„Ich hab‘s.“ Nat durchschnitt die Fesseln des Mannes und zog ihn von dem Hocker hoch. „Du läufst ins Schloss und berichtest meinem Vater, Thorbeil Armstark. Sollten wir dich nachher nicht im Schloss antreffen, werden wir dich in der ganzen Stadt suchen. Wenn wir dich dann erwischen, werden wir dich gefesselt in den Käfig des Greifen setzen.“
„Oh Mann …;“ Wieder blickte der Wärter durch die Tür. Offensichtlich hatte er nur die letzten Worte gehört. „Gefesselt in den Käfig des Greifen. Ihr seid ja noch viel grausamer, als Alle, die ich je erlebt habe. Vielleicht sollte ich mir eine andere Arbeit suchen. Ich weiß nicht, ob ich für derartig gnadenlose Taten gemacht bin.“ Er zog den Kopf zwischen die Schultern und ging schnell davon.
Nat stieg ein Lachen in der Kehle auf, doch der Gedanke an Odu und Mahti ließ es ihn herunter schlucken. Er fasste den Gefangenen am Arm und schob ihn vor sich her aus dem Raum. Tally war schon vorausgeeilt. Vor dem großen Speicher, in dem man notdürftig einige Zellen und Verhörräume eingerichtet hatte, um der Flut von Gefangenen Herr zu werden, blieb sie stehen.
Nat gab dem Gefangenen einen Stoß.
„Du gehst jetzt direkt und ohne Umweg zum Schloss. Du sprichst mit niemandem und du kehrst nirgendwo ein. Du bittest darum zum Kanzler von Arkadien geführt zu werden und sagst, dass sein Sohn Nat dich schickt. Dann erzählst du ihm dasselbe, was du mir gesagt hast und wartest dort auf uns. Wenn du nicht da sein solltest … .“
Der Mann winkte ab.
„Ja, das habe ich schon verstanden. Noch etwas. Das Lagerhaus am Hafen ist ein sehr großes, stabiles Gebäude, deren Nordende bei einem Feuer bereits fast heruntergebrannt ist. Die Löcher, die durch den Brand entstanden sind hat man allerdings schon wieder gesichert. Das Lagerhaus liegt zwei Häuser neben der Drallen Dirne .“
Der Name sagte Nat nichts, aber er ließ auf die Verwendung des Gebäudes schließen. Damit sollte es wohl zu finden sein.
„Sag auch das meinem Vater und er soll so schnell es geht einige Männer dort hinschicken.“
Damit drehte er sich um und gab Tally ein Zeichen, die schon unruhig von einem Fuß auf den anderen trat.
Schnell liefen die Beiden los in Richtung Hafen.
Sorgfältig behielten sie die dunklen Gassen und die Hausdächer im Auge, immer auf der Hut vor einem weiteren Hinterhalt. Trotzdem waren sie in kurzer Zeit am Hafen.
Ohne Rücksicht arbeiteten sie sich an den Leuten vorbei, die hier arbeiteten, um den normalen Betreib wieder aufzunehmen. Rrordrak hatte während seiner kurzen Herrschaft jeglichen Schiffsverkehr, sogar für Ruderboote untersagt. Die gesamt Ausfahrt aus dem Hafen war durch Brander blockiert, kleine, eben unter der Wasseroberfläche befestigte Schwimmfallen, auf denen Krüge mit Welfernbrunst vertäut waren. Traf ein Schiff oder Boot auf diese Brander, zerbrachen die Krüge und die Welfernbrunst entzündete sich durch den Kontakt mit Wasser und Luft. Jetzt waren Boote draußen, die versuchten, mit gezieltem Beschuss aus Bombarden die Brander zu entzünden und damit die Zufahrt wieder freizulegen.
Überall wurden Boote und Schiff wieder flott gemacht, um den Seehandel wieder aufzunehmen oder zum Fischen raus zu fahren.
Keuchend erreichten Nat und Tally die Hütte des Hafenmeisters. Auch hier standen mehrere Männer herum und klopften ungeduldig gegen die Tür.
„Was ist hier los?“ fuhr Nat den am nächsten Stehenden an.
„Häh, wassn‘ das für’n Ton?!? Der Hafenmeister is‘ nich‘ da und wir haben Bescheid, dass wir erst raus dürfen wenn der Hafenmeister da ist. Den alten haben sie ja umgelegt, weil er mit diesem Mistkerl Blackard rausgefahren is‘. Jetzt sollte einer aus dem Schloss komm‘n, aber der is‘ noch nich‘ da.“
Tally wurde bleich. Odu und Mahti hätten schon lange hier sein müssen, außer, sie waren in eine Falle getappt.
Zu diesem Schluss war auch Nat schon gekommen.
