Thorbeil Armstark schnaufte verärgert.
„Angst? Die? Das lässt ihr Hochmut doch gar nicht zu. Nein, ich glaube vielmehr, die wissen um Dinge, die mit den Nekromanten zu tun haben. Die könnten uns einiges dazu sagen und wollen es nicht.“
„Kann es sich bei den Nekromanten um verderbte Elfen handeln? Elfen, die durch einen Zauber oder etwas in der Art zu Nekromanten geworden sind?“
Jorina schüttelte den Kopf.
„Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Ich glaube, der Staub, den wir gefunden haben, ist das zerfallene Stück eines größeren Steines. Wie groß kann ich nicht erahnen, aber wenn ich an die Macht denke, die dieser Stein zu verleihen scheint, wird es sich wohl um einen großen Stein handeln. Das könnte bedeuten, dass sich die Wesen durch die Nähe zu diesem Stein verändern. Das wäre aber für die Elfen, deren Magie nur auf dem Glauben an die Natur, an Licht und Schönheit bestimmt wird, ein zu weiter Weg im Denken und Fühlen. Wie der Weg vom hellsten Tag in die tiefste Nacht. Die Zwerge sind dafür zu klein und die Barbaren zu schlicht. Nein, ich glaube, es sind wieder mal wir Menschen, die für das Böse stehen.“
Thorbeil Armstark ließ ein verärgertes Schnaufen ertönen.
„Was für ein anstrengendes Volk, die Menschen.“
Jorina lachte leise.
„Da hast du sicherlich Recht. Immer wieder sind wir es, die den Ärger herauf beschwören. Aber genau deshalb müssen wir auch die sein, die vortreten, um den Ärger wieder einzudämmen und auszulöschen.“
Sie blickte die beiden Männer ernst an.
„Wir machen uns auf den Weg, um den Brandherd zu löschen. Aber was tun wir, um die kleinen Feuer zu verhindern, die jetzt überall auf der Insel entstehen können?“
Sie lehnte sich zurück und schüttelte verärgert den Kopf.
„Mit diesem Drachen können die Nekromanten binnen kurzer Zeit jeden Punkt auf der Insel erreichen. Wenn sie dort ihre unselige Macht einsetzen dauert es Tage, ehe wir davon erfahren und wiederum Tage, bevor wir da sein können, um sie einzudämmen.“
Dumpf brütend starrten die drei vor sich auf den Tisch.
Mit in Falten gelegter Stirn sah Parlass Walgardsson seine Mitstreiter an.
„Gibt es Orte, an denen die Nekromanten nicht angreifen werden? Wo die Entfernung, das Volk das sie angreifen oder der Nutzen für ihre Sache nicht zu der Gefahr passen, in die sie sich begeben?“
„Ich weiß, was du meinst.“ Thorbeil Armstark nickte.
„Werden sie die Elfen angreifen, wenn es möglicherweise so schwierig ist, diese mit ihrer dunklen Magie zu überwinden? Werden sie sich bis nach Arkadien wagen, wenn sie davon ausgehen müssen, dass sich hier der größte Widerstand gegen sie entwickelt? Und … „, Armstark hob den Zeigfinger, „ … wird es sich um einzelne Dolchstiche handeln oder landen sie mehrere ihrer verderbten Kämpfer, die regelrechte Schwertstreiche austeilen, die sich von dort wo sie landen versuchen über die Insel zu verbreiten?“
„Dies alles sind einzelne Zweige an dem verderbten Baum. Uns bleibt nichts anderes, als zunächst die Wurzeln zu kappen und zu verbrennen. Dann stirbt der Baum und wir können seine Ausläufer mühelos zu Kleinholz verarbeiten.“
„Ein schönes Bild.“ Jorina grinste den Kanzler von Rimmond an. „Du solltest Maler werden. Deine Kunst wäre vielleicht nicht die Schönste aber gewiss die Fantasievollste.
Auch Walgardsson musste lächeln. Doch dann wurde er wieder ernst.
„Aber was tun wir gegen diesen Stein? Wenn es sich vielleicht um einen großen Stein, einen Felsen oder gar einen Hügel handelt. Wenn er so viel Böses ausstrahlt, dass sich niemand diesem Etwas nähern kann, ohne in seinen Bann gezogen zu werden. Wie sollen wir ihn zerschlagen oder vergraben oder ins Meer werfen? Wie können wir ihn so vernichten, dass er nie wieder seine böse Macht aufleben lässt?“
Das Lächeln aus Jorinas Gesicht verschwand und ein Schatten der Mutlosigkeit huschte über ihre Züge.
