Michael Haderer
FREMDKÖRPER
Ein die Psyche thrillender Trip in schwer begreifbares Ambiente
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Inhaltsverzeichnis
Titel Michael Haderer FREMDKÖRPER Ein die Psyche thrillender Trip in schwer begreifbares Ambiente Dieses ebook wurde erstellt bei
Michael Haderer | Fremdkörper Michael Haderer | Fremdkörper ROMAN Inspired by true events
PROLOG
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DANKSAGUNG
DER AUTOR
VORSCHAU: FENSTERSTURZ
Impressum:
Impressum neobooks
Michael Haderer | Fremdkörper
ROMAN
Inspired by true events
Ich vermute, dem Herrn Mag. Moser von der Polizeidienststelle Wien-Landstraße war immer noch ein wenig übel, als er die Aktenkennzahl KR320/LS/93 in das dafür vorgesehene Feld eintrug und seinen Namen dahintersetzte. Der Fund, den seine Abteilung an jenem Nachmittag des 16. September 1993 gemacht hatte, war so außergewöhnlich und grauenvoll anzusehen, dass er für lange Zeit in den Köpfen der an der Amtshandlung teilnehmenden Beamten herumspuken würde.
Per Zufall war man auf den versteckten Raum gestoßen, wegen eines Ausbaus oder Umbaus. Genau weiß ich es nicht mehr. Tief unten im Labyrinth des Wiener Kanalnetzes. Jedenfalls hatte man eine schwere Eisentür gefunden, die auf keinem Bauplan verzeichnet war – ebenso wenig wie das Gruselkabinett mit den vier in grotesken Posen erstarrten und auf mysteriöse Weise mumifizierten Leichen dahinter.
Die Boulevardpresse stürzte sich gleich geifernd auf das Rätsel der Kanalmumien und es wurde spekuliert und geschrieben, bis den Redakteuren die Finger bluteten. Ein Überbleibsel aus der Zeit der ersten Türkenbelagerung sollte der geheimnisvolle Ort gewesen sein oder auch der zweiten. Eine geheime Zuflucht vor den anstürmenden Horden alles und jeden islamisierenden Osmanen das eine Mal und eine christlich-habsburgische Folterkammer, in der man irrgläubigen Gefangenen die Zehennägel zog, das andere Mal.
Dabei interessierte es die Reporter wenig, dass die Behörden nicht müde wurden, bei jeder Pressekonferenz auf die moderne Kleidung der Toten hinzuweisen, die so gar nicht zur Tracht eines Zeitzeugen des beginnenden sechzehnten Jahrhunderts passte.
Die Tür war von innen verschlossen gewesen und es sah aus, als hätte es einen Kampf gegeben. Nur der eine, der auf eine alte Tragbahre gefesselt war, hatte – man konnte das angeblich trotz seines Zustands noch gut erkennen – einen auffällig zufriedenen Ausdruck im, nun ja, in dem, was einmal sein Gesicht gewesen sein mag.
»Geradezu ein Leuchten!«, gaben die ersten Polizisten vor Ort zu Protokoll, sobald sich ihre Mägen von dem grässlichen Gestank und Anblick einigermaßen erholt hatten. Die Beamten konnten sich nicht wirklich einen Reim darauf machen, was sich wohl in dieser Kammer abgespielt haben mochte. Aus dem Grad der Verwesung der Leichen ließen sich die Ereignisse zwar – soweit waren sich die Wissenschafter einig – mit ziemlicher Sicherheit auf das Jahr 1989 zurückdatieren, aber selbst die erfahrenen Forensiker des FBI, die man behördlicherseits schließlich hinzugezogen hatte, waren nicht mehr in der Lage, genau zu eruieren, wie die Personen ums Leben gekommen waren oder ob und wenn ja, dann wer von wem um Selbiges gebracht worden war. Schließlich schloss die Polizei den Akt als »ungelöst« und ließ ihn ins Archiv bringen.
