Ich genoss es auch, einige mir unliebsame Dinge gerne Jungen zu überlassen, zum Beispiel Schränke aufbauen und Reifen wechseln.
Dass ich später, um emanzipiert zu sein, das Gegenteil beweisen wollte, nämlich: ich kann auch Reifen wechseln und Regale aufbauen, war zu meiner Jugendzeit noch nicht absehbar und diese ‚emanzipierte Einstellung’, ich muss alles können, was Jungen können, hat sich im Laufe der Jahre auch wieder verändert, und ich konnte und kann heute ausgesprochen gut beim Reifenwechseln und Schränke aufbauen zugucken und froh sein, es nicht selbst machen zu müssen. Die Ambivalenzen in meiner Haltung führten unter anderem zur vorliegenden Auseinandersetzung und Reflexion mit dem Thema.
Wenn ich die verschiedenen Gefühle, Verhaltensweisen und Handlungen, die mosaikartig in mir aneinandergereiht, eher durcheinander gewürfelt, sind, entsteht ein diffuses Bild:
Ich sollte von meinen Eltern aus Junge sein – ich bin Mädchen und fühle mich in meiner Mädchenrolle (unbewusst) wohl – ich bin als Mädchen dominant und verhalte mich nicht ‚typisch’, spiele nicht ‚nur’ Mädchenspiele (aber auch, z.B. Rollenspiele), ich spiele nicht gerne mit Puppen, ich brumme aber auch nicht gerne mit Autos herum, klettere auf Felsen, auf Bäume (aber schlecht), wünsche mir aber einen ‚großen Bruder’, der mich beschützt und den ich bewundern kann- ich achte auf ‚gutes, schickes Aussehen’, fühle mich wohl in der Rolle, von Jungen beachtet zu werden, fühle mich auch geschmeichelt, wenn sie mich für manche ‚mutige’ Tat bewundern, will ihnen aber auch in nichts zurückstehen: bei Kälte sich ins Wasser wagen, feiern bis zum Ende, kleine Illegalitäten mittragen, eben so sein wie Jungen – ich fahre auf dem Motorrad mit, aber mich interessiert kein Motor, ich zelte gerne in der Clique am Lagerfeuer und singe, aber ich baue nicht gerne ein Zelt auf, sondern schaue lieber zu. Ich helfe meiner Mutter nicht gerne in der Küche, sondern verlasse sie nach dem Essen fast fluchtartig, ich koche bis heute nicht gerne. Ich habe mich noch nie freiwillig handwerklich betätigt, meinem späteren Ehemann nur höchst ungern assistiert, habe aber Phasen durchlebt, in denen ich meinen Kindern Pullis und mir Schals strickte, nie talentiert, eher einer Modeerscheinung folgend, als Jugendliche hätte ich niemals freiwillig Stricknadeln angefasst.
Lesen ist seit meiner Kindheit eine Leidenschaft von mir, in meinem Kinder- und späteren Jugendzimmer stapelten sich die Bücher: kunterbunt in der Thematik und weder typisch jungen- noch mädchenbezogen in populärer Klassifizierung: als Kind las ich überwiegend Tierbücher (mein Lieblingstierbuch: Der schwarze Hengst Bento) und im Alter zwischen 12 und 14 Jahren sämtliche 70 Karl May-Bücher, etwa 30 ledergebunden aus der Jugendbibliothek meines Vaters, die weiteren 40 Bände ließ ich mir schenken oder kaufte sie von meinem Taschengeld, ich las auch Astrid Lindgren – Bücher und aus der Jugendzeit meiner Mutter: Der Trotzkopf, ein späteres Lieblingsbuch von mir.
Betrachte ich meine Schilderungen reflektierend, sehe ich viel stärker eine Zweiseitigkeit, eine bipolare Position im Denken, nach der ich in meiner Jugendzeit zwischen 16 und 25 Jahren zwar lebte, deren ich mir aber damals nicht bewusst war.
Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich ‚einen festen Freund’.
Es gab auch zwischendurch Probleme mit einem zweiten und ich war unsicher, für wen ich mich entscheiden sollte, also spielte ich auch mal Bäumchen wechsel’ dich, doch einer war immer für mich da. Bis zum heutigen Tag.
