Sie gingen einen langen Gang entlang, dann bog der Schlossherr auf eine nach unten führende Treppe ab. Vor einer schweren, eisenbeschlagenen Tür blieb er stehen. Brandflecken und Scharten von Axthieben bedeckten das Holz.
„Das ist eine Anfertigung meines besten Baumeisters aus dem Holz der Graueiche, mit einer besonderen Tinktur bestrichen, die das Holz noch härter und vor allen Dingen unbrennbar macht. Unsere Freunde hatten offensichtlich nicht so viel Geduld, ihr Glück zu versuchen. Und der Druide hatte wohl auch keine Lust, seine Kenntnisse hier anzuwenden. Schade.“
Mit einem Grinsen trat Thorbeil Armstark einen Schritt zurück und blickte auf die Wand zu seiner Linken. Er zog seinen Dolch und klopfte wuchtig gegen einen unauffälligen Stein. Der Stein glitt geschmeidig in die Mauer. In dem Loch schossen zwei Klingen aus der Wand. Hätte man den Stein vorsichtig in das Loch hinein geschoben, hätten die Klingen das Handgelenk durchtrennt wie eine Sense die Halme des Korns. Nat zuckte erschrocken zurück.
„Es war ein sehr genialer Baumeister mit einem etwas kranken Verstand, wenn es um Sicherheit und Fallen ging.“
Armstark drehte sich um und drückte auf einen anderen Stein an der gegenüberliegenden Wand. Mit einem Klacken entriegelte die Tür und schwang lautlos nach innen auf. Nat wartete darauf, dass sein Vater den Raum betrat, doch der blieb abwartend stehen.
Mit einer leisen Vorahnung blickte Nat auf den Türrahmen. Ein Zischen erklang, dann schossen drei Speere aus der Wand, zwei aus der rechten und einer aus der linken. Nat schrie auf, vor Überraschung. Ein erneutes Klacken und die Speere zogen sich zurück.
„Ein sehr kranker Verstand.“
Langsam betrat der Schlossherr den Raum. Zögernd folgt Nat ihm und überwand die Türschwelle mit einem schnellen Sprung, den Blick furchtsam auf die drei Löcher im massiven Türrahmen gerichtet.
Thorbeil Armstark konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen.
Er führte Nat zu einigen Waffen- und Rüstungsständern, die an der Wand standen.
„Wie gesagt, wenn ich daran denke, mit welcher Ausrüstung man dich auf deinen Weg geschickt hat, könnte mir jetzt noch schlecht werden. Gut gerüstet warst du nur durch deine … durch unsere Magie.“
Nat verfügte über die Fähigkeit, Magie für sich zu nutzen, um in bestimmten Situationen, in Gefahren oder Kämpfen, gezielt zu agieren und die notwendigen Schritte voraus zu ahnen. Außerdem bescherte seine Magie ihm eine besonders gute Heilung. Als er sich im Kampf gegen Rrordrak und seine Mannen immer mehr Arkadien genähert hatte, hatte sich seine Magie mit der Magie seines Vaters verbunden. Das hatte die Magie noch erheblich verstärkt und ihn so unter anderem den Kampf gegen den Drachen überleben lassen. Allerdings hatte dies die Magie seines Vaters erheblich erschöpft, weil sie ihn gleichzeitig im magischen Eis, in das Rrordrak ihn eingeschlossen hatte, am Leben erhielt.
„Da diese Magie im Moment nicht mehr stark genug ist, muss vielleicht das ein oder andere gute Stück Eisen seinen Zweck erfüllen.“
Er nahm eine geschlossene Weste von einem der Rüstungsständer. Nat betrachtete das stumpf dunkelviolette Ding, das aussah wie eine leicht ölige Froschhaut mit leichter Abscheu.
Wieder lachte sein Vater auf.
„Ich weiß, das habe ich auch erst gedacht.“
Er drückte seinem Sohn die Weste in die Hand.
Nat wunderte sich, ob des geringen Gewichts. Er zog sie über den Kopf. Hatte er die Weste zunächst für zu klein gehalten, passte sie sich jetzt seinem Körper an und umschloss ihn, wie von einem guten Schneider gefertigt.
„Das ist … Uufff … !“ Nat spürte einen schwungvollen Druck gegen seinen Bauch. Er sah seinen Vater an, der die Keule zurückzog, die er seinem Sohn gerade in den Bauch gerammt hatte.
