Nach geraumer Zeit kehrte er, total verschwitzt und hochrot im Gesicht, an den Tresen zurück. Ohne sich groß zu erklären, bestellte er sich ein Bier und schüttete es in einem Zuge hinunter. Das wiederholte sich noch einige Male. Sein Äußeres erinnerte mich an den alten Witz, in dem ein liebesgeiler Trapper aus Versehen einen Grizzlybär vergewaltigt. Das sagte ich ihm aber nicht. Leider, trotz meiner freundschaftlichen Rücksichtsnahme, verriet er mir nicht, was sich in Rosarias Höhle nun tatsächlich abgespielt hatte. Dabei hätte ich doch zu gerne gewusst: hat er sie nun, wie weiland Siegfried die Brünhilde, im fairen Ringen aufs Kreuz gelegt, oder war er schmählich unterlegen, und die Wildkatze hatte ihn vernascht – oder nur verarscht? Wie auch immer, aus Paul war diesbezüglich nix Konkretes herauszukriegen.
Und Rosaria, die tauchte wenig später ebenfalls wieder vor dem Tresen auf. Ihr war kaum etwas anzumerken. Sich lasziv räkelnd, musterte sie mich mit dem rätselhaften Blick einer Sphinx. Ich aber fühlte mich nicht zum Dompteur geboren und bevorzugte lieber brave, anschmiegsame Kätzchen, die es ja auch gab. Der Semmelblonde, der mich kürzlich noch als Kameradenschwein beschimpft hatte, war gar sterblich in so ein anschmiegsames, braves Mädchen verliebt. Sein geistiges Weltbild war sehr einfach gestrickt, und treudoof wie er halt war, hielt er sich für unwiderstehlich. Möglicherweise war er ja wirklich und wahrhaftig in seinem Leben zum ersten Mal richtig verliebt. In diesem bedauernswerten Zustand erzählte er zum Gaudium aller, dass er seine Herzensdame nach Deutschland nachbringen lassen wolle, um sie dort zu heiraten. Die „Dame“, die er verehrte, war eine jener dunkellockigen Schönheiten mit makelloser weißer Haut, die ganz bestimmt noch niemals für längere Zeit der gnadenlos sengenden Sonne ausgesetzt war. Was Wunder, pendelte sie doch nur zwischen Bett und Bar. Dabei pendelte sie auch mir eines schönen Nachmittags, vielleicht an einem Sonntag, in die Arme. Ohne Gewissensbisse, ja, um ehrlich zu sein, mit einer gewissen Genugtuung, folgte ich der Auserwählten unseres Romeos ins Liebesnest. Doch weil es der Deibel so wollte, hatte auch der Semmelblonde zur selben Stunde frei und pochte kurz darauf intensiv an die verschlossene Tür, hinter der ich mich mit der Dame seines Herzens verlustierte. Er pochte und pochte und klagte und winselte wie ein von seinem Frauchen ausgesperrter Hund. Die Schwarzgelockte legte einen ihrer Zeigefinger an die blutroten Lippen – weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz – machte „Psst“, ließ sich aber sonst von dem Gewinsel des Kerls vor der Tür nicht weiter stören. Mich allerdings störte es schon, und so rief ich schließlich laut und vernehmlich, dass er sich zum Teufel scheren soll – was er aber nicht tat. Geduldig wartete der arme Tropf ab, bis wir fertig waren und ich, das Kameradenschwein, ihm die Tür frei gab. Ohne Umschweife drückte er sich hinein; ich sah noch, wie er vor seiner Angebeteten niedersank und sie ihm sanft lächelnd seinen Strohkopf streichelte.
