8 Monate und 12 Tage als Matrose gedient
2. Einsatz:
Der Dienstantritt erfolgte 29.11.1966
Das Seemannsamt Bremen, den 01. Dez. 1966
Der Inhaber hat in der Zeit vom 29.11.1966 bis zum 27.02.1967
3 Monate und 7 Tage als Matrose gedient
Zusätzliche Daten
Entnommen: Seefahrt – Norddeutscher Lloyd – Naxos
MS ILLSTEIN, Bj. 1959; BRT.: 4952;
Zugehörigkeit: bis 1972; ab 1970 Hapag-Lloyd;
1972 verkauft nach Mogadischu. Neuer Name: „MINSHAN“;
1978 verkauft nach China. Neuer Name: „LONSHAN”;
1992 in Lloyds Register noch so verzeichnet.
MS SIEGSTEIN – Schwesterschiff der ILLSTEIN
Nach dem „Eunuchentrip“ – den INNSTEIN-Reisen zu den Großen Seen – sollte mich mein nächstes Schiff unbedingt wieder einmal an liebesfreundlichere Gestade bringen. Demzufolge absolvierte ich vorerst mehrere vierzehntägige Urlaubsvertretungen auf verschiedenen mir nicht genehmen Lloyd-Schiffen, bis mir endlich die ILLSTEIN fürbass kam. Die ILLSTEIN war einer jener kleineren Neubauten, mit denen der Lloyd die zentralamerikanischen Staaten einschließlich Mexiko und den Nordosten Brasiliens bediente. In der Regel konnte es sich ein einfacher Matrose nicht aussuchen, mit welchem Lloyddampfer er auf die Reise gehen würde, denn das bestimmte Herr Pauli, der norddeutsch kühle, unbestechliche Chef des lloydeigenen Heuerbüros. Dass es mir dennoch gelang, Schiffe mit ungeliebten Reisezielen wie die US-Ostküste, US-Golf, die Westküste-Nord oder gar Australien zu vermeiden – das hatte ganz bestimmt nicht mit dem typisch österreichischen „Schmäh“ zu tun – weil ich nun einmal absolut kein Schmähtandler bin, eher ein gerader „Michel“…
Urlaubsvertretung – das war für die, die zu vertreten waren, natürlich eine gute Sache. Meist waren es Fahrensleute, die es nicht allzu weit nach Hause hatten, also von der „Waterkant“ stammten. Aber auch für mich, der ich doch meist völlig abgebrannt aus meinem „verlängerten“ Urlaub an die Küste zurückkehrte, war es eine gute Einrichtung, denn sie brachte mich stets umgehend in Brot und Lohn. Andererseits war mir das Pendeln zwischen Antwerpen, Rotterdam, Bremen und Hamburg ein Graus. Die Hektik in diesen Häfen, die kurzen Seereisen, die langen Revierfahrten und die Animositäten innerhalb solcher „Fremdbesatzungen“ waren nicht dazu angetan, das Seemannsherz zu erfreuen. Außerdem war der Urlaubsvertreter schließlich nur Gast und hatte sich mit der ihm zugewiesenen Unterkunft einfach abzufinden. Das tat er natürlich auch, schließlich saß er sowieso, bildlich gesprochen, die ganze Vertreterzeit auf seinem Seesack. Das besonders Unangenehme aber war, dass man keinen eigentlichen privaten Rückzugsort zur Verfügung hatte, um seine „Batterie“ wieder aufzufüllen. So ist es halt auch nicht verwunderlich, dass so ein quasi „heimatloser“ Janmaat in den genannten Häfen seine karge Freizeit lieber an Land als an Bord verbrachte.
Bei einer solchen Gelegenheit lernte ich auch Hamburg etwas besser kennen. Hamburg!? Na, damit ist natürlich die Gegend um St Pauli gemeint, die „Große Freiheit“ und die sündige Meile der Stadt, die Reeperbahn. Nun ist es aber nicht so, dass diese Ecke Hamburgs für mich gestandenen Seemann Neuland gewesen wäre, nein, ganz bestimmt nicht. War ich doch bereits im Jahre 1956, als eben flügge gewordener Grünschnabel, per Autostopp bis nach Hamburg gelangt. Damals nahm mich ein Polizist, dessen Absichten ich da noch nicht ahnen konnte, unter seine Fittiche. Das kam so: Ich trieb mich in der Speicherstadt herum und beobachtete von einer Brücke aus – offensichtlich sehr interessiert – einen Helmtaucher und seine Gehilfen bei ihrer Arbeit. Der Polizist hingegen, ein Mann um die Vierzig, musste mich anscheinend schon eine Weile im Visier gehabt haben. Jedenfalls war ich nicht wenig überrascht, als ich plötzlich energisch angefasst und vom Geländer der Brücke weg gezerrt wurde. Der gute Mann war der absurden Meinung, dass ich mich in den Kanal stürzen wollte. Sicherlich, ich hatte gerade noch ganze zehn Mark in meiner Hosentasche, und die Jugendherberge, in der ich zu übernachten gedachte, hatte mich kurz vorher wegen Überbelegung abgewiesen. Aber mich deswegen ersäufen? Im Gegenteil: ich war guter Dinge, voller Zuversicht, in Aufbruchstimmung: Was kostet die Welt?!
