Ein großer Raum, hoch und schmutzig, wunderschön. Gefühle. Niederlage, Triumph, Sieg und Tod. Alles ganz nah beieinander. Ein angstverzerrtes Gesicht und ein schneidender Schmerz. Dann Stille, Schwärze.
Und jetzt war er hier. Jemand hatte ihn … benutzt. Hatte Dzyrog benutzt. Dieses furchtbare, machtvolle, wunderbare Wesen. War das gut? Oder war das schlecht?
Ziellos schweifte sein Blick umher. Er sah andere Wesen in seiner Nähe stehen. Menschen, zwei Zwerge, ein Barbar, ihre Körper teilweise in verschiedenen Stadien des Zerfalls, doch ihre Seelen schwebten als fahle weiße Schemen um sie herum. Einige versuchten, sich in ihren Körpern zu verstecken, andere kämpften darum, sich von ihren Körpern zu lösen, doch die meisten schwebten nur teilnahmslos um ihr früheres Dasein herum. Die Körper waren vollkommen unbeweglich. Auch Rrordrak spürte diese Starre. Mit Entsetzen erkannte er, dass sein Körper sich nur noch dann bewegte, wenn er den Befehl dazu bekam, wenn an der unsichtbaren Fessel, die ihn band, gezogen wurden. Wenn eine unsichtbare Macht ihm diktierte, was er zu tun hatte.
Aber kannte er diese Macht nicht? Hatte er nicht selber die Kräfte, um unsichtbare Fesseln zu legen? Konnte er sie dann nicht auch lösen?
Seine Gedanken zogen wirr umher. Der untote Schwarzdruide musste darum kämpfen, einen Zusammenhang zwischen diesen wirren Fetzen herzustellen.
Es gab machtvolle Zauber, die einen Menschen erstarren ließen, die ihm jede Möglichkeit nahmen, über seinen Körper zu herrschen und ihn zu steuern. Rrordrak kannte diese Zauber, hatte sie gelernt, verinnerlicht. Und er hatte aus Angst vor ihrer Macht gelernt, ihnen zu widerstehen oder sie aus seinem Körper zu verbannen. Doch das war auf dem Höhepunkt seiner magischen Leistungsfähigkeit. Jetzt war er ein Abklatsch dieser Macht. Dennoch war noch etwas davon da. Er blickte an seinem Körper herunter, losgelöst und doch verbunden mit diesem Knochengestell, dass er Körper nannte.
Sein Gehirn murmelte immer wieder dieselben Worte, an seinen Lippen kamen sie nicht an. Und dennoch reagierte etwas in seinem Körper auf die stummen Befehle.
Er sah den Zeigefinger seiner rechten Hand der zuckte, einmal zweimal, dann eine längere Bewegung, einen Wimpernschlag lang. Sein Finger, dann die Hand, er musste … .
Langsam gewannen Dumpfheit, Müdigkeit und innere Leere die Oberhand. Was tat er hier? Wer waren die Anderen? Jetzt verkroch auch Rrordraks Seele sich im Inneren seines untoten Körpers.
Ein Anfang, das war ein Anfang.
Oder war es das Ende?
Er wusste es nicht, er wusste vielleicht gar nichts.
Angst, Tod, Schmerz und Schwärze. Anscheinend gab es doch noch einen Funken, der in seinem modernden Hirn glomm.“ Rede, wer hat euch geschickt? “ Drohend wollte Nat sein Schwert ziehen. Sein, wie er fand, wutverschleierter Blick war fest auf den Mann gerichtet, der vor ihm auf einem niedrigen Hocker saß. Tally lehnte hinter ihm am Türrahmen und sah den Bemühungen ihres Freundes ungerührt zu, die Hintergründe über die Angreifer zu entschlüsseln.
„Wieso geschickt? Wir haben uns selber geschickt.“ Nat wollte aufbrausen, fühlte sich veralbert. Aber die Aufrichtigkeit in den Worten des Mannes war mit Händen zu greifen.
„Wie, selber geschickt?“
„Naja, wir sind … äääh … waren eine Gruppe von etwa zwanzig Mann. Wir haben uns Rrordrak angeschlossen, weil wir uns davon Macht und Reichtum versprochen haben. Aber wir haben gar nichts gemacht. Wir sind erst seit einigen Tagen hier und Rrordrak hat uns in dieser Zeit keinen Auftrag erteilt.“
Eine Fliege umschwirrte das verschwitzte Gesicht des Mannes. Da seine Hände gefesselt waren, versuchte er durch Pusten, die Fliege zu vertreiben.
