Am nächsten Morgen schlürft Max reichlich geschafft in Jürgens Büro. Eine Zigarette baumelt zwischen seinen Lippen, unangezündet. „Verdammt schwer sich das Rauchen abzugewöhnen“, grunzt er.
In eine hundertjährige Reisetasche hat er einige zerknitterte Hemden und T-Shirts gestopft. Er trägt ausgewaschene Jeans. Jetzt kratzt er, ohne Socken, mit Sommerlatschen in den Startlöchern.
„Ziemlich gewagt, deine Outfit“, meint Jürgen herablassend, „Besser du bleibst im Wagen, wenn ich meine Verhandlungen abwickle.“
„Auch gut. Lass dich nur nicht stören, Freund. Für meine Aufgaben tun die Klamotten absolut nichts zur Sache. Und auf den Märkten von Amsterdam ist die Wahrscheinlichkeit beklaut zu werden, für geschniegelte Lackaffen wie dich bestimmt größer.“ Sein Gesicht strahlt. Sein Blick streift flüchtig Jürgens gut sitzenden Seidenanzug. „Sicher sündteuer, dieses Teil“, lästert er.
„Trotzdem solltest du langsam beginnen an deinem Image zu arbeiten.“
„Lass den Quatsch“. Nach einer kurzen Pause fügt er allerdings mit ernster Miene hinzu: „Aber wenn ich es so recht überdenke! Sollte sich unsere Zusammenarbeit als gewinnbringend herausstellen, stünde einem solchen Pflanz eigentlich nichts mehr im Wege.“
Jürgen reißt rasch noch einmal die breite Schranktür auf, angelt einen sandfarbenen Anzug heraus, findet ein passendes Hemd, einen Schlips. Die Garderobe von Max darf keinesfalls dunkel sein, wie die von Anwälten oder Bankiers, die er kennt. Kühl und hell, eher unkonventionell, aber gediegen und respektabel.
„Beeindruckend“, lästert Max dramatisch. „Wie oft am Tag ziehst du dich eigentlich um, bei der Unmenge von Anzügen?“ Von schwarz bis weiß, dazwischen alle erdenklichen Schattierungen, hängen die Teile adrett aufgefädelt im Schrank. Ungeduldig blickt er auf die Uhr. „Glaubst du der Flieger wartet auf uns? Komm langsam in die Gänge.“
„Der ist für dich“, triumphiert Jürgen. „Man kann ja nie wissen. Könnte doch gut möglich sein, dass ich einen seriösen Partner vorweisen muss, um besser zu überzeugen.“ Rasch durchforstet er noch den Schuhschrank, findet helle Mokassins und zwei Paar passende Socken. Die Teile verschwinden zügig in einem Koffer. Er reißt Max die Tasche von der Schulter und stülpt den Inhalt ebenfalls hinein.
„Auf geht’s, Kumpel. Die große Welt erwartet uns.“ Jetzt ist Eile tatsächlich geboten. „Das wird ein Heidenspaß, du wirst es miterleben. Wenn alles klappt, schneiden wir bei diesem Kuchen ein ordentliches Stück mit.“ Langsam dreht Max den Kopf zu Jürgen hinüber. Ein zuversichtliches Feixen im Gesicht. Dieser Kerl täuscht sich zwar manchmal, aber er zweifelt nie an seinem Erfolg, bis er nicht völlig auf der Nase liegt. Ein Schwätzer, der so oft er den Mund aufmacht eine neue Lüge in die Welt setzt, ohne dabei rot zu werden.
Die Maschine fliegt mit einiger Verspätung ab, landet dennoch pünktlich in Amsterdam.
„Backsteingotik, Sandburgen, Mövengekreische. Eine Idylle, wie aus dem Bilderbuch“. Jürgens gönnerhaftes Strahlen ist ansteckend.
„Universitäten, Kunstakademien, Werften, Maschinenfabriken und vor allem, der Welt beste Diamantenschleifereien“ ergänzt Max mit vielsagendem Augenzwinkern. „Die ganze Stadt, ein Museum. Doch auf den Spuren der Vergangenheit zu lustwandeln, fehlt uns heute offensichtlich die Zeit“,
„…und auch die Nerven“, fügt Jürgen gereizt hinzu. „Wir machen keine Vergnügungsreise, schon vergessen?“
„Schade eigentlich. Eine Grachtenrundfahrt wäre schon sehr reizvoll.“
Der Mietwagen steht bereit. In den Straßen, ein Wahnsinnsverkehr. Ein Durcheinander hupender Autos, klingelnder Radfahrer, hektischer Fußgänger. Jürgen passt sich der gegebenen Situation an, hat ebenfalls pausenlos die Hand auf der Hupe. Er biegt einige Male nach links und rechts ab, überquert mehrere Brücken. Vor einem abgetakelten Haus direkt am Kanal, bringt er den schnittigen Volvo schließlich zum Stehen.
