Caesar suchte und fand den Blick der Agentin. Sie deutete mehrfach auf ihn und auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne der goldgelben Landschaft. Es dauerte nicht lange, bis der Anführer der Gorillas begriff. Doch anstatt in die Freiheit zu marschieren, grunzte und bellte er zu seinen Artgenossen. Die Unterhaltung hielt fast fünf Minuten an, nur ab und zu durch kurze Antworten anderer Gorillas unterbrochen. Menschen und Mazzar konnten beobachten, wie sich die Nachrichten aus der Mitte der Affenähnlichen, welche Caesar bildete, wellenartig nach außen verbreiteten und als knappe Erwiderungen zurückrollten, als würde Wasser sacht an einen Strand branden.
Und dann geschah etwas Erstaunliches.
Alle Gorillas wandten sich der Gruppe um Bérénice zu und ließen sich auf ein Knie nieder.
»Soll das wieder mal ihre Unterwerfung andeuten?« Laurents Stimme triefte nur so vor Zweifel. »Sie haben uns schon zwei Mal damit getäuscht.«
»Abwarten«, hielt ihn Bérénice auf. »Sie fassen sich zwar wieder an ihre Hauer, sie streifen sie aber nicht symbolisch ab oder zeigen uns ihre offenen – unbewaffneten Hände.« Die Agentin drehte sich halb zu Naya um, die es allen gleichtat und beobachtete, wie Caesar und seine Artgenossen ihre Pranken so hielten, als hätten sie die Hauer immer noch darin und streckten sie Bérénice Savoy entgegen.
»Sie kapitulieren«, warf Laurent Girard ein. »Sie strecken die Waffen.«
»Nein«, widersprach Naya. »Sie strecken ihre Waffen nicht. Sie bieten sie uns an! Ich verstehe das so, dass sie gewillt sind, auf unserer Seite zu kämpfen … gegen ihre einstigen Unterdrücker, gegen die Hydren.«
Bevor Laurent darauf antworten konnte, begannen die Gorillas zu singen : Seltsame Töne drangen aus den zahnbewehrten Mäulern der ehemaligen Sklaven und selbst die im weiten Rund ruhenden Slide-Wesen reagierten darauf.
»Das erinnert mich irgendwie an mongolischen Kehlkopfgesang«, sagte Bérénice erstaunt. »Und sie klingen dazu wirklich wie eine Horde Gorillas. Keuchen, Bellen und Fauchen …«
»Ich kann auch Ähnlichkeiten zur indigenen Sprache der Inuit feststellen«, fügte der BEHEMOTH ungefragt hinzu. »Ich füttere gerade den Translator damit. Er wird die Laute analysieren und womöglich eine Syntax darin entdecken. Wenn der Gesang ausreichend verschiedene Elemente enthält und sich nicht nur in den immer gleichen Wiederholungen ausdrückt, könnte eine rudimentäre Verständigung möglich werden.«
»Du meinst, wir könnten bald nicht nur telepathisch mit den Gorillas kommunizieren, sondern auch akustisch?«
»Die Möglichkeit besteht, Agent Savoy. Allerdings sind die Daten noch viel zu gering, um eine Wahrscheinlichkeitsberechnung erstellen zu können.«
Alle wandten sich den singenden Gorillas zu und waren fasziniert, wie anders die hartgesottenen Affenähnlichen plötzlich auf sie wirkten. Die Darbietung hatte etwas Surrealistisches an sich: Rund 150 Gorillas knieten auf dem Boden, bellten, fauchten, sangen ein Lied, das vor ihnen wohl noch nie ein Wesen aus dem Einsteinraum gehört haben konnte.
Umgeben wurden die Affenähnlichen und die wenigen menschlichen und mazzarischen Zuhörer von insgesamt 24 Slide-Wesen, ebenfalls ehemaligen Sklaven der Hydren. Ob es an dem zauberhaften Licht Ambers lag, der unerwarteten Freiheit und Rückkehr der Slide auf ihren Heimatplaneten oder wirklich nur am Gesang der Gorillas, konnte niemand sagen. Auf jeden Fall verschwanden die finsteren Schutzschirme der Lebendraumschiffe, verflüchtigten sich als schwarzer Morgennebel in den bernsteinfarbenen Strahlen der Sonne und präsentierten monströse Wesen, die wie von Zauberhand verwandelt nicht mehr finster und bedrohlich wirkten, sondern eher wie bedauernswerte gestrandete Wale an einem flachen Meeresstrand. Offenbar wirkte das Freiheitslied – so empfand es zumindest Bérénice und verlor viel ihrer eigenen Niedergeschlagenheit – auch auf die riesigen Lebewesen.
