Gemeinsam versuchten sie die Frau so hinzulegen, dass ihre Beine nicht mehr so verdreht da lagen. Mit einem nassen Lappen tupften sie ihre Stirn ab, sie schwitzte stark.
«Wir müssen Hilfe holen!», schlug Gert vor, «wir schaffen es nicht alleine.»
«Haben sie ein Telefon?», fragte Dieter.
«Nein im Haus habe ich kein Telefon», erklärte die Frau, «wenn ich anrufen muss, gehe ich zur Post.»
«Gerd rennt du zur Post und ruft um Hilfe, ich bleibe solange bei ihnen.»
Gerd wollte eben das Haus verlassen, als die Türe mit grosser Wucht aufgestossen wurde. Ein Polizist mit vorgehaltener Pistole stürmt herein und brüllt: «Hände hoch! Ergebt euch!»
Die beiden Buben blickten ganz verwundert auf den Polizisten, welcher immer noch überzeugt war, dass er soeben Banditen auf frischer Tat ertappt hatte, welche sich eben daran machten, die Frau zu töten und anschliessend zu berauben. Dieter hob zögernd die Hände, wie er es schon mal in einem Film gesehen hatte. Gerd machte es ihm nach.
Der Polizist war überrascht, dass er es mit zwei jungen Lümmeln zu tun hatte. Der Nachbar, hatte von zwei dunklen Gestalten gesprochen. Die Situation war immer noch verwirrend. Der Polizist war mit der Situation überfordert und das Schlimmste, die Frau fiel vor Schreck in Ohnmacht und lag wie tot am Boden.
«Wir wollten der Frau nur helfen», stammelte Dieter.
«Wie helfen? – Indem ihr sie um ihre Ersparnisse erleichtert?», stellte der Polizist fest, «ist sie schon tot?»
«Bevor sie kamen, hatte sie noch gelebt», erklärte Gert, «sie hat das Bein gebrochen und wir wollten Hilfe holen».
«Nun mal langsam», der Polizist begann zu grübeln, «was wolltet ihr?»
«Wir wollten leer Flaschen abholen und dann hatten wir im Innern ein Klopfen gehört.»
«Das ist die dämlichste Ausrede die ich je gehört habe», stellte der Polizist fest. Zumindest hatte er inzwischen festgestellt, dass von den Buben keine grosse Gefahr ausging und er die Pistole zurück in das Halfter stecken konnte.
Inzwischen hörte man von draussen Polizeisirenen. Drei weitere Polizeiwagen trafen vor dem alten Haus ein. In Kampfkleidung stürmten die ersten ins Haus. Der Polizist winkte ab, sie sollen sich beruhigen.
«Ruft lieber einen Krankenwagen, die Frau muss dringend ins Spital», erklärte er seinen Polizeikollegen.
Die brauchten einige Zeit bis sie merkten, dass es sich hier nicht um einen Überfall handelte. Noch waren sie nicht sicher ob es sich um einen Unfall oder um einen Jungenstreich handelte.
«Als erstes brauchen wir sofort einen Krankenwagen», erklärte der Polizist.
«Der müsste bereits unterwegs sein, wir haben einen vorsorglich angefordert.»
«Sehr gut, dann haltet uns mal die Neugierigen vom Leibe, damit wir uns um die Frau kümmern können.»
Vor dem Haus hatten sich inzwischen gegen zwanzig Leute aus der Nachbarschaft versammelt, welche versuchten einen Blick in den Hauseingang zu werfen. Dann traf endlich ein Arzt ein.
«Wer hatte die Frau gefunden?», fragte er.
«Wir», antwortete Dieter, «wir haben ihr eine Tablette gegeben.» Er zeigte dem Arzt die Schachtel, «sie hatte sie verlangt und ich habe ihr ein Glas Wasser gebracht, damit sie die Tabletten schlucken konnte, sie hatte keine Luft bekommen.»
«Das habt ihr gut gemacht!», lobte der Arzt, «ist sie verletzt?»
«Sie hatte gesagt, dass ihr Bein gebrochen ist, als der Polizist hereinstürmte, viel sie vor Schreck in Ohnmacht.»
Der Arzt untersuchte ihr Bein. Dann fühlte er ihren Puls.
«Die Frau muss sofort ins Krankenhaus», erklärte er dem Polizisten, «holen sie eine Trage.»
«Ist schon unterwegs», tatsächlich eilten bereits zwei Sanitäter mit einer Trage ins Haus und legten sie neben die Frau. Drei Polizisten hoben sie vorsichtig auf die Trage und trugen sie zum Krankenwagen. Die Situation hatte sich etwas beruhigt. Doch die Frau konnte dem Polizisten noch nicht erklären, wie sie gestürzt war, aus seiner Sicht waren die Buben immer noch verdächtig.
