Es gab einen Riesenberg Lammkoteletts, Maiskolben mit Butter, frisch gebackenes Brot, Salat und zum Nachtisch ihren berühmten Pfirsichpudding.
Schon bald nach dem Essen und einer spannenden Geschichte von Tante Abygale, trollten sich die beiden, versorgt mit Proviant, Schlafsäcken, Decken, Taschenlampe und Laternen in Richtung Garten, wo sie ihr Lager unter der knorrigen Eiche aufschlugen.
Das alte Zelt hatte seine besten Tage bereits hinter sich, soviel war schon einmal sicher, stellten sie gemeinsam fest. Es roch etwas modrig, war fleckig und hatte den einen oder anderen geflickten Riss. Aber es würde Wind und Regen genauso zuverlässig standhalten, wie schon vor so vielen Jahren, als Simons Großtante, zusammen mit ihrem Mann, um die Welt gereist war.
Die beiden Freunde richteten ihr Lager. Es würde frisch werden heute Nacht, denn ein leichter Wind kam auf. Aber das konnte die Abenteurer nicht schrecken. Sie hatten sich beide einen dicken Pullover angezogen und ihre Jacken mit ins Zelt genommen.
Es wurde dunkel und Simon und Richie lagen, im Schein einer Laterne, auf ihren Schlafsäcken und klebten Fotos in ihr Album. Drüben im Haus hatte Tante Abygale schon vor einer guten Stunde die Lichter gelöscht und das kleine Anwesen lag in gespenstischem Dunkel. Etwas weiter hinten im Garten, in der Nähe der Stechginsterbüsche, raschelte es.
„Was war das?“ Richie schreckte hoch und blickte Simon ängstlich an.
„Keine Ahnung“, sagte dieser, knabberte weiter an einem Schokoladenkeks und beschäftigte sich mit seinen Schiffen.
„Das war bestimmt nur ein Kaninchen“, sagte Simon abwesend.
„Ja, vielleicht hast du recht“, beruhigte sich Richie wieder ein wenig.
Erneut raschelte es im Gebüsch. Diesmal so laut, das selbst Simon aus seinen Gedanken gerissen wurde und erschrocken von seinem Fotoalbum aufblickte. Äste zerbrachen. Dann war es wieder still.
„Ich glaube, ein Kaninchen macht nicht solch einen Krach, wenn es durch die Büsche hoppelt“, bemerkte Richard, dem das Herz vor Angst jetzt bis zum Hals schlug.
„Vielleicht sollten wir doch besser im Haus schlafen“, schlug er vor und zog sich etwas weiter ins Zelt zurück.
„Es könnte ja auch ein Fuchs gewesen sein“, fiel Simon ein, wusste aber im gleichen Augenblick, dass diese Möglichkeit Richie auch nicht wirklich beruhigen konnte. Zumal er sich auch nicht ganz sicher war und er ebenfalls etwas nervös wurde.
„Lass uns nachsehen!“, schlug er plötzlich vor und schnappte sich seine Taschenlampe. Richie sah ihn fragend an und anstatt sofort aufzuspringen, um dem Geraschel auf den Grund zu gehen, verschanzte er sich lieber hinter seinem Schlafsack.
„Komm schon, sei kein Hasenfuß, Richie!“ forderte Simon ihn erneut auf und leuchtete mit seiner Taschenlampe in den nächtlichen Garten. Ängstlich rückte Richie etwas näher an den Eingang des Zeltes heran, als es im Gebüsch wieder zu rascheln begann. Aber diesmal hörten sie ganz deutlich auch ein leises Schnaufen.
Von einem Moment auf den anderen fuhr den Jungen der Schrecken in die Glieder. Vorsichtig lugten sie aus dem Zelt und leuchteten in die Richtung, aus der die unheimlichen Geräusche offensichtlich kamen.
Die beiden Freunde erstarrten und Richie war kurz davor, sich vor Angst in die Hosen zu pinkeln. Aus dem Dickicht blitzten ihnen zwei grüne Augen entgegen und sie waren sich absolut sicher, dass es sich hier nicht um die Augen der Nachbarskatze handelte. Richie stupste Simon an.
„Hast du irgendeine Idee was wir jetzt machen sollen?“, flüsterte er ängstlich.
„Nicht die leiseste“, antwortete Simon. Und noch ehe er darüber nachdenken konnte, wer oder was ihnen aus dem Unterholz entgegen starrte, nahm der Schrecken seinen weiteren Verlauf. Keine zwanzig Meter von ihrem Zelt entfernt, stieg eine Feuerkugel in die Luft, die langsam anfing, sich immer schneller um die eigene Achse zu drehen und unaufhaltsam auf sie zukam. Simon und Richie waren starr vor Entsetzen und angst. Sie konnten sich nicht von der Stelle rühren, geschweige denn auch nur ein Wort über die Lippen bringen. Wie angewurzelt blieben sie vor dem Eingang ihres Zeltes stehen und starrten gebannt auf den sich bedrohlich nähernden Feuerball.