Ich erlebte in meinen Männerbeziehungen wenig Enttäuschungen, wenn, gingen Trennungen von meiner Seite aus. Unbewusst oder sogar instinktiv suchte ich mir Männer aus, die stabile Beziehungen leben konnten, zuverlässige, ‚bodenständige’, keine notorischen Fremdgänger. Ich brauchte die Stabilität, um meine fehlende Vaterbeziehung zu kompensieren. Mein Vater war eher abwesend als anwesend, dominierte meine Mutter, die nicht berufstätig war, sondern, obwohl sie Abitur und ein Semester Medizin studiert hatte, ihrer Hausfrauenrolle nachkam. Für ihre unkritische devote Haltung meinem Vater gegenüber, sie meinte, so ‚am besten mit ihm auszukommen’, verachtete ich sie fast zeitlebens. Emotional war mein Vater der schwächere, der seine Sensibilität tief zu verstecken wusste. In unserem Familienleben richteten sich aller Augen auf ihn, er nahm die Rolle des Patriarchen ein, dem aber das ‚Väterliche’ der Rolle fehlte. Vielmehr entzog er sich aller alltäglichen Verantwortung, ging in seiner Funktion als Unternehmenschef auf, bestimmte aber, wenn er sich zu Hause aufhielt des Tagesrhythmus im Hause. War er auf ‚Geschäftsreisen’, was häufig vorkam, lockerten sich Atmosphäre und Stimmung unter uns Kindern und unserer Mutter sichtlich auf.
Mein Interesse, die Aufmerksamkeit und Anteilnahme von Männern zu erhalten, wurzelt in meiner Vaterbeziehung, in der es an ebendieser Zuwendung mangelte.
Ich hatte nach außen einen starken, dank seines beruflichen Erfolges und seiner Intelligenz, seines Wissens einen geachteten und geschätzten Vater, den auch ich in diesen Bereichen bewunderte. An seiner fehlenden Empathie, seiner Anerkennung gegenüber seinen Töchtern litten meine Schwester und ich so lange ich denken kann.
Einerseits stark, andererseits schwach, ein Männerbild, das mich unbewusst in Vielem lenkte.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Mann-/Fraurolle der Eltern auch die eigene Identität beeinflusst und determiniert. Seitenweise füllt dieses Thema Psychologie- und andere Bücher. Setzt der Bewusstwerdungsprozess im eigenen Ich darüber ein, werden Lebensentscheidungen klarer, Männerbeziehungen begründbarer und eventuell verändert sich mit der Erkenntnis die Handlungsfähigkeit, wenn Unzufriedenheit mit der Selbsteinschätzung einhergeht.
In mir haben sich so unterschiedliche Positionen von weiblichen und männlichen Gefühls- und Betrachtungsmöglichkeiten eingenistet, dass ich im negativen Sinne von einer Zerrissenheit sprechen könnte, im positiven Sinne von einer großen Flexibilität und Vielseitigkeit.
Eingebettet in zwei starke selbstbewusste Großmütter, die eine bereits mir 39 Jahren Witwe, die andere eine stolze, intelligente Frau, ihrem Ehemann in psychischer Stärke und individuellem Eigenleben stets überlegen, erlebte ich Vorbildcharaktere, die mich prägten; genetische Faktoren müssen in meiner rollenspezifischen Sozialisationsgeschichte und meinem Rollenverständnis als Frau dabei unberücksichtigt bleiben, da ihr Einfluss Interpretation wäre und nicht Beweis sein könnte.
Ich wuchs unter Frauen auf, einer Mutter, die sich zwar äußerlich ihrem Mann unterordnete, ich würde sogar sagen, sie ‚diente’ ihm zeitlebens, die aber in ihrem Inneren einen starken Charakter hatte, sich ihre stabile Psyche nicht von ihm zerstören ließ und nach seinem Tod eine bewundernswerte Selbständigkeit bewies; einer Schwester, der ich schon aufgrund meines Alters um ein Jahr überlegen war und den beiden Großmüttern, die mir selbständiges Denken und Handeln als Frau zur Selbstverständlichkeit werden ließen, ausgeschlossen die finanzielle Selbständigkeit, denn eine Großmutter erhielt Witwenrente und lebte mit ihrem unverheirateten Bruder in einer Art Wohngemeinschaft (eine zur damaligen Zeit höchst ungewohnte Form eines geschwisterlichen Zusammenlebens), die andere lebte in finanzieller Abhängigkeit ihres Mannes, die sich jedoch einzig und allein auf diesen Bereich beschränkte. Selbst hier demonstrierte meine Großmutter (Jahrgang 1899) Autonomie, indem sie den Schlüssel des Familienpanzerschrankes besaß und sich uneingeschränkt und unkontrolliert Zugang zu Geld verschaffen konnte und dies auch tat.
Diese biographische Geschichte bestimmte meine geschlechtsspezifische Identität.
Читать дальше