„Und trotzdem hat es ein Treffen gegeben“, sagte Morian. „Wage es nicht, meinen Herrn zu belügen!“
Der Magier schaute den Kronrat mit so kaltem und bedrohlichem Blick an, dass Jessy glaubte, die Temperatur im Raum würde sich verändern. Selbst Morian wich ein wenig zurück.
„Ich spreche mit dem Prinzen, nicht mit dir“, zischte er. „Ich weiß von keinem Treffen. Und ich weiß auch nichts von einer Gefahr. Aber es würde mich nicht wundern.“
„Was meinst du damit?“ fragte Albin. Sein Gesicht war vor Aufregung gerötet.
Der Alte erhob sich ächzend von seinem Stuhl und humpelte durch den Raum, um die Fensterläden aufzustoßen. Doch heller wurde es trotzdem nicht.
„Ihr mögt den Orden zerschlagen haben“, sagte er bedeutungsschwer. „Aber ihr habt nicht die Wurzel des Übels ausgerissen. Skarphedinn ist am Leben. Und er wird nicht zur Ruhe kommen.“
Der Name stand wie ein übler Geruch nach Unheil deutlich im Raum. Jessy schauderte.
„Niemals hat es einen Meister wie ihn gegeben“, sagte der Magier, während er gedankenverloren nach draußen blickte. „Einen Menschen, so durchdrungen von der Gier nach Macht, dass ihm die Menschlichkeit verloren ging. Ja, er war ein großer Magier und wir folgten ihm bereitwillig. Wir vertrauten ihm. Er versprach ein besseres Leben für uns alle. Reichtum, Anerkennung, Respekt. Doch der Krieg… einen solchen Krieg hatte niemand gewollt. Zumindest ich nicht.“
„Und nun denkst du, Skarphedinn könnte die Magier wieder zusammenrufen? Einen neuen Vorstoß wagen?“ fragte Tychon nach einer Pause.
„Was weiß ich schon“, sagte der Alte schulterzuckend. „Aber glaubt mir, Skarphedinns Wille ist ungebrochen. Ihr habt ihn geschwächt und vertrieben und seine Armee zerstreut und vernichtet. Aber wenn es in diesem Land eine Gefahr für König Bairtliméad und sein Geschlecht gibt – dann ist er es.“
Die Männer schwiegen bestürzt. Jessy wagte kaum zu atmen. Das waren wirklich schlechte Neuigkeiten. Ein neuer Krieg? Das wünschte sie hier wirklich niemandem. Vor allem nicht sich selbst. Auf Schlachtengetümmel konnte sie absolut verzichten. Aber sie spürte das Entsetzen ihrer Begleiter und kam sich egoistisch vor. Immerhin ging es hier um das Schicksal eines ganzen Landes.
„Wonach kann Skarphedinn streben?“ fragte Tychon. „Will er die Wiederherstellung der Gilde erzwingen? Eine Anerkennung der Magie, Schutz vor dem Gesetz?“
Der alte Magier lachte bitter.
„Ihr seid ein kluger Junge“, sagte er dann und humpelte zurück zu seinem Stuhl. „Eure Herrschaft würde dem Land wahrlich gut tun. Stellt Euch Skarphedinn nicht in den Weg. Er wird Euch vernichten. Wer weiß schon, was seine Ziele wirklich sind. Womöglich strebt er sogar nach dem Königsthron.“
„Herr, dieser Mann verspottet und bedroht Euch“, zischte Morian. „Ich kann das nicht dulden. Euer Vater würde es nicht dulden.“
Tychon antwortete nicht. Seine Kiefer waren fest aufeinander gepresst und die Muskeln arbeiteten.
„Ich danke dir für deine offenen Worte“, stieß er dann hervor und zog einige Münzen aus seiner Börse, die er auf den Tisch warf. Der Magier starrte angewidert darauf. Einmal war er wahrscheinlich ein reicher, angesehener Mann gewesen. Nun musste er Almosen annehmen. Die Demütigung musste ihm unerträglich sein.
Ohne ein weiteres Wort stürmte Tychon aus der Hütte zu den wartenden Pferden. Jessy konnte gar nicht schnell genug folgen und an die frische Luft kommen. Bevor sie losritten, trat der Alte an die Tür und stützte sich dabei auf seinen Diener.
„Es hat mich gefreut, Euch kennenzulernen“, rief er spöttisch. „Richtet dem König die besten Grüße aus. Und meinen Dank für mein Leben und für den wunderbaren Neuanfang!“
Kreischend flogen zwei Krähen auf, aufgeschreckt von den lauten Rufen. Jessy zog erschrocken die Schultern hoch. Nur weg von diesem Ort und von diesen düsteren Prophezeiungen.
„Glaubt Ihr, er hat die Wahrheit gesagt?“ fragte Albin.