„Wir müssen zu dem Lagerhaus.“
„Nur wir zwei? Du weißt nicht, wie viele uns dort erwarten.“
Nat winkte ab.
„Die erwarten uns nicht, das ist unser Vorteil. Und wenn sie alle so tolle Kämpfer sind, wie die, die uns angegriffen haben, sind das keine Gegner für uns. Aber mit jedem Moment, den Odu und Mahti länger in ihrer Gewalt sind, wird die Gefahr größer, dass man sie tötet.“
Wenn man das nicht sowieso gleich getan hatte. Dieser Gedanke schoss Nat unweigerlich durch den Kopf, aber er war nicht bereit ihn auszusprechen. Tally ging es anscheinend genauso. Denn ihr stiegen Tränen in die Augen, aber sie nickte entschlossen und fasste mit der Hand nach ihrem Säbel.
Nat ging zu einigen Jungs, die an der Hafenkante saßen und das rege Treiben beobachteten. Er rief einen der Jungen an, der einen aufgeweckten Eindruck machte.
„Hey Kleiner. Ich brauche deine Hilfe.“
Der Junge starrte ihn abschätzig an, dann klappte sein Mund auf. Aber schnell hatte er sich wieder gefangen.
„Ja Herr, ihr seid der, der uns von dem Schwarzen befreit hat.“
Nat hatte keine Zeit, seine Rolle in der Befreiung der Stadt genauer zu beschreiben, also nickte er nur stumm.
Er fasste den Jungen am Arm und zog ihn zu sich heran.
„Ich möchte, dass du so schnell es geht zum Schloss läufst und dich sofort zu meinem Vater, Thorbeil Armstark, bringen lässt. Dem sagst du, dass wir hier am Hafen in Schwierigkeiten stecken. Es werden einige Leute aus dem Schloss auf dem Weg hierher sein. Die sollen direkt zu … .“ Nat tat so als würde er sich suchend umsehen. „… zu diesem Lagerhaus da, mit der angebrannten Nordwand kommen. Ja, ich denke, das ist ein guter Treffpunkt, das kann man leicht erkennen. Wir werden schon rein gehen.“
Der Junge nickte eifrig. Er wollte mit einem Blick auf das Lagerhaus noch etwas sagen, aber Nat klopfte ihm auf die Schulter und schob ihn in Richtung Stadt. Der Junge schluckte, warf ein Blick auf das Lagerhaus, dann rannte er los. Seine Freunde, die Nat mit offenem Mund bestaunt hatten, guckten hinter ihm her.
Nat fasste Tally bei der Hand und unauffällig aber entschlossen schoben sie sich durch die Menschen auf das Lagerhaus zu.
Ein lauter Knall , eine Qualmwolke, dann gepresstes Fluchen.
„Verdammter Gestank … klingelt in den Ohren … gar nicht sehen … muss verändert werden.“
Die Vögel, die erschrocken aufgeflogen waren, ließen sich langsam wieder auf den Bäumen nieder. Einer musste sich einen neuen Platz suchen, denn der Ast, auf dem er gerade noch gesessen hatte, war weg.
Aufgeregtes Gezwitscher erklang, wie eine Gruppe Kinder, die alle gleichzeitig über etwas besonders Spannendes sprechen wollten. Einige Rehe sprengten durch den Wald, aufgeschreckt von dem lauten Krachen und der stinkenden Wolke, die langsam davon zog und sich nur zögerlich auflöste.
Nach und nach verklang das Fluchen, dann herrschte wieder Ruhe. Laut schmatzend lief Vrogak den schmalen Weg zur Hügelkuppe entlang. Natürlich war er zu spät, um seine Wache zu übernehmen. Aber Zeit hatte für Barbaren nun mal keine besondere Bedeutung. Wichtig war doch nur, dass er sich überhaupt auf den Weg gemacht hatte. Eigentlich hatte er noch einige Worte mit seinem Nachbarn wechseln wollen, der ihn schon wieder so schief angeguckt hatte. Wurde Zeit, dass sie sich mal wieder eine kleine Hauerei lieferten. Es war irgendwie nicht mehr ganz klar, wer von ihnen jetzt der Stärkere war.
Was sollte überhaut diese Bewacherei auf dem Hügel. Als ob jemand so blöd wäre, sich mit den Barbaren anzulegen. Wache stehen war eine dumme Idee für einen Barbaren. Nein, sie alle nutzten die Zeit auf dem Hügel um sich mal so richtig auszuschlafen. Das wusste doch jeder.
Jetzt war er gleich oben. Da stand schon Negrez und blickt ihn triefäugig an. Was sollte das? Warum stand er da so blöd? Vrogak spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Dem hatte er auch lange keine mehr gelangt, mindestens drei… äääh … vielleicht sogar noch länger her.
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