„Kann sein, dass ich dir nächstes Mal diesen netten Kumpel vorbeischicke“. Jürgen deutet auf den überraschten Max, der ihn entsetzt anstarrt. „Wir werden vermutlich in nächster Zeit enger zusammenarbeiten. Also, Adieu, mein Alter. Und Dankeschön für deine Mühe.“
Zügig passieren sie die Oude Kerk, die alte Kirche, in der Rembrands Frau Saskia ihre letzte Ruhe fand. Im Singel spiegelt sich der Münzturm im Sonnenlicht. Überreste eines alten Stadttores erhascht Max gerade noch. Jürgen legt ein Tempo vor, dass ihm Hören und Sehen vergeht. Kaum zehn Minuten später erreichen sie das Hilton. In dem dezent erleuchteten Foyer sind nur wenige Gäste. Es ist früher Nachmittag. Die meisten Besucher halten Siesta oder befinden sich auswärts. Das Hotel ist, wie stets zur Messezeit ausgebucht. Jürgen, als Stammkunde, hat die Chance einzuchecken.
„Wie immer Suite Nr. 23, Gnädiger Herr“, dienert der livrierte Rezeptionist, und drückt ihm einen Schlüssel mit schwerem vergoldetem Anhänger in die halbgeschlossene Hand. Ein Geldschein verschwindet kaum merkbar in seiner Tasche.
Ein zarter Klingelton. Die Tür des Lifts schiebt sich lautlos auseinander, schließt sich kurz darauf wieder. Die Koffer stehen bereits im
Vorraum der Suite. Die Vorhänge sind zurückgezogen, die Flügeltür zur Terrasse steht halb offen. Dezenter Herrenduft mischt sich mit dem zarten Geruch frischer Grünpflanzen.
„Nun, bist du jetzt zufrieden, mein Lieber“, meint Jürgen gönnerhaft. „Mach es dir bequem. Die linke Seite ist dein Reich. Ich hoffe, du hast genug Platz im Kleiderschrank für deine üppige Garderobe.“
Max schlendert sichtlich beeindruckt von einem Raum zum nächsten, knipst sämtliche Leuchten an, bleibt verzückt im Bad stehen.
„Mann oh Mann, die verwöhnen ihre Gäste aber vom Feinsten. Lässt sich gut an, die Zusammenarbeit mit einem ehrenwerten Geschäftsmann, den du ja sichtlich hier spielst.“
„Bin ich doch auch, oder hattest du je Zweifel an meiner Seriosität?“
„Würde mir doch im Traum nicht einfallen“, antwortet Max, mit gespieltem unterwürfigem Klang in der Stimme. Er kennt Jürgen. Der Kumpel ist wie ein Blatt im Wind, der seine Meinung fast stündlich ändert. Zweifels ohne eine schwerwiegende Aufgabe, die da zu bewältigen sein wird, überlegt er. Sichtlich ging es um horrende Summen. Kein Pappenstil, in Anbetracht seiner mickrigen Finanzlage. Er würde langsam und systematische vorgehen. Bis jetzt hing seine Arbeitsmoral stets an einem seidenen Faden. Äußerst schleppend ging sie konform mit den Erfolgserlebnissen, die er zu verzeichnen hatte.
Mit angespannter Miene studiert Jürgen den Zettel des Anwalts.
„Mach dich rasch etwas frisch“, ruft er Max zu. „In einer halben Stunde gehen wir auf Einkaufstour.“ Was immer das zu bedeuten hat, es klingt sehr überzeugend.
Scheinbar schlendernd streben sie Richtung Altes Stadttor. Max ist erfreut, doch noch einen Hauch dieses wunderschönen Flairs zu erhaschen. Im Schatten des brüchigen Gemäuers stehen unzählige Blumenstände. Der Duft betäubt die Sinne.
„Der Blumenmarkt“, meint Jürgen kurz, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Unmerklich deutet er Max, etwas zurückzubleiben. Allerorts schwatzen Hausfrauen. Fliegende Händler feilschen Hände ringend um jeden Cent. Buben spielen mit bunten Glaskugeln, drängeln sich ausgelassen zwischen den Passanten. Die Stimmung scheint entspannt, beinahe heiter.
Jürgen schiebt sich mehr als eine halbe Stunde durch die Blumen- und Obststände, macht einige Einkäufe. Bedacht umkreist er den angegebenen Treffpunkt immer und immer wieder. Ein Bursche tritt plötzlich aus einer Nische. Groß und schlaksig steuert er auf Jürgen zu, reicht ihm eine Einkaufstüte, murmelt ein paar Worte, die Max natürlich nicht verstehen kann. Für Sekunden schaut er in Jürgens Gesicht. Jürgen lächelt verbindlich, greift in die linke Brusttasche, steckt ihm einen grauen Umschlag zu. Alles geschieht so blitzschnell, dass Max kaum etwas bemerkt, obwohl er genau Bescheid weiß.