„Siehst du, wie die Weste, die Rüstung den Angriff abfängt. Eigentlich hätte so ein Treffer dich umwerfen müssen, auch wenn ich noch nicht wieder ganz bei Kräften bin.“ Das angestrengte Keuchen unterstrich die Worte des Herrn von Arkadien.
Nat blickte an sich herunter. Die Weste hing geschmeidig am Körper und zeigte nicht die geringsten Spuren des Angriffs.
„Das sitzt gut. Was ist das?“ Nat ließ den Stoff der Weste durch seine Finger gleiten. Sie fühlten sich glatt und warm an, wie aus einzelnen feinen Gliedern zusammengesetzt.
„Das ist ein Metall, das die Zwerge Virodeum nennen. Ich glaube nicht, dass ein Menschenschmied in der Lage wäre, dieses Metall zu verarbeiten. Die Zwerge haben mir drei dieser Westen geschenkt. Eines habe ich Sharns Vater mitgegeben, als er Iskandrien verließ. Das zweite trage ich selber und das letzte gebe ich jetzt an dich.“ Die Worte kamen so entschlossen und so voller väterlichem Stolz, dass Nat keinen Versuch unternahm, seinem Vater zu widersprechen. Der hatte sich auch bereits abgewandt und ging zu einem Waffenständer. Hier waren mehrere Schwerter aufgestellt, an einem weiteren Ständer lehnten zwei Hellebarden.
Thorbeil Armstark griff nach einem der Schwerter. Er blickte sich prüfend um. Dann ging er mit einem leichten Nicken zu dem Ständer mit den Hellebarden. Mit einer Hand schwang er das Schwert mit der mehr als armlangen Klinge. Wie durch Butter fuhr das Schwert durch das Holz des Waffenständers und teilte ihn in der Mitte. Krachend fiel der Ständer in sich zusammen, die Hellebarden polterten zu Boden.
„Elfenstahl. Unzählige Male gefaltet und geschmiedet.“
Er hob abwehrend die Hand.
„Frag mich nicht, ich kann dir über diese Kunst nichts verraten. Ich weiß nicht, wie ein solches Schwert geschmiedet wird, weiß gerade was gefaltet und geschmiedet bedeutet. Ich kann dir nur sagen, dass dieses Schwert überraschend leicht ist, sich durch die meisten Materialien wie durch Gras schneidet und dabei unzerbrechlich zu sein scheint.“
Kichernd verzog der Schlossherr das Gesicht.
„Als ich so alt war wie du es jetzt bist, habe ich noch gedacht, ich bräuchte solche Waffen nicht. Schließlich sei ich doch ein überragender Kämpfer. Aber in einem Kampf oder einem Gefecht mit etlichen Gegnern, die nur deinen Tod wollen, brauchst du jeden Vorteil, den du erlangen kannst.“
Er drückte seinem Sohn das Schwert in die Hand. Der ließ die Waffe mehrmals hin und her schwingen. Es fühlte sich so leicht an, wie ein Zweig. Wie die, die er früher genommen hatte, wenn er mit seinen Freunden Krieg gespielt hatte. Er ließ die Waffe auf die Überreste des Waffenständers nieder sausen. Ohne großen Widerstand fraß sich die Klinge durch das Holz. Nats Augen weiteten sich und ein breites Grinsen verzog sein Gesicht.
Er sehnte sich gewiss nicht nach Kämpfen und Blutergießen, aber wenn es dazu kommen sollte ... Gnade den Gegnern, ihr Götter … dann würde er gerüstet sein.
Er zog das Schwert, das er trug und ließ es achtlos zu Boden fallen. Dann steckte er das Elfenschwert in die Scheide. Er vergewisserte sich, dass das Schwert auch wirklich sein Ziel gefunden hatte, denn er spürte kaum das Gewicht an der Hüfte.
Sein Herz quoll über vor Freude. Diese Waffe und die Rüstung waren die fantastischsten Dinge, die er je erhalten hatte. Aber selbst dann, wenn er einen Fassdeckel und ein Holzschwert bekommen hätte, wäre er unsagbar stolz gewesen, denn es waren die ersten Geschenke, die sein Vater ihm gemacht hatte, von denen er wusste.
Bewegt gab er dem Mann die Hand. Der zog seinen Sohn mit einem Ruck an sich und umarmte ihn innig. Und beide versuchten die Tränen zu verbergen, die ihnen über das Gesicht liefen, bei den Gedanken, was sie gefunden und was sie unwiederbringlich verpasst und verloren hatten.
Doch halt, oh ihr Götter,
wo Leben ersprießt,
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