„Komm trödel nicht so! Ich habe heute auch noch etwas anderes vor!“, warf Jasmin ihr vor.
„Du musst ja nicht mitkommen. Ich kann das auch alleine machen!“, verteidigte sich Catherine.
„Kannst du eben nicht! Du hast Matt doch gehört! Ich soll dich begleiten und auf dich aufpassen. Dein Ultimatum läuft in ein paar Stunden ab und er hat Angst du könntest dich vom Acker machen und er bleibt auf deinen Schulden sitzen.“
Auch daran hatte Catherine schon gedacht, aber genauso schnell verworfen. Matthew war kein Unbekannter in der Drogen- und Prostitutionsszene. Vor ihm zu flüchten war ohne genügend Geld und Kontakte, wo sie sich verstecken konnte unmöglich. Bei einem Scheitern der Flucht war dies gleich einem Selbstmordkommando zu setzen. Und das war mit 90%iger Sicherheit der Fall. Die ganze Woche über hatte sie sämtliche Freunde abgeklappert und versucht so zumindest etwas Geld zusammen zu bekommen. Doch letztlich waren es bis gestern Abend nur lächerliche 273 Dollar und 40 Cents. Viel zu wenig für Matthew! So blieb ihr nur noch ihre letzte Chance, die schlimmste von allen – ihre Mutter um Geld zu bitten. Sie war die einzige, die ihr noch helfen konnte. Natürlich verdiente sie bei den Carringtons als Haushälterin kein Vermögen, insbesondere, da sie in Rente war und nur noch bei Festen aushalf, so wie heute, wie sie von der Nachbarin erfahren hatte. Trotzdem war sie sparsam und hatte immer Geld auf der Seite, das sie für Notfälle aufhob und ein Notfall war das jetzt auf jeden Fall. Auch wenn sie sich die Antwort schon denken konnte, versuchte sie es trotzdem. Vielleicht war mit ihrer Mutter auch zu reden, selbst wenn sie sich schämte ihr die Situation, in der sie sich gerade befand, zu erklären. Noch 100 Meter, dann würden sie an der Carrington Villa angekommen sein. Schon von weitem war die buschige Hofeinfahrt sichtbar, die das große, eiserne Tor umgab und den Seiteneingang zuwucherte, dass niemand ihn bemerkte. Auch Jasmin sah ihn nicht und ging weiter ohne zu merken, dass Cathy bereits stehen geblieben war. Erst nach einigen Metern fiel es ihr auf und sie drehte sich ärgerlich um.
„Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich nicht den ganzen Tag Zeit habe. Also leg endlich einen Schritt zu. Wir können uns auch den ganzen Unsinn sparen und wir ruhen uns noch etwas aus, bevor die Arbeit heute Abend losgeht. Da hast du mit ein bisschen Geschick und bei deinem Aussehen das Geld im Handumdrehen zusammen.“
„Wir sind schon da!“
Catherine zeigte mit dem Kopf hinüber zur Villa, die völlig versteckt hinter den Hecken und dem Blattwerk lag, das sich um die Gartenmauer schlängelte.
„Dahinter ist es schon“, erklärte sie Jasmin ihre Kopfbewegung.
„Und du bist dir sicher, dass hier die Carringtons wohnen?“, fragte Jasmin skeptisch. „Sieht eher sehr verlassen aus, wenn du mich fragst.“
„Natürlich bin ich mir sicher. Ich bin hier schließlich früher ein- und ausgegangen. Die Carringtons leben lieber zurückgezogen und wollen nicht unbedingt in der Öffentlichkeit und für allermann sichtbar sein.“
Catherine ging auf die versteckte Seitentür zu. Sie wurde schon lange nicht mehr benutzt. Warum sollte sie auch? Das große Eisentor öffnete sich auf Knopfdruck, wenn der Besuch sich anmeldete und jeder der Familie hatte am Schlüsselbund einen Chip der das Tor automatisch öffnete. Die Seitentür wurde daher so gut, wie nie benutzt. Catherine drückte die alte, verrostete Klinke hinunter und zuckte bei dem quietschenden Lärm, den das Tor beim Öffnen verursachte, unwillkürlich zusammen. Geduckt zwängte sie sich durch das dichte Blattwerk und war kurz darauf im Vorgarten der Carringtons angekommen. Von hier aus waren es noch knapp 50 Meter bis zur Haustüre des weitläufigen Anwesens. Mit jedem Schritt, den Catherine näher kam, wurde ihr mulmiger zumute. Was war wenn Mike hier war? Er würde ihr das Geld geben, keine Frage! Aber was würde er dann von ihr denken? Dass sie der letzte