«Ihr kommt mit aufs Polizeirevier», erklärte er, «ich brauche eure Adressen, zudem muss ich ein Protokoll schreiben.»
«Aber wir haben noch unsern Handwagen hier», meldete sich Gert.
Als er den Wagen, in welchem bereits zwanzig leere Flaschen lagen sah, wurde er etwas umgänglicher.
«Eure Angaben scheinen zu stimmen», erklärte er, «wir bringen euch zurück, wenn ihr eure Aussage gemacht habt.»
Auf der Polizeiwache erzählten sie nochmals, wie sich alles zugetragen hatte. Sie mussten ihre Adresse angeben. Der Polizist wollte eben die Eltern anrufen, damit sie ihre Buben abholen konnten. Doch dann klingelte das Telefon. Der Arzt war am Apparat. Der Polizist hörte ihm aufmerksam zu und nickte immer wieder.
«Der Arzt hatte ihre Geschichte bestätigt, die Frau ist wieder zu sich gekommen und hatte dem Doktor erzählt, wie ihr der Frau geholfen habt. Ich möchte mich im Namen der Frau bei euch bedanken, das habt ihr gut gemacht. Ich bringe euch zurück zu eurem Handwagen, die Eltern brauchen wir nicht anzurufen. Ihr findet sicher selber nach Hause.»
Die Tage wurden immer kürzer. Die Innenstadt von Halle war mit der Weihnachtsdekoration schön beleuchtet. An einem schulfreien Nachmittag nahm Dieter alle Ersparnisse mit und machte sich auf, in der Einkaufsstrasse von Halle, ein Weihnachtsgeschenk für Mutti zu kaufen. Er schaute sich die Waren in den Auslagen an. Er wusste noch nicht, was er Mutti schenken soll. Geld hatte er genug, nur an Ideen fehlte es noch.
In einem Kleidergeschäft sah er eine schöne Bluse. Eine Bluse, wie sie von den reichen Frauen getragen wurden. Leider war an der Bluse kein Preisschild angebracht. Dieter betrat den Laden und fragte die Verkäuferin nach dem Preis der Bluse in der Auslage.
«Die kannst du dir nicht leisten», erklärte die Verkäuferin, «die ist nur für einflussreiche Leute.»
«Ich möchte sie aber für Mutti kaufen!», erklärte Dieter, «ich habe Geld.»
«Manchmal reicht Geld nicht aus», erklärte die Verkäuferin, «aber wir haben hier noch andere wollene Strickjacken, du kannst ihr ja eine Strickjacke kaufen.»
«Ich will ihr aber diese Bluse kaufen», beharrte Dieter.
«Ich kann dir die Bluse nicht verkaufen», erklärte die Verkäuferin, «ich darf sie nur an Kunden mit einer Berechtigung verkaufen, da lässt sich nichts machen.»
Dieter verabschiedete sich und schlenderte traurig die Strasse entlang. Die Wollstrickjacke wollte er auf keinen Fall. Er suchte nach einem andern Geschenk. Allmählich wurde es Zeit, er musste nach Hause, sonst machten sich die Eltern sorgen.
Am nächsten freien Nachmittag war Dieter wieder in der Einkaufsstrasse. Diesmal beobachtet er das Kleidergeschäft von der andern Strassenseite aus. Auf was er wartet, wusste er nicht, es war nur so ein Gefühl. Er beobachtet die Kunden des Kleidergeschäfts. Es waren meistens feine Damen in dicke teure Mäntel gehüllt. Langsam hatte er etwas kalt, doch er wollte noch warten. Er hoffte, dass eine andere Verkäuferin im Laden war, die vielleicht mit sich reden liess.
Als eine Frau, schwer bepackt mit Schachteln aus dem Geschäft kam, sprang er sofort auf. Das war vielleicht die Gelegenheit. Er rannte auf die Frau zu: «Darf ich Ihnen beim tragen helfen?»
«Das ist aber nett von dir», erklärte die Frau, «ich wohne gleich um die Ecke, es wäre nett, wenn du mir helfen könntest.»
«Mach ich gerne», erklärte Dieter und ergriff die erste Schachtel, die Frau schichtete ihm noch drei weitere Schachteln auf die Arme, dann marschierte er hinter der Frau her. Es ging allerdings nicht nur um die Ecke, seine Arme werden langsam müde. Endlich, drei Strassen weiter steckte sie den Schlüssel ins Türschloss und schloss auf.
Читать дальше