Ich werde hier nicht preisgeben, wem ich die überaus illegale Zuspielung dieses Dossiers zu verdanken habe, denn ich will meinen Gönner weder bloßstellen, noch der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen. Doch nun, nach Abschluss des Studiums aller Bilder, Schriftstücke und anderer Sachbeweise, nachdem ich jahrelang ausgiebig in den Leben und Vorleben der Verstorbenen gewühlt und umgerührt habe, und nach eingehender Recherche an den Orten des Geschehens, meine ich zu wissen, was damals wirklich geschehen ist. Und ich beteuere hiermit, dass ich überzeugt bin, dass sich alles so oder so ähnlich zugetragen hat, wie hier niedergeschrieben – wenngleich es einem vielleicht schwerfallen mag, das zu glauben.
Damals in den Achtzigern gab es noch die alten Wählscheibentelefone, deren durchdringenden Klingelton man weder ändern noch leiser schalten konnte. Wenn man nicht das Glück hatte, einen Anrufbeantworter zu besitzen, der sich nach ein paar Tönen dazwischenschaltete und der akustischen Tortur ein Ende bereitete, war man arm dran nach einer durchzechten Nacht.
Herbs alter Apparat erzeugte besonders bösartige Laute, weil sich wohl irgendwo eine Schraube gelockert hatte, die mit jedem Klingeln vibrierte und schepperte. Scharfe metallische Töne, die ohne einen Funken Mitgefühl sein Hirn aus der tiefen Bewusstlosigkeit rüttelten, in die er es am Abend zuvor mit zumindest drei Litern Bier und einer Flasche billigen serbischen Obstbrandes befördert hatte.
Sechs Uhr morgens.
Herb hob die Augenlider ein klein wenig an und blinzelte auf die grünlich schimmernde Tritium-Anzeige seines Weckers.
»Wer zum Teufel …? Nichts kann so wichtig sein!« Er presste den Polster auf seinen Kopf und fluchte darunter weiter.
Mit jedem neuen Klingeln brandeten Wellen unaussprechlichen Schmerzes an seine Frontallappen und schwemmten das Treibgut vager Erinnerungen an die letzte, in Schnaps versenkte Nacht an:
Das Wettcafé Cojones . Der etwas heruntergekommene Spielplatz für mutige Glücksritter und Hasardeure.
Das Fußballteam der dritten italienischen Liga, das schon wie der sichere Sieger ausgesehen hatte, ehe der Schiedsrichter der Partie eine Reihe unfassbarer Fehlentscheidungen getroffen und so den Ausgang des Spieles massiv zu Herbs Ungunsten beeinflusst hatte.
Der kleine Beleg, auf dem in wenigen Worten und Ziffern die große Hoffnung auf das schnelle Geld geschrieben stand, bis Herb ihn – wie schon so oft – aus Enttäuschung in winzige Teile zerrissen und diese auf dem von verschütteten Getränken klebrig gewordenen Boden der Spelunke verstreut hatte.
Das wissende, überhebliche Lächeln des lungenkranken Lokalbesitzers, den alle nur den Landauer nannten und der sich mit Wetten, vor allem aber mit Wettbetrügereien, bestens auskannte.
Die obdachlosen Seelen, die halb eingeschneit auf den Stufen des Tegetthoff-Denkmals auf dem Vorplatz des Wiener Nordbahnhofs saßen und ihm zuwinkten, als wäre er schon einer von ihnen, während er sich spätnachts durch den eisigen Schneesturm nach Hause arbeitete.
Die Huren vom Max-Winter-Platz, die gleich unter seinem Schlafzimmerfenster ihre letzten Kunden abfertigten, um sich danach rasch in ihre kleinen Bleiben zurückzuziehen und sich den Dreck der Nacht abzuwaschen.
Die pflichtbewussten Hausbesorger, wie sie aus ihren Erdgeschosswohnungen in die Dunkelheit schwärmten und damit begannen, den ersten Schnee im November von den Gehsteigen zu schaben, weil er dort nichts zu suchen hatte – schon gar nicht so früh im Jahr.
Herb griff sich die leere Schnapsflasche vom Boden und schleuderte sie aus dem Handgelenk. Zu kraftlos. Zu ungenau. Der Apparat schepperte gehässig weiter.
Heute war IHR Tag. Der eine Tag. Sein Geburtstag. Den würde sie sich nicht so einfach nehmen lassen.
»Was ist nur aus dir geworden, warum nur bist du so herzlos?«, dröhnte es aus der Leitung, als Herb es endlich fertiggebracht hatte, sich auf die andere Seite des Zimmers zu schleppen und das unvermeidliche Gespräch anzunehmen.
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