„Das weiß ich nicht, noch nicht. Aber wir werden uns etwas einfallen lassen müssen, bis wir vor dieser Gefahr für alles Lebende stehen.“
Ein Klopfen an der Tür ließ die Drei die Köpfe heben. Die Tür öffnete sich einen Spalt, doch niemand betrat den Raum. Parlass Walgardsson schob verärgert seinen Stuhl zurück, als sich ein kleiner gefiederter Kopf durch den Spalt schob. Schwarze Augen fixierten die Menschen, die lächelnd auf das kleine Etwas blickten, dann öffnete sich der Schnabel und ein kräftiges Kreischen erklang. Eine kräftige Hand schoss hervor und drückte den Schnabel wieder zu. Das Geräusch verklang wie ein Posaunist, dem man die Luft abgedreht hatte.
„Entschuldigt. Eigentlich wollte ich euch zeigen, wie groß er schon geworden ist, nicht wie laut.“
Gronik stand mit einem breiten Grinsen in der Tür. Mit einer schnellen Bewegung schob er das Greifenjunge an seiner Seite in den Raum.
„Bist du dir denn diesmal sicher, dass es sich um einen ER handelt?“
Armstarks Frage war nicht abwegig, denn der Greif, der Gronik lange Zeit begleitete, hatte sich zu seiner Überraschung als Greifenweibchen gezeigt. Noch dazu eines, das ein fast fertig ausgebildetes Ei in sich trug.
Im Kampf gegen den Schwarzen Drachen war der Greif Ilana und Nat zur Hilfe gekommen. Diese Hilfe hatte es Nat ermöglicht den Drachen zu töten, aber leider auch den Greifen das Leben gekostet. In seinem toten Leib hatte Nat das Ei entdeckt, aus dem dann in Groniks Armen das Greifenjunge geschlüpft war.
Der Barbarenfürst nickte grinsend.
„Ich habe ihm sicherheitshalber schon mal unter den Rock geguckt. Diesmal ist ein Irrtum ausgeschlossen.“
Jorina war dem Barbaren am Vortag zum ersten Mal begegnet. Auch jetzt fiel es ihr schwer, sein wildes Äußeres und seine Herkunft mit seiner bildhaften Sprache und seiner gewählten Ausdrucksweise in Einklang zu bringen.
„Sag mal, ist er auch schon enorm gewachsen?“
Gronik nickte stolz.
„Ja. Er frisst wie eine ganze Greifenschar und scheint jeden Bissen für sein Wachstum zu verbrauchen. Es ist noch fast nichts wieder gekommen, wenn ihr wisst, was ich meine.“
„Bis jetzt.“ Angesäuert blickte Thorbeil Armstark auf den Teppich, auf den der Greif soeben einen See von etwa zwei Fuß Durchmesser gesetzt hatte.
„Auch das tut mir leid.“ Das breite Grinsen strafte die Worte des Barbaren Lügen. „Aber ich wollte euch nur zeigen, dass der Kleine auf jeden Fall mit uns reisen kann und vielleicht sogar schon in ersten Kämpfen an unserer Seite stehen kann.“
Parlass Walgardsson schüttelte bedächtig den Kopf.
„Vielleicht sollte er sich zunächst auf ein paar einschüchternde Schreie beschränken.“
„Oder er kann den Gegnern auf den Kopf pissen.“ Thorbeil Armstark war durch Groniks Entschuldigung noch nicht völlig besänftigt.
Jetzt konnten auch Jorina und Walgardsson sich ein kleines Lachen nicht verkneifen.
„Wir freuen uns, dich und deinen Greif an unserer Seite zu wissen. Aber bringe ihn nicht in unnötige Gefahr. Er kann noch sehr wertvoll für die Völker auf Iskandrien werden.“
Jorina war mit den Gedanken bereits weiter, überlegte, wie man ein fliegendes Geschöpf aufhalten sollte, dass man mit Pfeilen wohl gar nicht mehr verletzen konnte.
Gronik nickte zustimmend, verneigte sich leicht und verließ den Raum.
Er überließ die drei Menschen ihren Gedanken an die Zukunft Iskandriens.Die Verbindung war wie ein langes dünnes Seil, wie eine Fessel, die sich um Arme und Beine gelegt hatte und ihm jede Bewegung erschwerte, ja, unmöglich machte. Rrordak verspürte tief in sich den Wunsch nach Freiheit, doch etwas hatte ihn gefangen genommen und war nicht bereit, seinem Wunsch nachzugeben.
Immer noch suchte sein verwirrter Geist nach Antworten. Warum war er hier? Was war passiert? Erinnnerungsfetzen zogen durch die Reste seines Gehirns. Oder durch seine Seele?
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