Etliche Männer erfahren in der biologischen Tatsache ‚nur’ Väter zu sein, ein nicht kompensierbares Defizit. Ungeachtet dessen auch immer wieder zu hören ist, dass Frauen ihr biologisches Weiblich-Sein negativ bewerten, mit den Argumenten: Männer haben’s gut, die bekommen keine Periode, Männer haben’s gut, die können im Stehen pinkeln und überall, Männer haben’s gut, die haben weniger Angst vor ungewollter Schwangerschaft….Dennoch, manches Mal vielleicht unangenehm, belastend anmutend, wird doch mit dem Austragen eines Kindes und dem oft schwülstig gebrauchten Ausdruck: ‚neues Leben schenken’ ein hohes menschliches Gut weiter gegeben. Wurde mein geschiedener Mann gefragt, was das Schönste in seinem Leben gewesen sei, antwortete er, die Geburt meiner Kinder mit erlebt zu haben. Dass Frauen als Gebärende sich in ihrer Geschlechterrolle positiv fühlen, ist nicht allgemein so. Ich erzähle hier bewusst von meiner subjektiven Erfahrung.
Auch die Zeit des Stillens ist mir als intensive Bereicherung in Erinnerung. Der Vater meiner Kinder verhielt sich vorbildlich, indem er nachts aufstand, mir die Kinder zum Stillen ans Bett brachte und sie anschließend, wenn nötig, wickelte. In dieser Beziehung schien mir unsere partnerschaftliche Rollenaufteilung gerecht und gleichberechtigt.
Insgesamt war ich zu Zeiten der Geburt meiner Kinder und in ihrer kleinkindlichen Entwicklungsphase in meiner Mutterrolle zufrieden und ohne eine zusätzliche Berufstätigkeit zu missen.
(Im Nachhinein glaube ich, dass meine Zufriedenheit in dieser auf die Mutterrolle beschränkten Zeit auch damit zusammenhing, dass ich noch nicht in eine jahrelange Berufstätigkeit hineingewachsen war, sondern erst am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit stand und zuvor mit Reisen und unregelmäßiger Berufsausübung beschäftigt war. Zudem ist der Lehrerberuf für eine Auszeit während der Kleinkindzeit sehr geeignet, denn große Karriereleitern, bei denen die Kinderauszeit zum Stillstehen zwingt, sind nicht zu erklimmen.)
Während ich mich in meiner weiblichen Rolle als Hausfrau und Mutter selbst gut akzeptieren konnte (natürlich gab es auch Tage, in denen mir alles zu viel war, die Kinder zu anstrengend, Haus und Garten zu groß und meine Haushalts- und Mutteraufgaben zu hirnlos. Doch erstens vergingen diese Gedanken und zweitens wusste ich mich mit Dingen zu beschäftigen, die meinen Kopf beanspruchten (Lesen, Politik)), doch litt ich in der Zeit meiner Ehe - zu Hause und mit Kleinkindern – unter der finanziellen Abhängigkeit. Dass dies großteils auch an der Struktur meines Exmannes lag, wusste ich auch damals bereits, später aber wurde es mir umso klarer, je mehr ich mich eingeengt und unselbständig fühlte. Ich hatte in den ersten Jahren unserer Ehe kein eigenes Einkommen, kein eigenes Konto, ich war hundertprozentige Mutter und Hausfrau. Ich hatte einen Ehemann, der auf Ordnung, Sauberkeit und Wert legte sowie eine Frau erwartete, die ihn unterstützt, ihm ‚den Rücken frei hält’, möglichst alle Interessen gemeinsam ausübt (gleichgültig, ob es gemeinsame gibt) und abends Händchen haltend am Kamin sitzt. Ich fühlte mich wie gefangen. Dazu unselbständig, unfrei und vor allem unverstanden, wenn ich die zu vielen Gemeinsamkeiten monierte.
Im Grunde unterschied ich mich damals durch nichts vom Leben meiner Mutter eine Generation zuvor. Lediglich eine Haushälterin hatte ich nicht. Ich machte alles selbst.
Aus diesem Zustand schaufelte ich mich nach und nach frei. Ich hatte meine Mutter zeitlebens als unselbständig und von ihrem Ehemann unterdrückt empfunden, nun war ich genau dies ebenso.
Mit viel Energieaufwand, vielen Streitigkeiten, unendlichen Kämpfen, mein Ehemann wollte keine Trennung, ließ ich mich auf meinen Entschluss scheiden, als die Kinder elf und vierzehn Jahre alt waren.
