So hatte sie denn in Isco, auf einem ihrer Streifzüge mit Ging, zwei ihrer Bronzestücke geopfert und ein Paar steiflederne Armschienen für den Kapitän besorgt, die ihn bei der täglichen Arbeit an Bord vortrefflich vor Verletzungen schützen würden.
Der alte Mann war von Teris Geschenk vollkommen überrascht gewesen. Er hatte sich sehr darüber gefreut, das wußte sie, auch wenn er etwas von `Verschwendung' gemurmelt hatte. Und trotzdem war es ein Fehler gewesen, ihm das Geschenk schon in Isco zu geben. Teri hatte damit auf den Beginn ihres Abschieds hingedeutet, und dieser Gedanke bereitete beiden fortan Unbehagen.
Alles schmeckte, alles roch nach Abschied; alles fühlte sich nach Abschied an. Jedes Essen an Bord war von dem Gedanken an baldige Trennung überschattet, und in jedem Lied der Matrosen schwang Melancholie mit.
Teri liebte den alten Mann, vertraute ihm, hätte alles für ihn getan, und jede Bewegung der `Sesiol' brachte sie dem Verlust der Geborgenheit näher.
Der Kapitän reagierte auf seine Weise: Fluchend, schimpfend und unduldsam ging er über das Deck, und niemand konnte ihm etwas recht machen. Seit Isco war nicht mehr mit ihm zu reden, und Tag für Tag wurde es schlimmer. Wie ein gefangenes Tier rannte er gegen die schweren Gitter seiner Liebe zu diesem Kind - denn das war Teri in seinen Augen noch - an, ohne sie jedoch zerbrechen zu können.
Auch Teri wurde von einer zunehmenden Traurigkeit erfaßt. Die `Sesiol', die fast zwei Jahre lang ihre Heimat gewesen war, stampfte schwer in der nördlichen See. Alles hatte sich verändert.
Nachdem Tana und Gerit in Tigan verhaftet worden waren, hatte der Kapitän die Stelle ihrer Eltern eingenommen. Er hatte sie versorgt, gekleidet, ernährt und beschützt. Er war für sie dagewesen, wenn sie ihn brauchte, und nun würden sich ihre Wege bald trennen.
Teri war es, als würde sie ihre Eltern zum dritten Mal verlieren. Fröstelnd saß sie vor der Kabine auf dem Strohsack, den Tana noch gestopft hatte. Sie war fest in ihre Felldecke gehüllt, denn an das raue nördliche Klima mußte sie sich erst wieder gewöhnen.
Sofort nach der Ankunft in Thedra verließ Teri die `Sesiol'. Nicht nur der Kapitän, sogar die ganze Mannschaft wirkte bedrückt, und alle nahmen Teris Abschied und Dank betreten entgegen.
Es war seltsam: Da hatte man nun Jahre zusammen verbracht und Wochen vorher schon unter der Trennung gelitten - und jetzt, wo es so weit war, hatte man sich nichts mehr zu sagen. Das gemeinsame Ziel war erreicht. Es gab nichts mehr zu tun. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit war langsam erloschen, und ein jeder würde wieder seiner eigenen Wege gehen.
Das hatte nichts mit Undank zu tun. Teri würde bei dem Kapitän für immer in tiefer Schuld stehen, das wußte sie genau. Aber die Fahrt auf der `Sesiol' war ein Abschnitt ihres Lebens gewesen, und dieser Abschnitt war nun vorüber. Sobald sie den Boden Thedras betrat, würde sie ein neues Ziel haben.
Doch was hilft das ganze Wissen um die Unabänderlichkeit einer Situation? Nachdem sich Teri höflich von allen verabschiedet und eine Verbeugung vor dem Kapitän gemacht hatte, fand sie sich doch plötzlich zitternd und schluchzend in den Armen des alten Mannes wieder, der sie trösten mußte wie ein Kind und der doch selbst des Trostes bedurfte.
So verließ Teri ihre Freunde denn doch, wie man Freunde verlassen soll: Zurückwinkend, mit verheulten Augen und triefender Nase.
Die erste Person, die Teri auf thedranischem Boden traf, war ein Seiler, der mit seinem Karren voller Taue darauf wartete, dass die Kapitäne bei ihm einkauften. Verwundert und belustigt sah er auf das rotäugige Etwas hinab, das klein und schmächtig, mit einem großen Reisebündel und der darauf festgebundenen Felldecke auf den Schultern, vor ihm stand.
"Na, Kleine, hast du dich verlaufen?"
"Wann ist das Fest der Fliegenden Schiffe?" Teri war nicht zu Späßen aufgelegt. "Ich komme aus Mittelwelt und will zur Wahl der Scharleute!"
