Na, und so vergingen die Tage bis zur Panamakanal-Passage in kurzweiliger Eintönigkeit. Halb vier: „Reise, reise, raus aus der Scheiße“, Seewache bis acht Uhr. Halb neun: Werkzeugsausgabe durch den Kabelgatts-Ede und hurtig, mit neu gestieltem Kugelhammer, frisch geschliffenem Winkelroststecher und verknautschter Plastik-Schutzbrille, hinauf auf den mir zugeteilten Pfahlmast. Nach der einstündigen Mittagspause, in der die Mahlzeit möglichst schnell hinuntergewürgt wird, damit noch Zeit für ein Nickerchen im Freien bleibt, wiederholt sich dieselbe Prozedur bis zum „Koffiteim“. Nach der Kaffeepause (15:00 h bis 15:20 h) vertausche ich erst einmal den Hammer gegen Pinsel und Rostschutzfarbe, um den allgegenwärtigen, lüstern lauernden Rostbazillen mit bleihaltiger Mennige den Appetit zu verderben. Für diese wichtige Arbeit bleibt mir bis 17:30 h Zeit. Dann aber ist es schon wieder höchste Zeit, notdürftig gesäubert das Abendbrot hinunter zu schlingen und pünktlich um 18:00 h auf der Brücke zum Wachtörn zu sein. Zwanzig Uhr: Endlich Feierabend! Summa summarum war dann unsereins, abgesehen von dem kurzen Mittagsnickerchen, sechzehn Stunden auf den Beinen. Bei einem achtstündigen Arbeitstag ergab das dann aber keineswegs auch acht Überstunden. Oh nein, nach Abzug der Essenspausen waren es – nach Adam Ries und dem Manteltarif – nur noch deren sechs hart erworbene Überstunden. Aber immerhin, die Vier/Acht-Wächter scheffelten so – im Vergleich zu den anderen Wachen – die meisten Überstunden. Na und? Was heißt da, na und! Schließlich waren es die Überstunden, die den Kohl, sprich: die im Grunde jämmerliche Heuer, etwas fetter machten. So viel nur zum Farbe- und Überstundenkloppen…
Themenwechsel: Die Westküste Zentralamerikas erstreckt sich vom Golf von Darién (Panama) bis zum Isthmus von Tehuantepec (Mexiko). Insgesamt drei ILLSTEIN-Reisen führten mich an diesen Küstenabschnitt. Und sicherlich haben wir auch alle wichtigen Häfen der anliegenden Bananenstaaten der Reihe nach angelaufen. Leider will es mir in diesem Fall nicht mehr so recht gelingen, die sich daran knüpfenden Erinnerungen auf die Reihe zu kriegen.
An der Pazifikküste Panamas hatten wir anscheinend gar nichts verloren, oder aber es gab dort nichts zu holen. Jedenfalls ist mir da nicht ein einziger prägnanter Hafenname in Erinnerung geblieben. Auch der zur Hilfe genommene Atlas bringt mich da nicht weiter. Oder doch? Bei dem Wort Golfito, einem Hafen im Golfo Dulce – mein Gott, gleich schmelze ich hin! – blitzt in meinem Langzeitgedächtnis ein schwacher Funke auf; mehr aber nicht, leider…
Golfito ist der südlichste Pazifik-Hafen Costa Ricas. Costa Rica y Castillo de Oro, reiche Küste und goldene Burg, taufte 1502 der vom Goldwahn benebelte Columbus die karibische Landseite. Die ihm nachfolgenden Konquistadoren mussten aber schon sehr früh feststellen, dass der Entdecker Westindiens einmal mehr gewaltig geflunkert hatte. Die goldenen Burgen erwiesen sich als schroffe Berge, und das davor ausgebreitete Tiefland gab nichts her – außer wild wachsenden Bananen und außer einfältigen, zu ihrem Verderben viel zu leichtgläubigen Eingeborenen. Deshalb aber Costa Rica als einen Bananenstaat zu bezeichnen, ist schlicht gesagt eine dümmliche Frechheit. Seit das Land 1821 das spanische Joch abgeschüttelt hatte, gab es nur noch zwei kurze Perioden der Gewalt, die die Demokratisierung des Landes beeinträchtigten. (Wikipedia)
Schließlich wird dieses Land wohl nicht umsonst die Schweiz Mittelamerikas geheißen. Die Schweiz? Das könnte natürlich auch ein dezenter Hinweis auf unauffällige Geldwäsche sein. Aber nein, sicher sind damit unter anderem die hohen Berge gemeint. Zum Beispiel überragt der 3.820 m hohe Chirripo Grande zwar nicht das Matterhorn, dafür aber um ganze 22 Meter Österreichs stolzen Großglockner. Auch das angenehme Hochland-Klima im Inneren des Landes und die fast ausschließlich „weiße“ Bevölkerung müssen für diesen Vergleich herhalten. Vor allem aber ist damit die aktive, unbewaffnete Neutralität Costa Ricas gemeint. Am 8. Mai 1949 schaffte Präsident José Figueres Ferrer per Verfassungsbeschluss die Armee ab. Pikanterweise war besagter Präsident erst durch einen zwei Monate währenden Bürgerkrieg an die Macht gekommen, an dem er selbst nicht ganz unschuldig war. Spätestens an dieser Stelle, der Abschaffung der Armee, wird doch ein erheblicher Unterschied zur Schweiz deutlich. Übrigens, die dadurch frei gewordenen Gelder kommen seitdem dem Bildungs- und Gesundheitswesen zugute. In keinem Land Lateinamerikas außer Kuba gibt es weniger Analphabeten…