Abschaum wäre? Vielleicht hatte sie auch Glück und er war unterwegs, wie so oft und er würde nichts von alldem hier mitbekommen. Jasmin dagegen kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bislang hatte Cathy ihr und auch den anderen die Verbindung zu den Carringtons verschwiegen und hätte es auch jetzt noch getan, wenn sie nicht den letzten Strohhalm gerade greifen wollte, den es noch gab – ihre Mutter. Schon die Erklärung, dass ihre Mutter in Wellington war, hatte ihr Jasmin nicht abgenommen und erst recht nicht, dass sie die Carringtons kannte. Es war ihr auch nicht zu verdenken. Immerhin hatte Jasmin in den letzten Jahren viel Zeit mit Cathy verbracht und sie hatte ihr bisher kein einziges Wort von den Carringtons erzählt. Deshalb war es schwer gewesen, sie überhaupt zu überreden, nach Wellington zu fahren. Nicht zuletzt, da Jasmin von Matthew abends wieder zum anschaffen geschickt wurde und sie verständlicherweise jetzt lieber zu Hause im Bett bleiben wollte, als mit Catherine umsonst durch die halbe Stadt zu laufen. Wahrscheinlich hätte Jasmin auch mit dem Namen nichts anfangen können, wenn nicht hin und wieder ein Freier sie ins Nobelhotel Carrington verschleppte, vermutete Catherine. Sie kamen näher und aus dem Seitenwinkel konnte Catherine beobachten, wie Jasmin immer beeindruckter und ehrfürchtiger sich dem Eingang der Villa näherte. Wenn der Ernst der Lage nicht so dramatisch gewesen wäre, hätte sie über Jasmins Verhalten ausgiebig gelacht, doch momentan war ihr eher nicht danach und sie setzte alle Hoffnung in das bevorstehende Gespräch mit ihrer Mutter. Catherine klingelte und der melodische, an die Kindheit erinnernde Klingelton, war durch die Eingangshalle bis nach draußen zu hören. Sie warteten und es dauerte nicht lange, als eine schlanke, schwarzhaarige Frau mit durchdringenden blauen Augen ihnen die Tür öffnete. Catherine vermutete, dass es sich um Laura handeln musste. Sie war Laura bisher nur ein- oder zweimal begegnet und da war Cathy nicht gerade nüchtern oder ohne Drogen gewesen, um sich das Gesicht zu merken. Die Frau dagegen, schien sie sofort erkannt zu haben und bot sie freundlich herein. Es war komisch, aber diese Laura hatte kein bisschen den herrischen und dominierenden Gang und die Haltung, die Elizabeth Carrington immer hatte. Außerdem wäre auch Elizabeth Carrington nie selbst an die Türe gekommen. Dafür hatte sie ihr Personal! Laura dagegen war freundlich, zuvorkommend und passte eher als angestelltes Personal in dieses Haus, denn als Hausherrin. Laura führte die beiden vergnügt in die Küche und bot ihnen ohne Umschweife einen Kaffee an.
„Du möchtest sicherlich zu deiner Mutter, Catherine. Ich darf doch Catherine sagen, oder?“
Cathy nickte und setzte sich an die Theke in der Küche.
„Martha ist noch im Salon und hilft mir beim Aufräumen. William hatte gestern seinen Geburtstag und ich bin froh, dass sie mir bei den Festlichkeiten geholfen hat. Ich hole sie gleich. Setzt euch schon mal.“
Laura tänzelte leichtfüßig zum Kaffeeautomaten und machte völlig selbstverständlich zwei Kaffee. Catherine beobachtete sie und staunte ein weiteres Mal über diese Frau. Für Williams Mutter wäre es nie in Frage gekommen, dass sie den Kaffee selbst gemacht hätte, geschweige denn, hätte sie ihr überhaupt einen Kaffee angeboten. Laura servierte ihnen den Kaffee und ging zur Tür hinaus, um Martha zu holen. Jasmin kam aus der Verwunderung nicht mehr heraus. Wenn Catherine diese Kontakte hatte und auch noch von der Hausherrin bedient wurde, warum war sie dann drogenabhängig auf der Straße gelandet? Und warum hatte sie nicht sofort hier angeklopft, während sie die ganze Woche sämtliche Versager ihres Bekanntenkreises abklapperte, die ihr sowieso nichts geben konnten? Für Jasmin passte das alles nicht zusammen! Sie genoss ihren Kaffee und wartete gespannt auf die weiteren Geschehnisse.
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