Das war ein Paradebeispiel. Für das, was kommen sollte, mag die Anführung dieses Beispiels genügen. Der von Musik so gut wie keine Ahnung habende Wilhelm Pinder pflichtet N bei, der fachlich weit mehr als N beschlagene Gustav Krug war anderer Meinung, - genau so wird die Publikumsverteilung sich im Verhalten zu N in der Zukunft gestalten. Je weniger jemand aus eigener Erfahrung wusste, umso leichter war er von Ns Argumentationsstrategie zu „überzeugen“, zu verführen und um den Finger zu wickeln.
Mitte Januar 1861 schrieb N an die Mutter in Naumburg:
Liebe Mamma! Ich habe Deinen lieben Brief erhalten und danke dir viele Mal dafür ….. Ich befinde mich diese Tage recht unwohl, weiß aber nicht, woher es kommt. Ich habe beständige Kopfschmerzen; der ganze Kopf ist mir davon eingenommen; dann tut mir [auch noch] der Hals weh bei jeder Bewegung ebenso die Kehle wenn ich atme. Die ganzen zwei Nächte habe ich gar nicht geschlafen, sondern fror und schwitzte abwechselnd. Ich komme gar nicht zur Besinnung, es ist um mich alles wie ein Traum. Ich denke aber, wenn ich gar nichts dagegen tue, wird es recht bald wieder besser werden [was zwar einer anerzogenen, dennoch aber finsteren, vielleicht auch nur der Zeit geschuldeten Einstellung gegenüber den verfügbaren medizinischen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprach, jedoch nach dem heutzutage üblichen Stand, vor allem der Präventionsmedizin, als kaum mehr recht vorstellbar naiv erscheint]. Auf die Krankenstube gehe ich auf keinen Fall. Wenn es Sonntag noch schlimmer sein sollte, so gehen wir zusammen nach Naumburg und ich bleibe dann dort [unter der Behandlung der Mutter mit Kaltwasserumschlägen und anderen zufällig und probeweise angewandten Hausmittelchen, die oft halfen, - oder eben auch nicht und dann war man mit seiner Weisheit am Ende!]. Appetit habe ich gar nicht; doch esse ich wie gewöhnlich; denn wenn ich meine gewöhnliche Lebensweise fortsetze, wird es schon bald sich bessern [das war seine Hoffnung lebenslang! Immer kurierte er aus eigenen Erkenntnissen an etwas herum, über das er nicht das Geringste wirklich wusste , sondern nur „seine Meinungen“ hatte.] Macht euch nur ja keine Angst darum; Sonntag ist hoffentlich alles vorüber. Sende mir doch morgen ja die Kiste. Viele Grüße an Lisbeth! Dein FWN.
Im Pfortaer Krankenbuch ist N für den 19. - 27. Januar 1861 wegen „Erkältung“, begonnen am 18.1. eingetragen. Es stand also so ernst um Ihn, dass die „Krankelei“ in Verbindung mit den Vorschriften der Anstalt allein zu der ihm ermöglichten Behandlungsmethode wurde. J1.128Kurz vor seiner erhofften Wiederherstellung schrieb er, am 26. Januar, der Mutter:
Liebe Mamma! Ich bin heute doch noch auf die Krankenstube gegangen, da ich drüben nichts anfangen und nichts arbeiten kann [so sehr war er, offensichtlich durch die Kopfschmerzen, außer Gefecht gesetzt]. So können wir uns also morgen [am Sonntag] nicht sehen; das tut mir sehr leid, da wir uns so lange nicht gesehen haben. Es ist hier auf der Krankenstube ziemlich voll, 8 noch außer mir; langweilig wird’s wohl auch werden.
Damit war der Fall jedoch diesmal nicht ausgestanden. Drei Tage nach dem entgangenen, jedes Mal doch so heiß ersehnten Sonntagstreffen, am 30. Januar, schrieb er der Mutter - und diese Passagen bedürfen hier ausführlicher Erwähnung, weil es zu Elisabeths N-Legende gehören sollte, dass ihr Bruder immer kerngesund, ja ein Ausbund und Vorbild an Gesundheit, gewesen sei:
Liebe Mamma! Ich dachte doch nun, dass mein Unwohlsein vorüber sein würde; aber seit gestern ist es im verstärkten Grade wiedergekommen. Die Kopfschmerzen sind wieder so heftig, dass ich gar nichts arbeiten kann. Ebenso tut mir der Hals wieder weh; auch der Schmerz im Kehlkopf ist wieder da. Ich habe die Nächte vor Schmerz nicht schlafen können. Mir ist höchst traurig zu Mute ….. Am meisten tut mir leid, dass ich zu Deinem Geburtstag nun gewiss nicht kommen kann. - Wenn ich nur wüsste, woher das ganze herrühre. Was mir lieb ist, dass ein Schnupfen eingetreten ist. Ich denke, da kann es nicht lange anhalten.
