Das war ein Jubel, als die kleine Gesellschaft in die mit amerikanischen und schwarz-rot-gelben Flaggen bewimpelte Farm eintrat. „Frieden – Frieden!“ läuteten die Glocken noch aus Donnersville heraus, und Glück und Freude kündeten sie ganz besonders dieser Familie, die, nach schwerer Trübsal und Schmerz der Trennung hier wieder vereinigt, einer sorgenlosen Zukunft entgegensehen durfte.

Das Bild mit der Meerjungfrau, Ausschnitt aus der Illustration von Carl Reinhardt, „Nach Amerika!“ Dritter Band.H. Costenoble, Leipzig und Rudolph Gaertner, Berlin, 1855
Und das wimmelte von Gästen heute in dem wohnlichen Gebäude, auf der Veranda des Hauses und in dem kleinen, reizenden Blumengarten, der sich davor ausbreitete und jetzt, Ende Mai, in seinem vollen Blütenschmuck prangte. Und Gäste, alte liebe Freunde des Hauses, befanden sich dabei, die zehn und zwanzig Miles aus der Nachbarschaft herübergeritten waren, nur um dem heutigen Festtage beizuwohnen und das Friedensfest gemeinschaftlich zu feiern.
Wie das gewöhnlich in Amerika geht, dass Einwanderer, die sich an einer bestimmten Stelle wohlbefinden, Verwandte und Freunde dorthin nachziehen und dadurch zuletzt förmliche kleine Kolonien bilden, so war es auch hier der Fall gewesen. Jacob Kellmann, der früher ein Kürschnergeschäft in Deutschland gehabt, hatte um Professor Lobensteins älteste Tochter, da er mit der Familie lange Jahre befreundet war, angehalten und jetzt hier mit Georg Donner, seinem Schwager, die ganze Bewirtschaftung gemeinschaftlich übernommen.
Aber auch aus Donnersville waren, wie gesagt, eine Menge Freunde eingeladen worden und gekommen, und unter diesen auch ein etwas wunderlicher Kauz, der sich als „Chirurg und Barbier“ in der kleinen Stadt niedergelassen und bald mit Georg Donner, der in ihm einen ganz tüchtigen Kern erkannte, eng befreundet wurde. Donner fühlte sich auch bald fest überzeugt, dass der Mann mehr von Medizin verstand, als er selber zugeben mochte, und suchte ihn zu überreden, hier wirklich zu praktizieren, da es in der Tat an einem deutschen Arzt in Donnersville fehlte. Er war allerdings selber Arzt und half aus, wo es nicht vermieden werden konnte, hatte aber mit seinen eigenen Geschäften zu viel zu tun und konnte sich seinem früheren Beruf nicht mehr so widmen.
Jacob Roßwein, wie der wunderliche Mensch hieß, lehnte auf das Entschiedenste jede solche Aufforderung ab, ja konnte sogar wütend werden, wenn ihn einmal jemand „Doktor“ nannte, und verschiedene, höchst komische Szenen waren da schon vorgefallen.
Alles, was in das chirurgische Fach einschlug, behandelte er nicht allein mit der größten Geschicklichkeit, sondern war auch darin den neuesten Forschungen der Wissenschaft gefolgt und studierte noch immer die halbe Nacht hindurch, konnte aber nie bewogen werden, irgendwelche innere Mittel zu verschreiben oder anzuwenden.