Der Polizist aber, der mich nötigte, ihm mein Dasein zu erklären, war vorerst misstrauisch und ließ mich nicht einfach laufen, obwohl meine Papiere in Ordnung waren. Doch schleppte er mich auch nicht auf die nächstgelegene Wache, sondern bot mir freundlichst seine Begleitung an. Eigentlich, auch wenn er noch in Uniform sei, habe er bereits dienstfrei, und wenn ich nur möchte, würde er mir ein Stück Hamburg, sein Revier, zeigen. Ich war nicht abgeneigt, zumal er mir versicherte, dass er mir dann auch noch eine Schlafstelle besorgen wolle. Überdies versprach er, mir bei der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit nach Hause behilflich zu sein.
Also überließ ich mich vertrauensselig dem freundlichen Ordnungshüter und hatte es schließlich auch nicht zu bereuen. Der gute Mann lotste mich vorerst am Baumwall entlang, Richtung Landungsbrücken. Er zeigte mir den Einlass zum Elbtunnel, die U-Bahn-Haltestelle, das gewichtige Bismarck-Monument und schließlich und endlich auch noch die Reeperbahn. Er erklärte mir, dass die knapp einen Kilometer lange Straße ihren Namen von den Reepschlägern, den vormaligen Schiffstaudrehern, erhalten hatte. In früheren Tagen, lange bevor aus ihr die „Sündige Meile“ wurde, war die Reeperbahn nichts weiter als ein sich in die Länge ziehender, zugiger Arbeitsplatz. Genau betrachtet ist sie das ja auch noch heutzutage, Schiffstaue aber werden hier nicht mehr produziert. Allerdings – frei von Fallstricken ist die Reeperbahn bis heute nicht. Ich jedoch hatte nichts zu befürchten, darauf achtete schon mein Freund und Helfer, der Polizist. Kraft seiner Begleitung sah ich sogar das eine oder andere Animierlokal kurz von innen. Auch in die wie ein öffentliches Pissoir mit Sichtblenden abgesicherte Herbertstraße ließ er mich hineinlugen. Was ich da so erspähte, die halbnackten Damen, die prallen Schenkel, Pos und Brüste, vorm Anfassen nur geschützt durch eine Schaufensterscheibe, das bewegte meine Fantasie noch lange danach…
Mein Freund bediente nicht nur meine Neugierde. In einer der vielen Eintopf-Buden verpflegte er mich auch noch mit Erbsensuppe und Wiener Würstchen. Die Zeche bezahlte er nicht etwa mit Geld, sondern mit Marken, die er von einem handlichen Papierblock abtrennte. Das fand ich genial. Weniger angetan war ich aber dann von der Art und Weise, wie er mich anschnauzte, weil ich den Senf auf dem Papierteller beim Verzehr der Würstchen etwas unorthodox verteilte. Das gab mir zu denken. Überhaupt irritierte mich sein ganzes Verhalten nicht wenig. Mal gab er sich väterlich jovial, dann wieder herrisch und gereizt. Auch machte es mich stutzig, dass er mir die Davidswache, das wohl bekannteste Polizei-Revier der Welt – und von dem ich annahm, dass es seine Dienststelle sei – mit einer vagen Ausrede vorenthielt. Dennoch ging ich auf seinen Vorschlag ein, ihn nach Hause zu begleiten. Seine Wohnung läge in der Nähe des Bahnhofs Hamburg-Altona, da würde sich auch eine Schlafgelegenheit für mich finden. Allerdings, wie sich dann herausstellte, war die angepeilte Schlafstelle ein Bett in seiner Wohnung. Dies, so erklärte er mir, sei möglich, weil seine Lebensgefährtin gerade verreist sei.
Eigentlich ja ganz plausibel. Der Verdacht, dass mit dem Mann vielleicht doch nicht alles in Ordnung und er eventuell „andersherum“ sein könnte, kam mir erst, als er mich bei Kaffee und Kuchen mit erotischem Gelaber belöffelte. Dieser Versuch aber, mich auf Kommendes vorzubereiten, verpuffte bei mir völlig wirkungslos. Ich brauchte mich gar nicht dumm zu stellen, ich war es einfach. Zwar hatte ich sicher schon von Schwulen und Lesben gehört, aber das war für mich eine Welt, an der ich nicht das geringste Interesse hatte. Kerle wie Hans Albers, in jedem Arm eine „seute Deern“, waren die Vorbilder meiner pubertierenden Seele. Und dann dies: Ich als angehender Seemann, Aspirant eines Berufstandes, der für mich der Inbegriff aufrechten, kernigen Mannsvolks war, sollte mit einem Polizisten ins Bett gehen? Ha, deswegen war ich nicht aus der heimatlichen Enge ausgebrochen, um mich dann in der Fremde so einfach vernaschen zu lassen…
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