Der diesem Brief Ns an die Mutter beigelegte Krankenbericht von Ns Tutor Buddensieg lautet:
Gott grüße Sie! Zwei Krankenberichte sind eben geschrieben; Sie, liebe Frau Pastor, bekommen nur ein Krankenberichtchen. Fritz klagte gestern Abend wieder über seinen Kopfschmerz. Ich ließ ihn sogleich zu Bette gehen; doch hielten die Schmerzen auch heute früh noch an, so dass der Dr. Zimmermann ihn wieder auf die Krankenstube genommen hat. Wie dieser sagt, ist die Veranlassung zu Fritzens Unwohlsein eine Erkältung, durch die er sich einen Schnupfen zugezogen hat; doch will dieser nicht recht in Gang kommen. Deshalb hat Dr. Zimmermann ohne Erbarmen dem vollblütigen Fritz 4 Schröpfköpfe auf dem Nacken verordnet, welche ihre gesegnete Pflicht und Schuldigkeit nun treulich tun mögen. „Sorget nicht!“ Nun muss ich noch an den lieben Bruder Schenk nach Zeitz [knapp 30 km südöstlich gelegen] einen 4. Krankenbericht schreiben, der auch schließen wird mit einem tröstlichen „Sorget nicht!“ Freundschaftlich grüßt Sie Ihr Buddensieg. Inspektionsstube zu Pforta 30.1.61
N blieb, obgleich er da „auf keinen Fall“ hin wollte, in der „Krankelei“ und schrieb von dort am 2. Februar an die Mutter:
Einige Worte, liebe Mamma, muss ich Dir doch heut schreiben; entschuldige aber im Voraus, wenn mein Brief sehr kurz und meine Schrift schlecht ist. Zuerst also meine innigsten Wünsche zu Deinem lieben Geburtstag. Möge der liebe Gott im ganzen Jahre mit Dir sein und Dich mit Segnungen überschütten. Möge er Dir stets Gesundheit verleihen, dass Du das neue Jahr im vollsten Wohlbefinden verleben möchtest ….. Dass ich heute nicht in Naumburg sein kann tut mir herzlich leid, aber ich liege noch immer im Bett und soll noch nicht aufstehen. Es geht aber viel besser; die Kopfschmerzen haben sehr nachgelassen; auch der Appetit ist besser, kurz, es ist doch sicher auf dem Weg der Besserung. Die Bratäpfel haben mir ganz gut geschmeckt. Ich danke vielmals dafür; auch die Wäsche habe ich richtig bekommen. Hattest Du mir denn geschrieben? Ich habe den Brief nicht gefunden …..
Zwei Tage später, am 4. Februar 1861, hieß es von dort:
Liebe Mamma! Wieder einige Zeilen, um dir über meinen Gesundheitszustand Nachricht zu geben. Ich darf jetzt aufstehen und bin schon Sonntag beinahe den ganzen Nachmittag auf gewesen. Ich musste mich freilich erst wieder daran gewöhnen, da ich anfangs kaum herumgehen konnte. Jetzt geht es mir viel besser; es ist mir allerdings außerordentlich matt; Anstrengendes darf ich weder lesen noch schreiben, wenn ich nicht gleich Kopfschmerzen haben will; sonst geht es aber doch ganz leidlich …..
Am 8. Februar hieß es:
Liebe Mamma! Dass ich so lange nicht geschrieben habe, kommt bloß daher, dass ich bestimmt glaubte, Dich in diesen Tagen persönlich in Pforta zu sehen. Das Wetter ist jetzt so wunderschön; bitte, besuch mich doch einmal, liebe Mamma! Deinen Brief habe ich richtig empfangen; ich danke Dir vielmals dafür. Mir geht es jetzt doch viel besser; ich bin eigentlich ganz wohl, darf jeden Tag eine Stunde spazieren gehen und werde von den Kopfschmerzen nur selten heimgesucht. Ich werde aber den Dr. nicht wieder antreiben, sondern werde es ihm ganz überlassen. Vielleicht gehe ich aber morgen, vielleicht auch erst Sonntag herüber …..
Am 13. Februar kehrten die Kopfschmerzen am Nachmittag sehr heftig wieder und am 16. Februar schrieb er der Mutter:
Liebe Mamma! Ich habe es nun wahrhaftig satt mit diesen Kopfschmerzen; es wird nicht besser und kommt immer wieder. Die kleinste Anstrengung des Kopfes macht mir Schmerzen. Und dabei versäume ich eine Menge Lektionen, ohne etwas nacharbeiten zu können. Nun habe ich heute wieder hinter jedes Ohr eine spanische Fliege [mit dem Wirkstoff des Reizgiftes Cantharidin aus gemahlenen Deckflügeln von spanischen Ölkäfern] bekommen. Ich glaube nicht, dass es helfen wird. Wenn ich nur täglich viel spazieren gehen könnte! Sonst weiß ich nicht, wie’s gut werden soll. Ich habe schon daran gedacht, ob ich nicht lieber ein paar Wochen in Naumburg zubringe und mich da durch Spazierengehen kuriere. Bitte komme doch morgen [Sonntag] ja heraus; wir wollen einmal näher darüber sprechen. Hier auf der Krankenstube werden die Kopfschmerzen, glaube ich, nicht aufhören. -
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