Georg hatte ihn von oben aus bemerkt, aber nicht weiter auf ihn geachtet. Es kamen so viele Fremde, teils in Geschäften, teils mit Anfragen zu ihm, dass er sie unmöglich alle kennen konnte, er war aber fest entschlossen, heute, an diesem doppelten Feiertag, nichts Geschäftliches zu erledigen. Wer etwas von ihm wollte, konnte morgen wieder kommen, oder – es ganz bleiben lassen. Befremdet sah er aber auf, als der junge Fremde, der ganz ungeniert durch die Zimmer schritt, jetzt zu ihm, mit dem Hut noch auf dem Kopf, auf die Veranda heraustrat und mit untergeschlagenen Armen, aber lächelndem Blick vor ihm stehen blieb.
Georg sah ihn etwas überrascht und forschend an. Es lag etwas in dem Gesicht, das alte Erinnerungen in ihm weckte; er hatte diese Züge schon einmal gesehen, aber wo? Wann? Er verfiel nicht gleich darauf.
„Kennen Sie mich nicht mehr, Donner?“, lächelte der Fremde. „Es ist allerdings schon eine Reihe von Jahren, dass wir uns nicht gesehen, aber sollten Sie die Backwoods Queen und unser ‚Geschäft’ an Bord vergessen haben?“
„Wolf! Bei allem, was lebt!“, rief Georg auf ihn zuspringend, und seine Hand ergreifend und herzlich schüttelnd. „Wolf! Wo kommen Sie jetzt her und was treiben Sie, aber vor allem tausend und tausend Mal willkommen in meinem Haus.“
„Mein lieber Donner“, sagte der junge Fremde mit fast bewegter Stimme, „ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue, Sie hier gefunden zu haben; weckt doch Ihr Bild, Ihre Stimme wieder eine ganze Fülle von Erinnerungen und mitsammen verlebte Szenen in meinem Herzen. Sie scheinen sich übrigens“, setzte er lächelnd hinzu, als er sich dabei in den wohnlichen Räumen umschaute, „in Ihren Verhältnissen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen, wesentlich verbessert zu haben, wie? Sie benutzen wohl jetzt mehr die Feder als die Schürstange?“
„Wahrhaftig ja, Wolf“, rief Georg, „aber alle Wetter“, unterbrach er sich rasch selber, „ich nenne Sie noch immer, wie damals vor den glühenden Kesseln der Backwoods Queen, Wolf, seien Sie mir nicht böse, Herr Graf.“
„Halt!“, rief ihm aber der junge Mann rasch entgegen. „Kein Wort weiter; wer so wacker, wie wir beiden, unter demselben Kessel gefeuert und die Glut geschürt hat, bis wir das alte Ding in die Luft bliesen, der darf den anderen nicht mit Titeln ärgern. Ich weiß, dass Sie Arzt sind, aber das Wort ‚Doktor’ brächte ich deshalb doch nicht über die Lippen, denn das klänge mir zu fremd – Wolf und Georg haben wir uns damals genannt, und dabei bleibt’s, so lange wir uns im Leben treffen und uns schreiben.“
Die beiden jungen Männer schüttelten sich die Hände, und Georg stellte jetzt seinen alten Freund, aber unter seinem alten Titel, „den Grafen Wolf vom Berge“, vor, mit dem er vor langen Jahren als Feuermann auf einem Dampfer, dessen Kessel nachher geplatzt seien, gearbeitet habe, und Wolf war, mit seinem offenen, heiteren Wesen, bald und rasch mit allen befreundet, selbst mit den Kindern, die jetzt unter Katharinens Leitung heraufkamen, um ihren Kaffee zu trinken. Es dauerte auch nicht lange, so schien es allen, als ob sie ihn seit Jahren schon gekannt und ihn nicht vor kaum erst einer Stunde zum ersten Mal gesehen hätten.
Erst gegen Abend kam er dazu, mit Georg eine halbe Stunde ungestört zu plaudern. Georg nahm selber seinen Arm, und ihn hinunter in den Garten führend, schritten die beiden Männer jetzt Arm in Arm durch die lauschigen, mit frischem, duftendem Grün bedeckten Gänge, und Georg musste dann vor allen Dingen erzählen, wie es ihm gegangen. Er tat das mit lebendigen Worten; seine erste schwere Zeit hatte ja Wolf selber mit durchgekostet, dann begünstigte ihn das Glück, er heiratete sein jetziges liebes Weib, seine Verhältnisse besserten sich und schritten vorwärts, bis der Krieg ausbrach. Er selber ging da im zweiten Jahr bei einem Indiana-Regiment als Arzt mit, wurde aber vor acht Monaten verwundet und kehrte nach Hause zurück. 37Sein linkes Bein behielt indes eine Schwäche, dass er keinen längeren Marsch mehr aushalten konnte, und er musste, sehr zur Zufriedenheit seiner Frau, zu Hause bleiben. Nun war der Krieg glücklich und siegreich beendet, und sie durften einer frohen und glücklichen Zukunft entgegensehen.