Die manchmal bis zu 14 Tagen dauernde Liegezeit in La Union ging einem körperlich wie materiell ganz schön an die Substanz. Aber der frühmorgendlich Vorsatz, heute einmal nicht an Land zu gehen, war spätestens zum „Koffiteim“ verflogen. Ein Erlebnis aber von ganz besonderer Art hätte um ein Haar für Paul und mich das Ende aller Landgänge sein können. War es nun Geldmangel oder einfach nur Abgeschlafftheit, vielleicht hatten wir auch nur ganz schlicht den Kragen voll, jedenfalls machten wir uns früher als sonst auf den Heimweg. Schon relativ nahe dem Hafengelände kreuzte die Straße den Schienenstrang. Neben dem Gleis stand direkt am Straßenrand ein Schienenfahrzeug – eine kleine Arbeitsplattform auf Rädern. Des Gehens überdrüssig, kam einer von uns beiden auf die glorreiche Idee, dieses Vehikel als Schienentaxi zu benutzen. Gedacht, getan! Mit vereinten Kräften setzten wir die hölzerne Plattform mit dem Unterbau einer Lore auf den Schienenstrang. Das Gelände zum Hafen war leicht abschüssig, so dass es keine besondere Mühe war, das Ding zum Laufen zu bringen. Wir schwangen uns, einer rechts, einer links, auf das Gefährt, das allerdings den Nachteil hatte, dass man sich nirgendwo festhalten konnte. Zunächst, bei langsamer Fahrt, war das ja noch kein Problem. Dann aber, mit zunehmender Fahrt, wurde die Situation ungemütlich, zumal das Gefährt ja auch keine Bremse hatte. Die Hafenlichter kamen uns bedrohlich schnell näher, auch sah es irgendwie nach Rangierverkehr aus, jedenfalls funkelten uns zwei grelle Lichter böse entgegen. Pauls Versuch, die Geschwindigkeit per „Fußbremse“ zu verringern, scheiterte am völlig ungeeigneten Schuhwerk – sofern man Badelatschen als solches bezeichnen darf. Da wir uns nicht darauf verlassen mochten, dass uns eventuell eine günstige Weichenstellung vor dem drohenden Zusammenstoß retten würde, hatten wir keine Wahl: Wir mussten runter! Also hechtete der eine rechts, der andere links ins – Ungewisse. Ich landete sehr unsanft zwischen allerlei Gesträuch auf dem abschüssigen Bahndamm und rollte wie ein Kaffeesack auf den Grund eines mit losen Steinen übersäten Grabens. Obschon etwas benommen, vernahm ich noch im selben Augenblick das hässliche Geräusch, das entsteht, wenn Eisen auf Eisen knallt. Kurz darauf peitschten auch noch vereinzelt Schüsse durch die Nacht…
Was tun? So eine Scheiße, aber immerhin, alle Knochen waren heil geblieben. Gewaltsam ernüchtert rekapitulierte ich: Paul war auf der anderen Seite des Bahndammes, aber den Damm zu queren, das verbot sich wegen des schießwütigen Militärs von selbst, und lauthals zu rufen, war sicher auch nicht ratsam. Außerdem und überdies war meine Seite die – Straßenseite. Also, was blieb mir übrig? Ich überließ Paul seinem Schicksal und schlug mich mühsam durch das pechdunkle, verfilzte Gelände bis zur Straße durch. Dort, am Straßenrand, verharrte ich im Schutze der Dunkelheit so lange, bis sich die Aufgeregtheit im Hafengelände gelegt hatte. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen, stellte mich mitten auf die Straße und ging schnurstracks, dabei laut und falsch pfeifend, direkt auf das Hafentor zu. Die Torposten, denen ich längst bekannt war, winkten mich ohne Umschweife durch, was ich nicht ohne Genugtuung zur Kenntnis nahm. Es lohnte sich doch immer wieder, sich Wachpersonal, ganz besonders militärisches, mit kleinen Geschenken gewogen zu halten…
An Bord angekommen, leckte ich erst einmal meine „Wunden“. Im Grunde nur Kleinigkeiten, alles halb so wild. Die diversen Prellungen sollten sich erst später bemerkbar machen. Dann hätte ich mich ja liebend gerne zur Ruhe begeben, aber – wo blieb Paul? Was sollte ich tun? Bei der Schiffsleitung eine „Vermisstenanzeige“ machen? Um Himmels Willen, da stand Schwertfisch davor; der würde unverzüglich den Behördenapparat in Gang setzen, und dann, ja dann gute Nacht. Sollte ich mich selbst noch einmal, dem Schienenstrang folgend, hinaus wagen? Unmöglich, die Eisenbahner, die Soldaten würden sofort auf mich aufmerksam werden. Was sollte ich nur machen? Während ich also sorgenvoll am oberen Ende der Gangway ausharrte und hin und herüberlegte, wen ich eventuell ins Vertrauen ziehen könnte, tauchte urplötzlich Paul am unteren Ende der Gangway auf. Nicht weniger abgerissen als ich und irgendwie fußlahm humpelte er an Bord. Leider, sagte er, hätte sich bei dem Bremsversuch ein Eisensplitter in die Ferse gebohrt, und außerdem musste er noch nach dem verloren gegangenen Badelatsch suchen, deshalb die „Verspätung“…
La Union war in El Salvador aber nicht die einzige Anlaufstelle für unser Schiff. Es folgten noch La Libertad und Acajutla und San José und Champerico im nördlichen Nachbarstaat Guatemala. Diese Häfen waren für unsereins relativ schwer zu erkunden, weil die Ladung aufgrund fehlender oder desolater Pieranlagen auf Reede umgeschlagen wurde. An Champerico habe ich so gut wie keine Erinnerungen. In meinem alten Handbuch steht zu lesen:
Читать дальше