Als Mutti die Hosen von Vati flickte, gab sie wie immer Didi die Nadel zum durchziehen des Faden. Doch der hatte plötzlich enorme Probleme, den Faden durch das Nadelöhr zu ziehen. Immer wieder versuchte er es, doch es ging nicht, er verfehlte das Öhr.
«Dieterchen», sagte Mutti, «schau mich mal an.»
«Wieso?»
«Mit deinen Augen war etwas nicht in Ordnung, du schielst plötzlich. Das ist sicher noch die Folge der Masernerkrankung von letzter Woche.»
«Ich kann das Loch in der Nadel nicht sehen», bestätigte Dieterchen, «etwas stimmt nicht mehr, ich sehe alles doppelt.»
Als Vati nach Hause kam, beschlossen sie, dass man mit Dieterchen zum Augenarzt musste. Am nächsten Tag konnten sie einen Termin für die folgende Woche vereinbaren. Das Schielen war immer noch da, es wurde eher noch schlimmer.
Mit gemischten Gefühlen folgte Dieterchen der Mutti zum Augenarzt. Sie mussten mit der Strassenbahn in die Stadt fahren.
«Die Masern hatten offensichtlich die Augen von Dieterchen angegriffen», stellte der Augenarzt, an Mutti gewannt, fest, «wir müssen es mit einer Brille versuchen.»
«Eine Brille?», fragte Mutti.
«Ja, ich gebe ihnen einen Termin beim staatlichen Optiker, der wird die Stärke der Brille festlegen und alles weitere erklären.»
Vom Augenarzt gingen die beiden direkt zum Optiker. Mit einigen Tests bestimmte der die Stärke der Brille. Es war eine scheussliche Brille. Die Gläser waren dick und das Gestell passte überhaupt nicht zu Dieterchens Gesicht. Es half nichts, er musste sie tragen. Es bleib ihm auch nichts anderes übrig, denn ohne Brille sah er beinahe nichts mehr.
Als er das erste Mal mit der Brille im Kindergarten auftauchte, lachten ihn die andern Kinder erbarmungslos aus. Es dauerte keine Woche und schon war die erste Brille zerbrochen. Beim Optiker bekam er eine Ersatzbrille, doch die sah noch schlimmer aus, als das erste Model.
Mit der Zeit gewöhnte er sich an das lästige Ding. Mittlerweile hielt eine Brille beinahe zwei Monate, das war natürlich aus Sicht des Optikers immer noch zu oft und er verlangte für den Ersatz Geld. Vati musste seine Ersparnisse plündern, damit Dieterchens Augen besser wurden.
«Wolfi! – Dieterchen! Aufstehen!», rief die Mutter ins Kinderzimmer.
Waschtag war der strengste Tag der Woche, da blieb wenig Zeit für die Kinder. Mutti konnte sich auf Wolfi verlassen, der siebenjährige würde dafür sorgen, dass der dreijährige Dieter sich richtig anzog.
Als die beiden Buben kurze Zeit später in die Küche stürmten, hatte Mutti bereits den Malzkaffee gewärmt. Brot, selbst gemachte Marmelade und Rübensaft standen auf dem Tisch. Jeder setzte sich an seinen Platz. Die Tasse wurde mit Malzkaffee gefüllt.
«Dieterchen, - Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du nicht auf den Handwagen aufspringen darfst?», rief die Mutter den beiden nach. Sie hatte bereits den ersten Korb voll Wäsche bereitgestellt. Sie winkte ab, sie wusste genau, dass es nichts nützte, wenn der Bub runterfiel, würde er es schon lernen. Sie drehte sich um und holte den zweiten Wäschekorb.
Wolfi trug später den kleineren Korb aus dem Keller, während Dieterchen in der Küche den Sack mit den Abwaschtüchern holte. Die drei waren bereits ein eingespieltes Team, der Waschtag war bereits zur Routine geworden.
Der Handwagen war voll beladen. Mutter und Wolfi zog den hölzernen Wagen an der Deichsel. Draussen war es bitter kalt, aber der Schnee war weg. Dieterchen sprang bereits wieder auf die Ladefläche. Jetzt konnte er nicht mehr stehen, kniend musste er darauf achten, dass keine Wäsche verloren ging. Beim Waschhaus stellten sie sich in die Reihe, es gab noch einige andern Frauen, die heute ihren Waschtag hatten.
Es dauerte nicht lange und Mutti konnte den ersten Bottich füllen. Jetzt hatte Mutti Zeit für einen kleinen Schwatz mit den anderen Frauen. Am Waschtag erfuhr man immer die meisten Neuigkeiten. Tratschen war so schön, wenigstens einen Vorteil, den der Waschtag mit sich brachte.
