Vermutlich würde ich heutzutage Salina Cruz sicher nicht wieder erkennen, denn inzwischen ist es dank des Erdölförderers PEMEX, der da 1979 eine Raffinerie hinstellte, zu einem Industriezentrum und zur wichtigsten Hafenstadt des Bundesstaates Oaxaca geworden. Davon war damals natürlich noch keine Rede. Mir ist heute noch schleierhaft, was wir da eigentlich zu suchen hatten. Aber immerhin gab es ja bereits eine Bahnlinie zur anderen Seite des Isthmus; vielleicht hatten wir ja bloß ein paar Postsäcke abzuliefern. Das ist kein Witz, die Lloyd-Schiffe waren wirklich allen Ernstes auch Postschiffe! Aber eines waren diese Schiffe ganz gewiss nicht: nämlich auf dem jeweilig modernsten Stand der Technik. Aber selbst mittels eines Bugstrahlruders – falls es so was in den sechziger Jahren schon gegeben haben sollte – hätte die ILLSTEIN gegen die liebestolle Umklammerung des von der Sierra Madre herunterbrausenden Fallwindes keine Chance gehabt. Der Wind drückte das Schiff mit Herkuleskraft an die Innenseite der Außenmole, so dass selbst mit Schlepperhilfe an ein Ablegen nicht zu denken war. Da half auch alles Knirschen unseres kleinen Kapitäns nichts, dem der launige Wind den „Fahrplan“ verhagelte. Das „Knirschen“ ist übrigens nicht bloß bildlich gemeint. Die vom Gebirge herabstürzenden Fallwinde, unserem Fön vergleichbar, wirbelten jede Menge Sand auf. Mit diesem losen Material peitschten sie wie ein phänomenales Sandstrahlgebläse auf alles, was sich ihnen entgegenstellte, unbarmherzig ein. Warum ich das so genau weiß? Weil ich es nicht lassen konnte, den Zwangsaufenthalt des Schiffes zu einem Landgang zu nutzen. Aber selbst mit meinem provisorischen Gesichtsschutz kam ich nicht weit. Der Wind, nein, von nur einem Wind man da wirklich nicht sprechen, die Winde trieben mich von einer Ecke zur anderen, peitschten mich durch menschenleere Straßen; weit und breit keine, auch nur einen Türspalt offene Kneipe… Letztlich musste ich froh sein, dass mich diese Furie von einer „Windsbraut“ doch wieder an Bord absetzte, wenn auch reichlich zerzaust und mit brennender Haut und tränenden Augen …
Mit dieser windigen Angelegenheit will ich nun endlich meine Westküste-Zentralamerika-Reisen beenden. Zu Ehren der Schiffsführung – gemeint sind Kapitän Dietze und Chief Heinsohn – sind aber noch unbedingt ein paar Sätze hinzufügen. Freund Paul, gelernter Werkzeugmacher – inzwischen zum Motorenwärter avanciert – hatte den unbedingten Ehrgeiz, es bis zum Schiffsingenieur zu bringen. Nebenbei gesagt, hat er sein damaliges Fernziel, eines Tages als Chief die Maschine zu dirigieren, auch tatsächlich erreicht. Ich, nicht ganz so ehrgeizig, wollte doch wenigsten den Rang eines Steuermanns erklimmen. Aber mit Klimmzügen alleine war es ja nicht getan. Paule, weniger verträumt als ich, begann Nägel mit Köpfen zu machen. Das sah dann so aus, dass wir uns in unserer kargen Freizeit – natürlich nur auf See – auf den „Kusch“ stürzten. Für alle Ahnungslosen: Der „rote Kusch“ (wegen der Farbe seines Umschlags) ist – oder war – das Standard-Lehrbuch für Mathematik und Geometrie. Da wir unsere „Studien“ in aller Öffentlichkeit betrieben – z. B. während der Mittagspause und eben auch nach Feierabend, blieb unser „verdächtiges“ Verhalten auch niemandem verborgen. Unsere „Bühne“ war das auf dem Poopdeck abgestellte hölzerne Arbeitsfloß. Dort ließ es sich auch in der Tropensonne aushalten, ohne dass wir auch noch von unten angebraten wurden. Kurz gesagt: Wir büffelten im Schweiße unseres Angesichtes und – zogen so die Häme der lieben Kollegen auf uns. Bedingte dieser „Geisteseinsatz“ doch einen halbwegs nüchternen Dauerzustand. Aber, man lese und staune, wir erhielten massive Rückenstärkung – von ganz oben!
Zwei der drei „Eisheiligen“, der Alte und der Chief, waren auf unser „Tun“ aufmerksam geworden und mischten sich ein. Und zwar in der Art, dass sie damit begannen, für uns knifflige Rechenaufgaben zu ersinnen. Davon war ich im Grunde alles andere denn erbaut; meine Defizite auf mathematischer Ebene waren schlicht zu groß; Paul war da viel versierter oder einfach nur klüger… Na, wie dem auch war, unsere beiden Protagonisten beließen es nicht bei verqueren Dreisatzaufgaben und nüchternen Prozentrechnungen. O nein, sie übertrafen sich gar bald im Aushecken schwieriger Problemstudien, über die sie schließlich selbst in Streit gerieten. Das war schon sehr lustig, der ganze Dampfer amüsierte sich… Im Übrigen galt für Paul und mich – sehr zum Kummer unseres menschenfreundlichen Kapitäns – diese „enthaltsame“ Lernzeit nur für die Dauer der jeweiligen Atlantik-Überfahrt. Was auch immer diesen Gutmenschen in der Annahme bewog, dass wir uns fortan auch unter der Küste anständig benehmen würden – er wurde stets aufs Neue enttäuscht. Resignierend wusch er seine Hände in Unschuld und sprach wie gehabt: „Saufn wie de Großn, benähm wie de Gleen!“…
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