"Wenn du deswegen gekommen bist, dann bist du zu spät dran." Der Händler hatte wohl gemerkt, dass Teri, die in ihrer Kleidung aus Ago recht exotisch aussah, kein Kind mehr war. "Das Fest war vor vier Tagen, und die Wahl ist lange vorbei."
Die Wahl war gerade gewesen? - Das Fest der Fliegenden Schiffe war vorbei? - Teri konnte es kaum fassen.
Der Seiler beugte sich vor. "Wo warst du in Mittelwelt?" wollte er wissen. Ich war mal in Mocam, fast schon in Ostwelt! Mocam ist eine ..."
Teri hörte nicht mehr, was der Mann ihr hatte erzählen wollen. Teri war außer sich. - Um ganze vier Tage hatte sie das Ziel ihres Lebens verfehlt. Abrupt drehte sie sich um und ließ den verdutzten Seiler einfach stehen.
Das Fest der Fliegenden Schiffe war schon gewesen? Das hieß, sie würde bis zur nächsten Wahl ein ganzes Jahr lang warten müssen. - Ein ganzes Jahr lang warten? - Unmöglich! - Sie wollte Scharfrau werden! Sie war dreizehn und wollte jetzt endlich Scharfrau werden! Athan mußte helfen! Athan hatte Macht. Er hatte ihr schließlich versprochen, dass sie mit den Schiffen fliegen werde.
Teri überlegte. - Sie kannte den Obmann der Sturmflottenschar kaum. - Sie hatte kein Wohnrecht in Thedra und würde im Fremdenhaus wohnen müssen. - Das war eine schlechte Basis für ein Gespräch mit Athan. - Sie würde also zuerst Tees, den Obmann der Former, besuchen und ihn bitten, ihr das Wohnrecht zu verschaffen. Tees kannte sie. Tees konnte sich nicht weigern. Und wenn sie erst wieder Bürgerin von Thedra war, würde sie Athan aufsuchen und ihn an sein Versprechen erinnern.
Der erste Tag in Thedra entsprach in keiner Weise den Erwartungen, die Teri daran geknüpft hatte. Es sprach sich nicht wie ein Lauffeuer herum, dass sie wieder da war. Außer ein paar Matrosen, die dem blonden schlanken Mädchen eindeutige Angebote zuriefen, nahm überhaupt niemand Notiz von ihr.
So war sie mit stolz erhobenem Haupt durch die Straßen von Thedra gegangen, um von Tees, den Obmann der Former, das Wohnrecht zu fordern.
Jetzt saß sie ihm in seiner Werkstatt gegenüber und hatte ihren Bericht über den unglückseligen Ausgang der Reise beendet. Tees hatte ab und an bedauernd den Kopf gewiegt.
Teri war erleichtert, dass er nicht mit Selbstgerechtigkeit reagierte, denn tatsächlich hatte er ja vor den Risiken der Fahrt gewarnt. Hätte er auch nur den geringsten Anschein von Zufriedenheit über die Richtigkeit seiner Prognose erkennen lassen, wäre Teri ihre Bitte nicht über die Lippen gekommen. So aber fragte sie ihn frei heraus, ob sie wieder im Formerfelsen wohnen könne.
"Ich habe keine Bleibe für dich." Tees schüttelte bedauernd den Kopf. "Als Tana sich damals von Stadt und Zunft losgesagt hat, hast auch du dein Wohnrecht hier im Felsen verloren."
Teri wollte aufbegehren, aber Tees hob beruhigend die Hand. "Du bist zwar eine Fremde in dieser Stadt, aber ich werde mich für dich verwenden. Wenn du bereit bist, das Formerhandwerk zu erlernen, kann ich den König bitten, dir dein Wohnrecht zurückzugeben. Du würdest dir dann hier im Felsen mit mehreren jungen Frauen zusammen eine Wohnung teilen. Dein Vater war ein guter Former, und auch deine Mutter hatte sehr viel Talent. - Ich bin sicher, dass eine gute Kannenmacherin aus dir werden kann!"
Dieses Kompliment des Obmanns klang wie Hohn in Teris Ohren. Kannenformerin sollte sie werden! - Eine bleiche Höhlenschnecke, die beim Licht einer Öllampe mit kalten Tonbrocken hantiert, bis irgendwann ihr armseliges Lebenslicht erlischt. - Was für eine Zumutung!
"Ich will Scharfrau werden." Nicht trotzig und auch nicht bittend kamen diese Worte aus Teris Mund. Es war nur die Feststellung einer Tatsache.
Tees lächelte. "Nun, Teri, da hast du ein hohes Ziel! - Scharfrau zu werden ist das Ziel vieler Mädchen unserer Stadt, und ich wünsche dir viel Glück bei deinem Vorhaben. Bedenke aber, dass du zuerst das Wohnrecht in Thedra erhalten mußt, bevor du dich zur Wahl stellen kannst."
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