Teri nickte. "Ich werde mich an Obmann Athan wenden. - Er hat mir sein Wort gegeben, dass ich mit den Schiffen fliegen werde."
"Wann war das?"
"In dem Jahr, als meine Eltern ermordet und beraubt wurden."
"Das ist lange her, Teri. Aber Athan ist ein Mann von Wort. Versuch nur, ihn an sein Versprechen zu binden. - Aber wenn er sich nicht erinnert ..."
"Komme ich zu dir und werde Kannenformerin." Teri stand auf.
"Gut!" Tees war zufrieden. Er mochte diese junge Frau, die so selbstsicher auftrat und ihre Wünsche so bestimmt vorbrachte. "Ich wünsche dir für dein Vorhaben alles Glück und den Segen der Götter!"
"Danke, Obmann!" Teri verbeugte sich und ging hinaus.
Athan mußte helfen! Entschlossen machte sich Teri auf den Weg zur Königsklippe, in deren unterem Teil die Scharleute mit ihren Familien wohnten.
Athan, Obmann der Scharkapitäne, war gleichzeitig der Kommandant des königlichen Schwalbenschiffes `Diamant'. Acht Jahre lang war er für Thedra bereits auf Schiffen der Edelsteinklasse gefahren, bevor er auf diesen Posten berufen worden war. In dieser Zeit hatte er den ganzen Kontinent bereist, ja sogar umrundet.
Im Jahre siebzehn der Herrschaft Reos, hatte der König ihn und eine erfahrene Mannschaft als Geleitschutz für eine große Expedition abkommandiert, die den offiziellen Auftrag hatte, die Küsten von Ostwelt neu zu vermessen. Ein weiterer, wesentlicher Zweck der Fahrt war es gewesen, Verbindungen zu den Seidenmanufakturen von Ostwelt herzustellen, um auch hier das Transportmonopol der Dramilen zu brechen.
Athan war damals Kommandant der `Achat' gewesen. Er hatte die Mannschaft verstärkt, so dass die Achat notfalls monatelang ununterbrochen fliegen konnte. Ferner hatte er ein Mehrfaches der üblichen Proviantmenge aufgenommen und natürlich auch die Bewaffnung optimiert: Ein zweiter Stahlfeuerbogen war auf das Deck montiert worden und in den gepolsterten Truhen lagen fünfzig Glashohlpfeile bereit.
War die Expedition, die aus drei Schneckenschiffen und der `Achat' bestand, damals im Frühjahr in Richtung Süden aufgebrochen, um das stürmische Kap Tigan im dortigen Frühling zu passieren, so hatte sie im Verlauf des thedranischen Winters die Große Bucht durchquert. Die Große Bucht, das gewaltige Meer, das den Kontinent bis hoch hinauf in den Norden fast zur Gänze durchschnitt, stellte besondere Anforderungen an die Navigationskunst. Hier hatte sich der Konvoi von der Küste entfernen müssen, um nach fünfzig bis sechzig Tagen auf das Kap Mocam, die Südspitze von Mittelwelt zu stoßen. Aber die Götter waren gnädig gewesen, und die sternklaren Nächte hatten es den Kapitänen leicht gemacht, jede Nacht den Kurs neu zu bestimmen.
Zwischen dem Kap Mocam und der Ostinsel Gasca hatten fünf Finderschiffe auf die Expedition gewartet. Die drei Schneckenschiffe schienen ein leichtes Opfer zu sein, und aus Beutegier und Konkurrenzneid setzten die dramilischen Finder alles daran, die thedranischen Frachter zu vernichten.
Ganz offensichtlich waren die Expedition und ihr eigentlicher Zweck verraten worden. Lediglich Kapitän Athan und seine `Achat' waren der Preisgabe der thedranischen Pläne entgangen.
So hatten sich die Finder in ihrer eigenen Falle gefangen. Als die `Achat' die ersten beiden Schiffe des kleinen Flottenverbandes in Brand geschossen hatte, waren die Kapitäne der drei anderen Finderschiffe zu der plötzlichen Einsicht gelangt, dass es doch eigentlich ziemlich gleichgültig sei, dass die Thedraner das Seidenmonopol brechen wollten. In heilloser Flucht hatten sie ihre Schiffe in die Klippenfelder vor der Küste von Mocam getrieben. Dorthin hatte das fliegende Schiff, das nur mit hoher Geschwindigkeit weiträumige Manöver durchführen konnte, sie nicht verfolgen können.