Bei der Erinnerung an den Namen Puntarenas, damals der wichtigste Kaffee-Verladehafen Costa Ricas, blitzen die Neuronen in meinem Langzeitgedächtnis schon etwas häufiger, aber noch immer nicht häufig genug. Also flüchte ich noch einmal ins Allgemeinwissen und stelle fest: Die Kaffeebohne ist längst nicht mehr die Nummer Eins des costaricanischen Exports, sondern – die Banane. Und weil die am besten im östlichen Tiefland gedeiht, ist nur folgerichtig, dass das an der Karibikküste liegende Puerto Lemon inzwischen der wichtigste Hafen des Landes ist. Über diesen Hafen wüsste ich schon einiges mehr zu berichten. Jedoch gehören diese Erlebnisse zu einem anderen Schiff und in eine andere Zeit…
Auf der Rückreise waren die Kaffeebohnen, das „grüne Gold“, immer der mit Abstand größte Posten an Ladung. Angeliefert und verladen wurden sie in ganz gewöhnlichen Jutesäcken, die aber immerhin ein ganz schönes Gewicht hatten. Außerdem waren diese Säcke nur schwer zu fassen, denn selbstverständlich verbot es sich von selbst, sie mittels eines handlichen Stauhakens im Laderaum zu stauen. Zwar ist das „Stauen“ nicht unbedingt Matrosenarbeit, aber verschont blieben wir davon dennoch nicht. Immer wieder einmal gefiel es einem der obergescheiten „Supercargos“ – das sind bestellte Ladungsexperten – das Schiff vom Volldecker zum Schelterdecker zu deklarieren. Das ist lediglich ein Vermessungstrick und dient dazu, den Raumgehalt des Schiffes abgabengünstig zu verändern. Warum das den Experten immer erst einfiel, wenn das Schiff bereits so gut wie abgeladen war, das entzieht sich dem Sachverstand eines simplen Matrosen. Dafür aber durften wir die Zugänge zu den Ablaufventilen im Zwischendeck, die ja schon eingestaut waren, Sack um Sack wieder frei räumen. Solch schweißtreibende Arbeiten, mit einem quakenden, quiekenden Kapitän und einem „Schwertfisch“ im Rücken, solche Höhepunkte unnötiger Schinderei vergisst man auch nach Jahrzehnten nicht. Übrigens: Hans Ballermann war da schon nicht mehr mit von der Partie – er war irgendwo ganz schlicht abhanden gekommen. Tatsache ist, dass es nicht die Kaffeesäcke waren, sondern eher die „leichten Mädchen“, die nicht immer nur sanften, aber sonst ach so hingebungsvollen Latinas, die mich an diese Küste zogen. Na, da sollte mir dazu doch auch etwas einfallen. Da war doch noch was…
Da war… Nein, es war, es war wahrscheinlich ein Sonn- oder Feiertag. Die Sonne stand schon wieder sehr hoch, als wir uns, Hans und ich und ein paar andere Janmaaten noch immer im Innenhof der ach so gastlichen „Ranch“ aufhielten, die uns die vergangene Nacht über beherbergte. Möglicherweise hatten wir ja wirklich einen korrekt beglaubigten „freien Tag“. Wahrscheinlicher aber ist, dass wir uns den „freien Tag“, der uns nach der so gut wie schlaflosen Nacht zur Erholung nötig schien, einfach selbst verordnet hatten. Die Ranch war natürlich kein nobler Pferdehof, aber irgendwie hatte sie doch etwas von einem „Gestüt“. Die in sich geschlossene Anlage bot dem Seemann alles, was sein Herz begehrte. Das war im Grunde nicht viel: Wein, Weib, Gesang… Na ja, Gesang musste nicht unbedingt sein…
Was unbedingt sein musste, war eine Bar mit einem mehr oder weniger langen Tresen, hinter dem sich wie auf einem Laufsteg die kulleräugigen Schönheiten darboten. Und so nach und nach kam ein jeder unter Dach und Fach. Das „Dach“ war eine mit ein paar schnellen Schritten über den Innenhof erreichbare Kemenate. Das „Fach“ eine verhältnismäßig breite „Werkbank“, wie Hein Seemann das Lotterbett zu bezeichnen pflegte. Und, und das ist wirklich betonenswert, die Putas waren in der Regel lieb und treu, ja oft genug treuer, als so manch einem von uns lieb sein mochte. Während der kurzweiligen Nacht, davon darf man ausgehen, gab es wohl reichlich von all dem, was das Seemannsherz halt so erfreut. Und weil es so schön und so lustig und ganz sicher auch noch jede Menge Alkohol im Blut war, blieben Hans und ich vernünftigerweise eben da. Auf der Veranda gemütlich in Rohrstühlen sitzend, vor drohendem Sonnenstich sicher durch ein dichtes Palmenblätterdach geschützt, ließen wir träge Beine und Seele baumeln. Aufmerksame, eifrige Bedienerinnen sorgten dafür, dass auch stets frisches Eis im stets nachgefüllten Glas zischte. Eine vielleicht etwas Übereifrige überraschte uns mit einer ganz besonderen Art von Bedienung: Kurz entschlossen entblößte sie eine ihrer prallen Brüste, nahm sie, die Brust, zwischen ihre Hände und drückte und spritzte einen Strahl Milch zielgerecht in meinen Drink. Fröhlich lachend taufte sie diese mir noch neue Kreation Cuba libre con leche! Um es gleich zu sagen, in diesem pikanten Fall erwies ich mich, ich, der doch allem Neuen gegenüber stets aufgeschlossen war, als stockkonservativer Trinker und verlangte, trotz hübschester An- und Aussicht, nach dem traditionellen Cuba libre con lemon…
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