Sie hatten sich ein gutes Stück von dem Wäldchen und seinem unangenehmen Bewohner entfernt und Jessy konnte wieder durchatmen.
„Ich sehe keinen Hinweis darauf, dass er gelogen hat. Und warum sollte er es auch tun?“ meinte Tychon. „Wenn er zu denen gehört, die sich Skarphedinn wieder anschließen, hätte er uns das alles nicht erzählt. Ich glaube ihm, dass er bereut, im Krieg Schlimmes verbrochen zu haben.“
„Für mich klang es eher wie die Worte eines verrückten Einsiedlers“, sagte Morian. „Ihr solltet nicht zu viel darauf geben. Große Mutter, wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass Skarphedinn wirklich noch am Leben ist. Oder in der Lage irgendjemanden zu rufen.“
Jessy dachte an ihre Nacht im Kerker und den Besuch von Sketeph. Er hatte sie gefragt, ob Skarphedinn sie geschickt hatte. Also glaubte er, dass der Magiermeister noch lebte. Und sollte man ihm, dem Spion aus dem feindlichen Lager, nicht glauben schenken?
„Dann kann es doch genauso gut sein, dass er irgendwo in den Bergen sitzt und etwas Finsteres ausheckt, oder?“ meinte sie und schaute unauffällig zu Sketeph hinüber. Er zeigte keinerlei Reaktion.
„Herr, ich weiß, Ihr wollt das nicht hören“, sagte Rheys. „Aber wir haben in den letzten Tagen vieles erfahren, das beunruhigend genug ist, um umzukehren. Wäre es nicht besser, wenn wir uns in der Eisenfaust für das Bevorstehende rüsten würden? Was auch immer es ist.“
„Ach, Unsinn“, fuhr Morian dazwischen. „Umkehren wegen den vagen Aussagen von Wegelagerern und alten Verrückten?“ Er wandte sich direkt an den Prinzen. „Wäre das nicht zu voreilig? Immerhin habt Ihr Monate gebraucht, dem König die Erlaubnis abzuringen. Und das Volk liebt Euch und ist von Eurem Erscheinen hier im Hügelland begeistert. Meiner Meinung nach, sollten wir nicht vor einem Schatten fliehen, den wir noch gar nicht gesehen haben.“
Jessy beobachtete Tychon. In seinem ebenmäßigen Gesicht arbeitete es, seine Brauen waren zusammengezogen und die Lippen fest aufeinander gepresst.
„Wenn der König anfängt, das Heer aufzustellen, müssen wir in Ovesta sein“, sagte Bosco grimmig.
„Wir alle wissen, dass es die Wölfe immer nach einer neuen blutigen Schlacht gelüstet, in der sie ihre Überlegenheit beweisen können“, sagte Morian spöttisch. „Aber ich bitte Euch, Herr, wir sprechen doch noch lange nicht von Krieg oder dem Aufstellen des Heeres. Wir haben Gerüchte gehört, das ist alles!“
„Genug jetzt“, rief Tychon. „Wir werden auf keinen Fall umkehren. Aber mein Vater muss all das erfahren. Wir werden ihn umgehend benachrichtigen.“
„Man könnte vielleicht einen kleinen Suchtrupp in die Berge schicken lassen. Wenn es kürzlich eine Zusammenkunft von Magiern dort gegeben hat, müssen Spuren vorhanden sein“, schlug Albin leise vor.
„Eine gute Idee“, sagte Tychon. „Morian, du wirst unverzüglich einen Bericht verfassen und einen Botenvogel an meinen Vater schicken.“
Morian lächelte und übernahm den Auftrag mit einer kleinen Verneigung. Jessy hatte das sichere Gefühl, dass dieser Vogel die Eisenfaust nicht erreichen würde. Was hatte Morian vor? Arbeitete er etwa für diesen Skarphedinn? Eine irrwitzige Idee, die Jessy nicht äußern würde. Dem wichtigsten Kronrat im Land Hochverrat zu unterstellen war sicher nicht unbedingt der beste Weg, sich Tychons Vertrauen zu erhalten. Wahrscheinlich hatte er Recht und alles war nur die Spinnerei eines verbitterten alten Mannes. Was wusste sie schon darüber.
„Wie konnte dieser Skarphedinn einfach so verschwinden?“ fragte sie nachdenklich. „Konnte man ihn am Ende des Krieges nicht festnehmen?“
„Als die Schlachten vorbei waren, herrschte blankes Chaos in Westland. Die Magie wurde bei Todesstrafe verboten“, erklärte Albin. „Die Magier wurden noch eine Weile gejagt und gezwungen, ihrer Kunst abzuschwören und schließlich verkrochen sie sich vor den Westländern in die Wälder und Höhlen und abgelegenen Gegenden. Skarphedinn wurde zuletzt an der Spitze seiner Armee gesehen, dann verschwand er.“
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