«Was sehe ich denn da?», fragte Bettina, die eine Strasse weiter hinten wohnte, «bist du schwanger?»
«Bsst -, bis doch stille, - sieht man es denn schon?»
«Nah, mir kannst du nichts vormachen», entgegnete Bettina stolz, «ich sehe das sofort.»
Dabei dachte sie: Ha, wieder ein Volltreffer, es zahlt sich einfach aus, wenn man etwas spekuliert.
«Aber ich habe doch noch nicht zugenommen», wehrte sich die Mutti.
«Das sieht man an den Augen!», schwindelte Bettina.
«Ich weiss es erst seit ein paar Tagen, bitte, hänge es noch nicht an die grosse Glocke, es müssen es noch nicht alle wissen, vor allem meine beiden Buben nicht», es war ihr peinlich.
Nach einer halben Stunde wurde die Maschine abgestellt und die Wäsche aus dem Bottich geholt. Die Wäsche, nass wie sie war, war so schwer, dass selbst Wolfi sie nicht aus dem Bottich heben konnte, das musste Mutti alleine machen. Mit einem langen Holzstab, wurde Stück für Stück in die Wäscheschleuder umgeladen.
«Genug, das reicht!» rief der Aufseher, «ihr macht mir die Schleuder noch kaputt, wenn ihr zu viel einfüllt.»
Mutter zog den Holzstab zurück und warf das letzte Wäschestück zurück in den Bottich. Immer das Gleiche, der Aufseher nervt sie gewaltig . Dann wurde die Schleuder gestartet. Den Schalter durfte nur der Aufseher bedienen.
Die Frauen beeilen sich, die Schleuder zu entleeren und wieder mit nasser Wäsche zu füllen. Jetzt waren die beiden Buben gefragt, sie mussten die geschleuderte Wäsche, möglichst ohne Falten auf Holzrollen aufziehen. Inzwischen wurde der Rest der Wäsche ebenfalls geschleudert. Jetzt noch den letzten Stapel auf die Rollen der Wäschemangel umwickeln und danach die Wäsche zusammenlegen, dann ging’s nach Hause.
Als die drei in den Hollebergerweg einbogen bemerkten sie Frau Adler, die mit dem fegen der Strasse beschäftigt war.
«Was kommt denn die an?», stellte Mutti fest und auch die beiden Buben wunderten sich, «das war ja ganz was neues, dass Frau Adler die Strasse fegt.»
«Guten Tag Frau Thom», grüsste Frau Adler, «ich gratulier, wann ist es denn soweit?»
«Los geht schon nach Hause!», befahl sie ihren beiden Buben. Dann, an die Nachbarin gewannt, «was meinen Sie?»
«Die Frau Weber hat in der Bäckerei erzählt», begann sie vorsichtig, «also die Frau Weber hat gehört, dass es bei Thoms bald Nachwuchs gibt, stimmt‘s oder ist es nur ein Gerücht?»
«Wenn es die Frau Weber sagt, wird es wohl stimmen», sie strich sich über den Bauch, «was glauben Sie, ich denke, ich habe nur etwas zugenommen. Kein Wunder, jetzt wo die Lebensmittelrationen erhöht wurden, da muss man ja fett werden?»
«Es stimmt also nicht?», Frau Adler spielte die entrüstete, «was doch die Frau Weber immer für Gerüchte in die Welt setzte, unglaublich!»
«Ja, da haben sie recht, unglaublich, um nicht zu sagen unverschämt!»
«Also, ich wünsche einen schönen Abend Frau Adler», sie zog am Handwagen und ging weiter, «ich habe noch zu tun, die Wäsche muss weggeräumt werden, grüssen sie ihren Mann.»
Als sie den ersten Wäschekorb weggeräumt hatte, kam ihr Mann Siggi nach Hause. Sie begrüsste ihn mit einem Kuss.
«Ist es schon so spät?»
«Ja, ich hatte allerdings nicht das Gefühl, dass der Tag sehr schnell vorbei ging. Formulare wälzen, ist ziemlich langweilig.»
«Das ist der einzige Vorteil des Waschtags», stellte Mutti fest, «er geht so schnell vorbei, dafür ist man Abend todmüde.»
«Du, Bettina hatte bemerkt, dass ich in andern Umständen bin», berichtete sie, «sicher würde es bald zum Gesprächsthema im Quartier.»
«Stimmt ja!», meinte Siggi, «irgendwann hätten sie es sowieso herausgefunden.»
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