Der Bursche sieht wenig vertrauenserweckend aus. Alter unbestimmbar. Sein jugendliches Gesicht ist gezeichnet vom zweifelhaften Leben, durch das er sich offensichtlich mühsam rangelt.
Max beobachtet die Beiden aus einiger Entfernung. Solche Deals kann man nur unter vier Augen abwickeln, war ihm klar. Sechs Augen wären eindeutig zwei zu viel. „Die machen das wirklich gekonnt“, säuselt er beeindruckt.
Während er sich noch mögliche Zwischenfälle auszumalen versucht, steht Jürgen bereits wieder neben ihm, drückt ihm einen duftenden Apfel in die Hand. „Lass es dir schmecken, die haben wirklich ausgezeichnete Ware hier. War ein guter Tipp von Wilenson.“ Sein Lachen klingt etwas gekünstelt. Seine Augen strahlen verheißungsvoll.
„Du gehst zurück ins Hotel und verfrachtest das Gemüse im Tresor. In einer Stunde treffen wir uns an der Mole. Dann machen wir eine kleine Bootsfahrt. Einverstanden!“ Jovial klopft er dem verdutzten Freund auf die Schulter, schubst ihn auf den Weg. Er selbst genießt noch für wenige Minuten das fröhliche Treiben, setzt sich dann entspannt in ein kleines Café.
Ähnliches spielt sich noch drei Mal ab an diesem Nachmittag. Die agierenden Personen übertreffen einander an schäbigem Äußeren. Jürgens Stimmung verbessert sich zusehends. Gegen Abend kehren sie best gelaunt ins Hotel zurück, ziehen ihre feinen Anzüge an, genießen ein opulentes Mahl von erlesener Güte. Was das Herz begehrt liegt auf silbernen Platten bereit, wundervoll garniert mit Früchten und Gemüsen.
Jürgen hat wieder einmal das Unmögliche möglich gemacht. Bestechungsgelder sind in diversen Taschen verschwunden, die richtigen Fäden gezogen worden. Es ist wohl nicht das erste Mal, dass sich brauchbare Drahtzieher von ihm kaufen lassen, registriert Max mit einiger Befriedigung. Jürgen ist ein Meister im Verhandeln und Feilschen. Schlitzohren unter sich, und jeder bekommt seinen Teil vom Kuchen ab. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich unter den Verhandlungspartnern aus, das überzeugt. Max ist begeistert.
Das Puzzle setzt sich langsam zusammen. Die ehrenwerten Geschäftsleute, mit deren gut getarnten Mittelsmännern Jürgen im Laufe des Tages verhandelt hat, schmuggeln ihre Waren in Flugzeugen, Schiffen, Pick-ups und LKWs, die mit Eisentraversen oder Bauholz, Schotter oder Mastvieh beladen sind, hört Max Jürgens Erzählung amüsiert zu. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Um die Risiken so gering wie möglich zu halten, pumpen diese Halunken mit tückischem Scharfsinn ihr so mühevoll erarbeitetes Geld in seriöse Unternehmungen. Baumeister und Hotelkettenbesitzer, Leute, die den Ölmarkt kontrollieren, Politiker, die sich und ihren Freunden das Recht zurechtbiegen, um den gewünschten Profit einzustreifen. Und mitten drin agiert Jürgen und möglicherweise bald auch er, der kleine Max aus Berlin, mit fiesen Tricks und einer Überzeugungskraft, die ganze Bergwerke zum Wanken bringen kann. Max ist fasziniert von all diesen Eindrücken. Sein bereitwilliges Hirn arbeitet auf Hochtouren.
„Du machst dich Kumpel. Alle Achtung. Hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen gewagt, dass du so rasch Eingang in unser Metier findest.“ Jürgens wohlgefälliges Lächeln ruht auf dem Freund wie eine Samtdecke, die alles verhüllt, was nicht nach außen dringen darf. „Du wirst sehen, über kurz oder lang haben wir es geschafft. Ein hartes Stück Arbeit, das da vor uns liegt. Aber mit Satans Hilfe erreichen wir mehr, als du dir je erträumt hast.“
Jürgen trägt weiße Hosen, ein blaues Hemd und einen Marineblazer. Sein dichtes Haar klebt an dem wohlgeformten Schädel. Sein Gesicht hat nervöse Züge. Arme und Beine sind fortwährend in Bewegung. Sein Minenspiel zeugt von krampfhafter Selbstbeherrschung. Dennoch, jeder Blick, jeder Zug seines Mundes, alles stimmt mit den Worten, die er spricht perfekt überein. Filmpreisverdächtig.
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