauerkohl, Erbspüree und Kartoffeln sowie aus Erbspüree, Kartoffeln, Sauerkraut und Eisbein.
Das Eisbein wird im Allgemeinen nach Gewicht berechnet, was an und für sich bedeutet: je dicker der Knochen, um so höher der Preis. Ferner werden in Berlin täglich schätzungsweise zig Millionen Bock- und Currywürste mehr oder weniger erhitzt mit großzügigen Mengen Mostrich (so nennt man hier den Senf) den hungrigen Kneipenbesuchern als Beilage zum Bier dargeboten.
Früher stand auf den meisten Theken ein Glaskasten, der unter anderem hart gekochte und denn in Salzwasser eingelegte Eier, sogenannte Sol-Eier, sowie Buletten, Rollmöpse, saure Gurken und dergleichen enthielt.
Читать дальше