„Pffft … jetzt kam einer von uns darauf, dass im Schloss doch noch … pffft … Schätze liegen müssen und das im derzeitigen Chaos vielleicht eine Möglichkeit war …. pffft … etwas davon mitzunehmen.“
Der Gefangene blies erneut die Backen auf, aber bevor er pusten konnte, riss Nat das Schwert aus der Scheide und schlug blitzschnell nach der Fliege. Mit einem wütenden Brummen stieg die Fliege hoch und flog davon.
Der Gefangene aber schrie auf, auf seiner Stirn zeigte sich eine feine rote Spur, wo das Schwert ihn getroffen hatte.
„Oh, das tut mir leid. Ich kenne mich mit der Länge meines Schwertes noch nicht so gut aus.“
Die Tür wurde aufgerissen und ein vierschrötiger Mann steckte seinen Kopf in den Raum. Er blickte erst auf das Schwert in Nats Hand, dann auf das Gesicht des Gefangenen, dem das Blut von der Stirn tropfte. Er grunzte zufrieden.
„Das ist richtig, zeigt diesen Dreckskerlen gleich, was wir mit ihnen anfangen, wenn sie nicht tun was wir wollen. Lasst sie bluten.“
Mit einem bösen Lachen ließ er die Tür wieder zuknallen.
„Herr, lasst mich bitte nicht hier. Wenn ich euch alles sage, was ihr wissen wollt, nehmt ihr mich dann mit hier heraus?“
Sein Blick irrte zur Tür, ein Zittern lief durch seinen Körper. Von seiner Nasenspitze hing ein Tropfen Blut.
Nat nickte.
„Ja, versprochen. Wie gesagt, es tut mir leid.“
„Schon gut, hätte mir auch passieren können.“
Kopfschüttelnd trat Tally Nat in den Hintern.
„Wenn Du ihm jetzt noch die Freundschaft anbietest und ihn zu deiner Hochzeit einlädst, renne ich schreiend raus. Frag was du fragen willst und dann lass uns seine Kumpane suchen.“
Fast hätte Nat sich auch bei Tally entschuldigt, doch dann ging ihm auf, was sein freundliches Gehabe in dieser Situation für einen unpassenden Eindruck machen musste.
Doch noch bevor er wieder den wütenden Blick aufsetzen konnte, fuhr der Gefangene unaufgefordert fort.
„Wir haben mehrere Straßen besetzt und sollten versuchen, möglichst viele von euch zu töten oder gefangen zu nehmen, damit uns noch weniger Widerstand entgegen schlägt, wenn wir in das Schloss eindringen.“
„Wann sollte das passieren?“
„Heute Abend. Wir wollten uns in einem leerstehenden Lagerhaus am Hafen treffen und dann zum Schloss vordringen.“
„Verdammt!“ Nat schlug die Faust klatschend in die flache Hand.
„Wer von uns ist alleine unterwegs?“
„Sharn, Ilana, Walgardsson, Jorina und dein Vater sind im Schloss. Kalistan ist in die Kaserne gegangen, er versucht, der Stadt wieder eine Verteidigung zu geben.“
„Was dringend nötig ist.“ Nat blickte auf den Gefangenen.
„Wallin und die drei Städter sollten eigentlich helfen, die Ansprüche der Bürger aufzunehmen, sie werden also auch im Schloss sein. Gronik … Nein, niemand würde so dumm sein, Gronik anzugreifen. So allein kann der gar nicht sein, dass man das versuchen sollte. Und Greife sind Nestflüchter. Der Kleine ist jetzt schon gefährlicher als ein ganzer Trupp von diesen Orgelpfeifen hier.“ Sie deutete auf den Mann, der gerade versuchte, das Blut weg zu blinzeln, das ihm in die Augen lief. Mit einer entschlossenen Bewegung nahm Tally einen Eimer Wasser und schüttete ihn dem Mann ins Gesicht, um das Blut wegzuspülen. Der Mann prustete.
Wieder wurde die Tür aufgerissen und der Wärter betrat den Raum.
„Aah, jetzt auch noch mit Wasser gefügig machen. Ihr habt es echt drauf, das sieht man schon.“ Er drehte sich um und verließ türenknallend den Raum.
Tally und Nat sahen sich wortlos an, dann brachen beide in Lachen aus. Doch schnell wurden sie wieder ernst.
„Bleiben noch Odu und Mahti.“ Tally Augen weiteten sich vor Schreck.
„Wir müssen sofort zum Hafen.“ Sie riss die Tür auf und wollte losstürmen.
„Was machen wir mit ihm?“ Nat hielt sie am Arm zurück. „Er hat nicht auf uns geschossen und uns eigentlich auch nicht angegriffen, als wir uns gewehrt haben.“
Tally verzog das Gesicht. Für derartige Überlegungen hatte sie einfach keine Zeit.
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