Ganze zwölf Tage hatte Kapitän Athan, ständig kreuzend, vor dem Klippenfeld ausgeharrt, dann hatte ein knapp unter Wasser treibendes Wrackteil das Ruder der `Achat' schwer beschädigt. Zwei der Finder waren in dieser Zeit an den Riffs zerschellt und gesunken. Den letzten hatte man allerdings, in der Hoffnung, dass auch er nicht mehr aus den gefährlichen Gewässern herausfinden würde, ungeschoren zurücklassen müssen, denn die `Achat' hatte wegen ihres Schadens nicht mehr präzise navigieren können und mußte im Südhafen von Gasca repariert werden.
Nun hatte es der Kommandant des Finderschiffs aber doch geschafft, sich zwischen den Klippen hindurchzulavieren und zu den Westlichen Inseln zurückzukehren. Mit diesem ersten Schiff, das den thedranischen Scharleuten je hatte entrinnen können, waren erste Berichte über die Kampftechnik der Fliegenden Schiffe nach Sordos gedrungen.
Das Schiff, das jene denkwürdige Fahrt überstanden hatte, war die Große Geliebte unter Kapitän Sed eb Rea gewesen, und seitdem war der bullige Dramile von der Idee besessen, Thedra einzunehmen und die Geheimnisse der fliegenden Schiffe zu ergründen.
Athan konnte seine Mission damals jedenfalls zufriedenstellend beenden. Die drei Schneckenschiffe gelangten unter seinem Schutz unangefochten bis Inchin, der Hauptstadt von Inchinem, dem Seidenland.
Die Inchinem waren freundliche und geschäftstüchtige Leute. Sie waren hocherfreut gewesen, andere Handelspartner als die Dramilen kennenzulernen, und so war der Konvoi bald mit Seidenballen beladen weitergesegelt.
Da es in Thedra um diese Zeit tiefster Winter sein mußte, hatten die Kapitäne die nördliche Route gewählt, um den arktischen Sommer auszunutzen, denn die Fahrt von Inchinem bis zum Kap Ibir dauerte über einhundert Tage. Ab Ibir war es dann noch einhundertdreiundvierzig Tage lang westwärts gegangen, bis schließlich an Backbord die Klippen von Thedra auftauchten. Da war Athan aber schon mit der `Achat' vorausgefahren, und den Heimkehrern konnte ein triumphaler Empfang bereitet werden.
Als wenige Monate darauf der Posten des Kommandanten der `Diamant' vakant wurde, war die Ernennung Athans nur noch eine Formsache gewesen. Als Kapitän des königlichen Großschiffes war er gleichzeitig Oberbefehlshaber der Schwalbenflotte und Obmann der Kapitäne geworden.
Nun wurde die `Diamant' vor allen Dingen für Kurierdienste eingesetzt, und da es zwischen König Reo und dem Kaiser zurzeit keinerlei Unstimmigkeiten gab, lag sie die meiste Zeit im Schwalbenhafen von Thedra. Athan war mehr und mehr zu einem Verwaltungsbeamten geworden, der sich im wesentlichen darauf konzentrierte, die ewigen Streitigkeiten zwischen den Schiffsbauern und den Kapitänen zu schlichten. Das war es nun nicht gerade, worin er den Sinn seines Lebens hätte finden können, und fast jeden Abend kehrte er verdrossen aus dem Schwalbenhafen in seine Wohnung zurück.
Er hielt dieses Leben eines Seemanns für unwürdig und hatte König Reo schon mehrfach um seine Versetzung gebeten. Da er andererseits seinen Posten aber hervorragend ausfüllte und zum erstenmal seit langer Zeit die Zänkereien zwischen den Zünften abebbten, konnte Thedra auf seine Dienste vorläufig nicht verzichten.
An diesem Abend kam er wie üblich müde und verärgert vom Schwalbenhafen zurück, als er, kurz vor der Königsklippe, von einer sehr jungen Frau angesprochen wurde.
"Athan!"
Unwillig schaute Athan sich nach der Sprecherin um. Es war den Bürgern verboten, Scharleute anzusprechen. Zu viele Geheimnisse kannten die Kapitäne und Mannschaften der Fliegenden Schiffe. Da ging es nicht an, dass jeder Beliebige sich ihnen mit unwichtigen Dingen näherte und sie in Gespräche verwickelte.
"Willst du bestraft werden?" Athan wollte weitergehen.
"Ich kann nicht bestraft werden, Athan!"
Der Obmann blieb stehen. "Geh nach Hause, oder ich lasse dich von der Wache holen!"
"Ich bin Scharfrau!"
Das war nun wirklich eine gewagte Behauptung. Athan kannte selbstverständlich alle Mitglieder seiner Zunft, und diese junge Frau gehörte eindeutig nicht dazu. Er überlegte kurz, ob er es vielleicht mit einer Irren zu tun habe.
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