Es war wie ein dreidimensionaler Lebensrückblick, in dem alles gleichzeitig geschah. Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart spielten in dieser Dimension, keine Rolle; alles war gleichzeitig. Es waren Hunderte, ja vielleicht Tausende dieser Bilder, die alle um mich herum in diesem Raum schwebten. Und ich konnte auch selbst entscheiden, in welche Szene ich eintauchen wollte, es war absolut magisch. Ich konnte es einfach nicht glauben; unser ganzes Leben wird tatsächlich aufgezeichnet, und wir können uns das nach unserem Tod alles noch einmal anschauen; Nichts, keine einzige Sekunde geht verloren. Ich war schockiert und fasziniert zugleich.
Plötzlich verschwanden die Bilder, und ich wurde gleichzeitig aus diesem Raum weggezogen. Ich sah auch meinen Körper nicht mehr im Wasser, es war einfach nur noch ganz hell. Es ist so schwierig, das mit Worten zu beschreiben, aber ich spürte förmlich, dass dieses Licht lebte. Es war so strahlend, so warm und so vergebend. Es richtete nicht, es verurteilte mich nicht, es klagte mich nicht an, es strahlte einfach nur diese grenzenlose Liebe und eine Atmosphäre vollkommenen Friedens aus.
Ich spürte, dass dieses Licht alles über mich wusste. Alles, was ich jemals getan und gedacht hatte, einfach alles. Dann hörte ich eine Stimme: „Finn, hab keine Angst.” Es nannte mich beim Namen! Ich war beeindruckt und stolz zugleich. „Finn, ich liebe dich, wir lieben dich.” In dem Moment, als es „wir” sagte, sah ich Tausende, ja Millionen weitere kleine Lichter, die mich alle kannten. Sie leuchteten in den unglaublichsten Farben, und dann riefen sie alle wie in einem perfekt orchestrierten Chor: „Willkommen zu Hause, Finn!”
„Ja, jetzt bin ich zu Hause, endlich”, ging es mir durch den Kopf. Dann zog mich eines dieser kleinen Lichter ganz nahe an sich heran. Es strahlte violett-silbern und pulsierte. Und plötzlich war ich in dem violetten Licht drin. Ich war ein Teil von ihm. Als ich drin war, wusste ich alles über das ganze Universum. Ich wusste alles über Blumen, über Pflanzen, über Tiere, über Gestirne und die verschiedenen Galaxien. Ich brauchte dem Licht die Frage „Warum?” nicht zu stellen, weil ich einfach alles wusste. Es war absolut verrückt.
Wir schauten dann gemeinsam nochmals einige meiner Lebensszenen an und lachten herzlich darüber, wie ernsthaft ich mich in vielen Situationen verhalten hatte. Ich war erstaunt, welch herzerfrischenden Humor dieses Licht hatte. Wir schauten uns die Szenen an, wir redeten und wir lachten. Wir hatten einfach eine wunderbare Zeit zusammen. Nie zuvor in meinem Leben fühlte ich mich so akzeptiert und so vorbehaltlos geliebt.
Plötzlich ertönte eine Stimme aus dem Licht: „Finn, du musst jetzt zurück.” „Was meinst du mit ‚zurück‘? Ihr habt doch gesagt, ich bin jetzt zu Hause.” „Ja, das wird immer dein Zuhause sein, aber du hast noch einen weiten Weg zu gehen. Deine Zeit ist noch nicht gekommen”, war die Antwort.
„Aber ich will nicht wieder in diesen kalten, nassen Körper dort unten, ich bleibe hier!” Ein drittes Mal ermahnte das Licht: „Du kannst nicht wählen, Finn, noch nicht. Du musst jetzt zurück.” Und kaum hatte es das letzte Wort ausgesprochen, befand ich mich wieder in meinem Körper. Meine Kameraden waren um mich und versuchten, das Wasser aus meiner Lunge zu pumpen. Die Schmerzen waren furchtbar. Ich schrie und weinte, aber nicht vor Schmerz, sondern aus Verzweiflung und Wut, weil ich nicht mehr in dem Licht war. Ich war zurück in meinem Körper, zurück auf der Erde, aber ich wollte unbedingt wieder in das Licht, es war so unbeschreiblich schön dort.
Während dieses ganzen Prozesses, während ich unterging, im Schlamm stecken blieb, in das Licht eintauchte und wieder zurück in meinen Körper ging, war ich bei vollem Bewusstsein. Ich habe jede einzelne Sekunde miterlebt. Man brachte mich zur Untersuchung in ein Krankenhaus und ich wurde am gleichen Abend entlassen. Der Arzt sagte mir, dass ich etwa sechs Minuten lang nicht geatmet habe und es an ein Wunder grenze, dass ich überhaupt noch lebe. Als man mich nach Hause brachte und meine Schwestern und Eltern mich weinend und voller Erleichterung in die Arme nahmen, wurde mir schlagartig klar, weshalb ich nicht dort bleiben durfte. Man hatte mir nur einen Blick ins Paradies erlaubt, um mir zu zeigen, dass ich keine Angst vor dem Tod zu haben brauche, dass es keinen Tod gibt und dass ich mich vor nichts zu fürchten habe, wenn meine Reise auf der Erde beendet ist.