Dies ist nun achtzehn Jahre her und ich gab meine Freiheit zu keinem Moment mehr auf.
Es begannen harte Zeiten, in denen ich den weiblichen und männlichen Part im Alltagsleben gleichzeitig ausfüllte. Ich übernahm die Frauen- und Männerrolle in einem: betreute und erzog meine Kinder, war berufstätig, kümmerte mich um Haus und Garten, unternahm Reisen, pflegte Freundschaften und hatte Männerbeziehungen.
Für Dinge, die ich handwerklich nicht konnte, bezahlte ich Fachleute.
In Dinge, die mich früher nicht interessiert hatten (Finanzen), arbeitete ich mich ein.
Ich genieße bis heute, dass ich keine Auseinandersetzungen mehr führen muss darüber, wann ich weggehe, warum ich weggehe, wann ich wieder komme und ob das überhaupt sein muss. Ich komme und gehe, wann ich will.
Ich mag Männer und ohne Beziehung zu einem Mann war ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr.
Aber ich lasse mir keine Freiheiten mehr nehmen.
Ich lebe seit dem Auszug meines Exmannes allein in meinem Haus und habe für Männer eine Schublade frei, mehr nicht.
Meine Biographie, die ich beschrieben habe, soll die Subjektivität bzw. Perspektivität zeigen, mit der ich das Thema ‚Junge oder Mädchen’ betrachte bzw. behandele.
Dabei geht es mir auch darum, zu verdeutlichen, dass der Blick auf die gesellschaftliche Geschlechterrolle immer auch mit der eigenen Biographie zusammenhängt und von ihr geprägt ist.
Vater-, Mutterrolle, Geschwisterkonstellation, genetische Eigenschaften, Sozialisationsvorbilder, Männerbindungen, Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, all diese Faktoren bilden das Muster zum individuellen Frau- oder Mannsein und wie frau oder man(n) damit umgeht.
Aus meinem eigenen Erfahrungsbereich möchte ich nun drei Exkurse anschließen, die meine Sichtweise auf die Thematik verändert haben und einen bewussteren, kritischeren Umgang zur Folge hatten.
Studium: Themen meiner Examensarbeiten
Wie vermitteln Lesebücher unserer Zeit die technische Welt?
Bewusstmachen und Abbau geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens als eine Intention des Deutschunterrichts
dargestellt an Unterrichtssituationen des 5. Schuljahres an der GHS des Dillkreises in Niederscheld
Beide meiner Examensarbeiten für das Grundschullehramt hatten einmal im weitesten, das andere mal im engeren Sinne mit ‚Jungen oder Mädchen’ zu tun, bzw. bezogen sich auf Deutungen zu Interpretationen dieses Themas.
Wie vermitteln Lesebücher unserer Zeit die technische Welt?
1973 verfasst, ergab die Lesebuchanalyse, abgesehen vom Untersuchungsschwerpunkt, dass die technische Welt, der Aspekt des Sachunterrichts, zu Beginn der Siebziger Jahre erst spärlich und langsam Eingang in die Lesebücher fand, hinsichtlich des Themas ‚Junge oder Mädchen’ eine eindeutige Aussage: wenn technische Inhalte vermittelt wurden, waren es Jungen, die in diesen Geschichten vorkamen. Die typische Zuordnung ‚Technik’ – Jungen wird nahezu hundertprozentig untermauert: ‚Moritz an der Tankstelle’, ‚Martin stoppt den Nachtzug’, ‚Peter fliegt zum ersten Mal’ etc. In vielfacher Weise wird Jungen technisches Interesse attestiert, während Mädchen in den Lesebüchern mit Tieren spielen, Freundschaften schließen.
Die Zeit der kritischen Hinterfragung der klassischen Rollenaufteilung – hier im kurz dargestellten Rahmen einer Schulbuchuntersuchung, die aber exemplarisch für die beginnende emanzipatorische Entwicklung steht: Mädchen spielen mit Puppen, Jungen spielen mit der Eisenbahn – erhielt zu Beginn meiner Studienjahre einen immensen Anschub.
So ist es nicht, sagten wir selbstbewussten Frauen, wir lassen uns nicht in die Puppenecke abstempeln, wir können auch alles.
(Meine Reflexion, dass wir vielen vielleicht auch könnten, aber nicht wollen, setzte erst Jahre später ein.)
In meiner zweiten Examensarbeit stand das Thema der Geschlechter dann eindeutig im Zentrum.
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