Wolfs Schilderung seines bisherigen Lebens klang etwas romantischer. „Sie wissen, Georg“, sagte er, „dass ich damals, als wir Abschied voneinander nahmen, schon den Plan gefasst hatte, die schwere Arbeit aufzugeben und mich auf irgendeine Spekulation zu werfen. Es ist das wenigstens das Einzige, womit man es hier in Amerika rasch zu etwas bringen kann, und viel Geduld habe ich nie gehabt. Als leidenschaftlicher Jäger warf ich mich, als mir das am meisten zusagende Geschäft, auf den Pelzhandel, denn mit der Jagd selber ist verwünscht wenig zu verdienen. Wo es viel Wild gibt, hat es keinen Wert, wo es selten ist, lohnt es der Mühe nicht, ihm nachzulaufen. Vortreffliche Geschäfte machte ich aber im Nordwesten, im oberen Teil von Missouri, Kansas und Arkansas. Ich kaufte die Felle und Pelze von den Indianern zu mäßigen Preisen, schaffte sie dann nach St. Louis, und dehnte meine Tätigkeit sogar bis in die Felsengebirge aus, von woher ich zwei wertvolle Ladungen an Biberfellen brachte. Aber ich ließ mich von da ab nicht mehr darauf ein, sie hier zu verkaufen, sondern schickte sie hinüber nach Deutschland. Hier hatte ich einmal Unglück; ein Geschäftshaus, mit dem ich mich ein wenig stark eingelassen, machte Bankrott. Dem Geschäft selber schadete das allerdings nicht, denn die Schufte wurden reich dabei, aber ich bekam fünf Prozent herausgezahlt und wurde dadurch natürlich so viele Jahre länger hier zurückgehalten.“
„Sagten Sie mir nicht damals – und es sind lange Jahre darüber verflossen – dass Sie eine Braut in Deutschland hätten und nur deshalb so hart arbeiteten, um sich selbständig und nicht von Ihrem Vater abhängig einen Hausstand zu gründen?“
„Sie haben ein gutes Gedächtnis, Georg“, nickte ihm Wolf lächelnd zu, „es war und ist so, und schon vor Jahren hätte ich vielleicht das langersehnte Glück gewinnen können; als aber der Krieg ausbrach, wollte ich den Staaten, die ich mir zu meiner künftigen Heimat auserwählt, nicht meinen Arm entziehen. Das Volk arbeitete daran, seine Unabhängigkeit zu sichern und den Fluch der Sklaverei wegzufegen und da durfte ich nicht fehlen.“
„Sie haben den Krieg mitgemacht?“
„Zwei und ein halb Jahr. Im Anfang hatte ich gar nichts davon gehört, denn ich stak bei einem Stamm der Blackfeet weit oben in den Felsengebirgen.“ 38
„Und jetzt wollen Sie heimwärts?“
„Direkt, Georg!“ rief Wolf mit leuchtenden Augen. „So rasch mich der Dampfer, der von New Orleans am Zehnten nächsten Monats hinüber nach Europa geht, dorthin bringen kann.“
„Und wie haben Sie mich hier aufgefunden?“
„Auf die zufälligste Weise von der Welt. Ich war in Cincinnati, um einige Geschäfte zu regeln, und saß beim Table d’hote dort zwei Tage lang neben einem Deutschen, einem ganz prächtigen Mann, mit dem ich ins Gespräch kam und bekannt wurde. Am zweiten Tage trifft mich da zufällig der damalige zweite Buchhalter der alten Backwoods Queen, ebenfalls ein Deutscher, erinnern Sie sich noch des kleinen, buckligen Menschen, der uns immer Vorschuss gab, wenn wir etwas brauchten?“
„Gewiss!“, rief Georg schnell. „Er hieß, wenn ich nicht irre, Lorenz.“
„Ganz recht – derselbe. Er setzte sich zu mir, und selbstverständlich lenkte ich unser Gespräch sofort auf unser früheres Beisammenleben an Bord. Wir gedachten des armen Berger 39, der damals verunglückte, und natürlich auch Ihrer, und ich äußerte, dass ich viel darum geben würde, Ihnen noch einmal im Leben zu begegnen. Da frug mein Nachbar, der Ihren Namen gehört, ob Sie eines Pastors Sohn und schon längere Zeit in Amerika wären, was ich ihm beides bestätigen konnte. Dann bin ich im Stande, Ihnen den Aufenthaltsort des Herrn zu nennen, sagte er freundlich, und zwar finden Sie ihn auf Ihrem Weg nach New Orleans, gar nicht so weit von hier entfernt und ziemlich dicht am Ohio. Ich habe sogar erst heute einen Brief an seine Frau, als Einlage, von Deutschland bekommen.“
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