Als das Lied endlich endete, klang Freitags Stimme auf; wie immer nüchtern und ohne besondere Betonung. Dennoch empfand Bérénice tatsächlich Enttäuschung, als ihr die Konsequenz daraus bewusst wurde.
»Nach meiner vorläufigen Analyse komme ich zu dem Schluss«, begann der Roboter, »dass der Inhalt dieses Gesangs nicht direkt in Worte umzusetzen ist. Die Kombination der Klänge mit der Körpersprache lässt mich aber erkennen, dass die Gorillas zweifache Inhalte transportieren …«
»Welche wären?«
»Glückwunsch und Ehrerbietung. Die Gorillas beglückwünschen die Slide-Wesen zu ihrer Freiheit. Ich berechne eine Wahrscheinlichkeit von 83,4 %, dass sie die lebenden Schiffe für diesen Umstand beneiden.«
»Und die Ehrerbietung?«
»Gebührt Ihnen, Agent Savoy. Die Gorillas haben offensichtlich erkannt, dass Sie keine neue Sklavenhalterin sind und ehren Sie dafür.«
»WOW!«, entfuhr es Naya und fügte hinzu: »Das deckt sich mit meinen empathischen Beobachtungen. Die Gorillas schätzen es hoch ein, dass du ihnen auf dieser Welt die Freiheit geben wolltest. Da sie aber grundsätzlich extrem solidarisch sind, spüre ich, dass sie ihre Freiheit dahingehend nutzen wollen, auch andere Gorillas vom Joch der Hydren zu befreien.«
»Und was bedeutet das jetzt?« Laurent Girard stand immer noch der Zweifel im Gesicht.
Bérénice setzte ein wölfisches Lächeln auf. »Dass wir mindestens drei Slide-Schiffe mit einer Besatzung ausstatten können: Je ein empathischer Rigelianer und eine Abteilung Gorillas … die auch noch für uns gegen die Hydren kämpfen werden!«
»Was hast du also vor, Nice?«
»Wir fliegen nach Hause!«
Kaum hatte Bérénice ihre Absicht bekundet, als sie eine doppelte Anwandlung, fast wie ein mentaler Taumel verwirrte. Für die Dauer eines Wimpernschlages rechnete sie mit einem Hypno-Überfall der Hydren. Doch dann wurde ihr klar, dass es etwas ganz anderes war: Sie fühlte sich plötzlich wie ein Mann … ein längst toter Mann. Mit eisernem Willen kämpfte sie gegen eine neue Vision an, zu der sie jetzt keine Lust hatte.
Als hätte ich die anderen genießen können, fluchte sie stumm und musterte ihre Freunde, die sie abwartend anschauten. Doch sie konnte sich nicht bewegen. Ich will nach Hause … wieder einmal. Dann gewann die zweite Empfindung die Oberhand. Es wird nicht so einfach vonstattengehen. Ich … wir werden Umwege zurücklegen müssen. Es wird Zeit brauchen. Odysseus brauchte nach dem Fall Trojas zehn Jahre, bis er die Heimat wieder erreichte. Ich habe nicht vor, so viel Zeit verstreichen zu lassen …
Und als hätte diese Erkenntnis den Bann gebrochen, war sie wieder völlig im Hier und Jetzt.
»Naya. Kannst du Caesar verständlich machen, dass er seine Leute auf die MOBY DICK und zwei weitere Schiffe verteilen soll?« Sie wartete gar nicht erst deren Antwort ab, sondern wandte sich gleich Arliss zu. »Und darf ich Sie darum bitten, es mit Ihren Mazzar ebenso zu tun?«
Arliss nickte in menschlicher Manier und begann sich an ihre Unterführer zu wenden.
Die Rigelianerin ging mit Flynn und Roy zu Caesar, dessen Artgenossen eine Gasse freimachten, um den drei Mutanten den Weg zu ihm zu ermöglichen. Bérénice verfolgte gespannt die Szene und hatte den Eindruck, dass die Gorillas nun eine völlig andere Körpersprache zeigten: Die langen Arme hingen entspannt herab, anstatt wie früher bereit zu sein, alles und jeden mit ihrem Zangengriff zu umfassen. Die Gesichter, vor allem ihre dunklen Augen, drückten Achtung und dennoch hellwache Aufmerksamkeit aus.
»So still, Freitag?«, fragte die Agentin leise, als sie bemerkte, dass nur noch der Kampfroboter in ihrer unmittelbaren Nähe weilte, da Laurent Girard sich ein wenig zurückgezogen hatte und nahe der Rampe zur MOBY DICK stand und die Umgebung im Auge behielt.
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