„Oh mein Gott, ein Kugelblitz!“, schrie Richie, der als Erster die Sprache wieder fand und warf sich, die Arme schützend um den Kopf gelegt, auf den Boden.
„Simon, wir werden sterben. Das Ding wird uns bei lebendigem Leib grillen!“, jammerte er zu Simons Füßen liegend.
„Richie, das ist kein Kugelblitz! Das muss etwas ganz anderes sein!“, sagte Simon, der den Blick nicht von der strahlend hellen Kugel abwenden konnte. Je schneller diese sich drehte und sich den Jungen näherte, desto deutlicher vernahmen die beiden Freunde ein lautes Schnaufen und Stöhnen aus ihrem Inneren, das sich zu einem markerschütternden Geschrei steigerte und abrupt endete, als die Kugel den Eingang ihres Zeltes erreichte.
Ohne sich weiter um seine eigene Achse zu drehen, schwebte der gleißend helle Lichtball nun etwa einen Meter über Simons Kopf. Simon versuchte näher hinzuschauen und hielt sich, aufgrund des hellen Lichtscheins, schützend die Hand vor die Augen. Es stieg ihnen ein beißender Schwefelgeruch in die Nase. Richie fand den Mut, sich neben Simon zu stellen, als er merkte, dass die Kugel scheinbar nicht die Absicht hatte, ihnen mit lautem Getöse den Garaus zu machen.
„Was zur Hölle ist das?“, fragte Richie, den Feuerball anstarrend und seine Angst vergessend.
„Ich habe keinen blassen Schimmer“, sagte Simon und in diesem Moment tat es einen gewaltigen Knall, der die beiden aufschreien ließ und sie zurück auf ihre Schlafsäcke, im Inneren des Zeltes schleuderte.
Für einen Moment lang lagen sie einfach nur da, ganz benommen und nicht wissend wie ihnen geschah. Sie hatten ein unglaublich lautes Rauschen und Pfeifen in den Ohren und das Gefühl, nie wieder auch nur den leisesten Ton hören zu können. Langsam rappelten sie sich wieder auf und warfen mutig einen Blick vor das Zelt, wo vor ein paar Augenblicken noch die Lichtkugel über ihren Köpfen schwebte.
Der Geruch von Schwefel stieg ihnen jetzt noch stärker als zuvor in die Nase und trieb ihnen die Tränen in die Augen. Die Freunde dachten sie träumten als sie sahen, wie sich zu ihren Füßen ein dicker, grauer Drache zu regen begann, der auf dem Bauch, vor ihrem Zelt, im Gras lag. Leise stöhnend und vor sich hin fluchend, streckte die Kreatur ihre Flügel. Vorsichtig ließ sie ihren schuppigen Schwanz kreisen und erhob, immer noch schimpfend, den Kopf. Das Maul voller Gras und Dreck, blickte der Drache den Jungen, mit seinen grünen Augen, das erste Mal grimmig direkt ins Gesicht.
„Igitt, pfui Teufel“, knurrte der aufgebrachte Drache und spukte Gräser und die Reste von schwarzer Erde in hohem Bogen aus. Fasziniert betrachteten Simon und Richie, wie sich ihr merkwürdiger Gast langsam auf seine kräftigen Hinterbeine stellte. Er war mindestens drei Köpfe größer als Richie, hatte einen schuppigen, schiefergrauen Körper, der auf der gut genährten Bauchseite heller gefärbt war, einen kräftigen Schwanz, mit dem er wütend hin und her schlug und starke, mit scharfen Krallen bewehrte Klauen. Seine Flügel, die ähnlich der einer Fledermaus waren, lagen ihm am Rücken an und vom Kopf bis zur Schwanzspitze richteten sich verhornte Schuppen auf. Er hatte einen echsengleichen Kopf mit kleinen Ohren, aus denen hellgraue Fellbüschel wuchsen. Listige grüne Augen in einem faltigen Gesicht und ein breites Maul mit scharfen Zähnen vervollständigten den nicht gerade Vertrauen erweckenden Anblick, des nächtlichen Besuchers.
Aufgebracht stieß er Rauch aus seinen großen Nüstern hervor, sah an sich herunter, schüttelte sich und begann, sich mürrisch den Dreck vom Schuppenkleid zu klopfen, wobei er wütend mit dem Fuß aufstampfte und fluchte.
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