„Willst du mitkommen oder warten?“ Die Frage klingt einladend.
„Wohin mitkommen, ich sehe weit und breit kein Hotel.“
„Später, mein Lieber, später. Erst muss ich noch einige Informationen einholen.“
Ohne sich umzudrehen, stapft er durch das breite Holztor in einen heruntergekommenen Hinterhof. Über eine klapprige Stahltreppe erreichen die Männer eine ebenso klapprige Estrade, die in einer dreckigen Glastür endet.
„Kanzlei Wilenson“, steht in kaum lesbarer Schrift auf einem verbeulten Blechschild eingraviert. Jürgen drückt die Klingel. Kein Laut ist zu hören. Ein zweiter Versuch. Jetzt trommelt er mit den Fäusten gegen die Tür, dass die Scheiben klirren.
„He, Christian, mach schon auf. Hier ist Jürgen. Wir sind verabredet, hast du das vergessen, alter Halunke.“
Schlürfende Schritte. Kurz darauf knackst das Schloss. Die Tür springt auf. Ein etwa sechzig jähriger Mann streckt den Kopf durch den schmalen Spalt. Bleich, schütteres Haar, unrasiert. Mit trüben Augen deutet er den Ankömmlingen einzutreten. Offensichtlich der mieseste, sicher auch der erfolgloseste Anwalt in ganz Amsterdam. Der alte Schreibtisch quillt über von Akten verlorener Prozesse. Es stinkt förmlich nach unzufriedenen Mandanten und unbezahlten Rechnungen. An der dreckigen Wand hängt ein Diplom. Abschluss an einer Universität. Details kann man im trüben Licht dieses chaotischen Büros nicht lesen. Übler Geruch von abgestandenem Zigarrenrauch, vergilbte Jalousien, ein abgewetzter Teppich. Max fühlt Übelkeit aufsteigen. Jürgen stößt ihn unsanft vorwärts.
„Laß dich durch den Eindruck nicht täuschen“, säuselt er rasch. „Was unsere Sache betrifft, hat dieser Kerl mehr zu bieten, als so manch Anderer.“ Achselzuckend stiert Max von einer Ecke zur anderen. Plötzlich sprintet er ohne Vorwarnung auf eine kleine Tür zu. Ein winziger Manneken Piss aus Porzellan. Ihm ist speiübel.
„Ziemlich schwache Nerven, dein Partner. Bist du sicher, dass er unseren Deal auch durchsteht.“ Die Stimme des Anwalts klingt heiser. Offensichtliche Nachwehen einer durchzechten Nacht. Er schenkt drei Gläser Genever ein. Seines leert er mit einem raschen Zug.
„Hab alles aufgeschrieben. Genaue Treffpunkte, Menge der Steine. Hab mir sagen lassen, sind eine Menge lupenreine Mehrkaräter dabei. Heiße Ware, schwer zu verscherbeln. Aber ganz nach deinem Geschmack, denke ich wenigstens.“ Wilenson spricht pausenlos, schiebt eine halbgerauchte Zigarre von einem Mundwinkel zum anderen. „Wurden alle geprüft. Stammen aus diversen Ländern, bestens sortiert und meisterlich geschliffen. Und erst der Preis! Freund du wirst staunen.“ Er zieht heftig an seinem Stummel und bläst den Rauch an die Decke. „Hab die Jungs gewaltig heruntergehandelt. Diese Idioten waren froh, die ganze Zore auf einmal an den Mann zu bringen, dementsprechend mussten sie bluten.“ Sein selbstzufriedenes Lachen dröhnt durch den stickigen Raum. Mit flinken Fingern durchwühlt er Berge von Schriftstücken und sonstigem juristischen Gerümpel. Schließlich fischt er einen zerknitterten Zettel unter einem Stapel bekritzelter Blätter hervor.
Max lehnt aschfahl am Türstock. Wenn Jürgens Mittelsmänner alle so aussehen, wozu hat er mir dann diesen pikfeinen Anzug aufgedrängt, überlegt er. Jürgen wirft einen kurzen Blick auf den Handgeschrieben Fetzen Papier. Er scheint äußerst zufrieden. Prompt greift er in die rechte Brusttasche, zieht ein Bündel Dollarnoten heraus, die Wilenson gierig in seiner Hosentasche verschwinden lässt, ohne nachzuzählen. Ein Geschäft unter Ehrenmänner, lästert Max in sich hinein, heilfroh, rasch wieder an die frische Luft zu kommen.
„Also dann, bis bald, Spezi“, dröhnt die Stimme des Alten wesentlich entspannter als zu Beginn.
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