Diese sechs Minuten haben mein ganzes Leben, mein Denken, mein Handeln und Fühlen für immer verändert. Seit diesem Tag versuche ich, allen Menschen ein klein wenig von der Liebe dieses Lichts weiterzugeben, welche ich erfahren durfte. Ich bin viel rücksichtsvoller und dankbarer für alles geworden und betrachte nichts mehr als selbstverständlich. Ich habe vielleicht auch ein wenig meine Unbekümmertheit und Naivität verloren, aber dafür lebe ich jeden Tag viel intensiver und bewusster.
Ich gebe mir jeden Tag Mühe, das Beste aus meinem kurzen Leben zu machen und – es mag vielleicht grotesk klingen – ich freue mich auf meine letzte Stunde, denn ich weiß, dass auf der anderen Seite das Paradies auf mich wartet.
4. Christopher: Vom Sofa in die Hölle
Es gibt die Hölle, sie ist real, sehr real! Ich weiß das, weil ich selbst dort war, nachdem ich an einer Überdosis Ecstasy starb.
Als ich wieder zurück in diesem Leben war, habe ich Bilder gemalt von dem, was ich gesehen hatte. Auf einem sieht man ein Meer von rotem und gelbem Feuer, in dem sich schreiende Gestalten befinden, die aus diesem Feuer entkommen wollen. Aber es gibt keinen Weg aus dem Feuer, da ist keine Hoffnung für diese verlorenen Seelen, sie können nicht weg von diesem Ort.
Mein Name ist Christopher. Ich wuchs in einer sehr christlichen Familie auf, und man hat mir immer wieder eingetrichtert, dass es den Himmel und die Hölle gibt. Aber natürlich habe ich das nicht geglaubt. Das waren für mich alles Märchen, um Menschen Angst zu machen und um sie manipulieren zu können. Und diejenigen, die es mir ständig sagten, glaubten es wohl selbst nicht.
Nach der Highschool meldete ich mich zur Armee und heiratete meine Jugendliebe, die ich schon seit über acht Jahre kannte. Aber weder meine Laufbahn in der Armee noch meine Ehe dauerten sehr lange. Ein Offizier unserer Kompanie kam eines Abends zu mir und sagte: „Chris, du machst einen sehr schlechten Job hier, du könntest es viel besser. Wenn du so weitermachst, hast du keine Chance auf eine Beförderung und deine Armeekarriere ist zu Ende, bevor sie richtig begonnen hat.”
Dieses Gespräch hat mir sehr zugesetzt, und ich war so frustriert und wütend zugleich, dass ich mich entschlossen habe, aus der Armee abzuhauen. Noch in der gleichen Nacht packte ich meine Sachen, ging zur Hauptstraße und fuhr per Autostopp nach Ohio zu einem Freund, den ich lange nicht gesehen hatte. Sein Name war Eddie. Er war ein rastloser Typ, rauchte viel Marihuana und konsumierte auch diverse andere Drogen. Er nahm eigentlich alles zu sich, was irgendwie high machte.
Eines Abends führte er mich in eine heruntergekommene Gegend, in der wir eine Bar in einer kleinen Seitengasse besuchten. Schon von Weitem sah ich Menschen auf der Straße liegen. Die meisten waren völlig zugedröhnt und nicht mehr fähig, zwei klare Sätze aneinanderzureihen. Es roch nach Crack, Kokain, Marihuana, und auf der Straße vor der Bar stank es fürchterlich nach Erbrochenem und Fäkalien; mir wurde so übel bei diesem Gestank, und es kostete mich viel Überwindung, dort reinzugehen. Eddie zuliebe tat ich es dann trotzdem. Es war der größte Fehler meines Lebens, wie sich schon bald herausstellen sollte.
Ich kann mich noch genau erinnern, wie mich in diesem Moment eine innere Stimme warnte: „Geh hier nicht rein, Chris, verschwinde, so lange du noch kannst.” Aber ich ignorierte diese Stimme einfach und ging trotzdem rein. Es war die jämmerlichste und heruntergekommenste Bar, die ich jemals besucht hatte. „Komm, lass uns ein bisschen hier abhängen, das ist cool”, schlug Eddie vor. Also steuerten wir direkt den Tresen an, wo er sich gleich an zwei leicht bekleidete Mädchen ranmachte und ihnen einen Drink offerierte.
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