Er lebte schon verschiedene Jahre in den Vereinigten Staaten, hatte sich aber in keiner Weise, wie man das so nennt, amerikanisiert, sondern seine ganze Einfachheit beibehalten. Selbst sein Schild in Donnersville trug – der sonst üblichen Form in den Vereinigten Staaten ganz entgegen – nicht das geringste Marktschreierische und nur die kurze Anzeige:
J. Roßwein
Bader und Barbier
Mit dem Zusatz noch: „Hier werden Haare geschnitten“; weiter nichts, und wer zu ihm in den „shop“ trat, den bediente er mit der größten Gewissenhaftigkeit selber und machte, da er mäßige Preise nahm, auch ganz gute Geschäfte. Grob nur wurde er, wenn jemand Patent-Medizinen, mit denen die Vereinigten Staaten ja überschwemmt sind, bei ihm suchte oder ihm gar sein Erstaunen aussprach, dass e r sie, „als Doktor“ nicht führe. 35
„Wenn Sie angeschmiert sein wollen“, rief er dann häufig, „so gehen Sie hinüber in die Grocery zu dem Gewürzkrämer, d e r hat den Schund in Masse und verkauft Ihnen, was Sie in einer anständigen Apotheke für fünf Cents bekommen können, hübsch eingepackt, für ein oder zwei Dollars – aber m i c h lassen Sie ungeschoren.“
Übrigens war er aller Orten als ein braver, rechtschaffener Mann bekannt und hatte in Donnersville auch wirklich nur einen, und selbst den auf wunderbare Art erworbenen Feind, und zwar den einzigen „Adligen“ im ganzen Ort.
Freiherr von Passedow – wie er sich stets selber nannte – der, Gott weiß aus welchem Grunde, in dieses Städtchen gekommen war und auch gar keinen ersichtlichen Broterwerb hatte, lebte dort mit einer erwachsenen Tochter und einer halbblinden Wirtschafterin, und ließ sich von Jacob Roßwein jeden Tag rasieren, und das hatte ihn schon nicht wenig geärgert, dass der Barbier nicht zu ihm ins Haus kam, sondern er zu ihm hinübergehen musste. Allerdings wohnten sie einander gegenüber und es konnte für keinen eine Unbequemlichkeit genannt werden; Roßwein erklärte aber, wenn er einen seiner Kunden im Hause rasiere, so könne er es auch keinem anderen abschlagen und dann verliefe er sich mit der „lumpigen Kundschaft“ den halben Tag.
Das war der a n g e b l i c h e Grund des Barbiers, in der Tat aber ging er nur nicht zu ihm hinüber, weil er ihn als einen adelsstolzen Narren kannte. Irgendeinen anderen armen Teufel würde er mit Vergnügen aufgesucht haben, und tat es auch dann und wann unter der Hand, aber der „Freiherr“ durfte nichts vor Anderen voraus haben und musste deshalb, wenn er sich nicht selber rasieren wollte, zu ihm herüberkommen.
Roßwein hatte nun beim Rasieren eine außerordentlich leichte und sichere Hand, aber eines Tages – wie es gekommen, wusste er selber nicht – schnitt er den Freiherrn, worüber dieser so wütend wurde, dass er ihn einen E s e l nannte. Was war auch dabei; seinen Barbier in Deutschland hatte er fast jeden Morgen so genannt. Roßwein aber verstand die Sache falsch.
Er war gerade in diesem Moment mit der einen Gesichtshälfte des Barons fertig geworden, hörte aber kaum das Wort, als er sein Messer ruhig abwischte, dem Freiherrn, dann, der ihn erstaunt betrachtete, den Stuhl mit so plötzlicher Gewalt fortzog, dass sich dieser mitten in der Stube auf die Erde setzte, und dem empört Aufspringenden erklärte, er möge sich rasieren lassen, von wem er wolle, wenn er i h m aber noch einmal ins Haus käme, stecke er ihn zum Fenster wieder hinaus.
Das war für den Freiherrn von Passedow ein wenig zu viel. Fordern konnte er, seiner Meinung nach, seinen Barbier nicht, denn er hielt ihn nicht für satisfactionsfähig, aber mit halb rasiertem und halb eingeseiftem, außerdem blutendem Gesicht eilte er über die Straße seiner eigenen Wohnung zu, und von dem Augenblick an hatte er einen grimmigen Hass auf den „Bader“ geworfen, dem dieser aber mit der größten Gemütsruhe begegnete. Was lag i h m an dem Freiherrn von Passedow oder irgend einem anderen Freiherrn der ganzen Welt?
Desto lieber besuchte er aber das Donner’sche Haus, und niemand war lieber dort gesehen als er, denn die Kinder besonders jubelten jedes Mal, wenn er ihre Schwelle überschritt. Wenn es aber auch irgendjemand verstand, ihnen neue und überraschende Spielsachen zu bereiten, so war er es. Bald schnitt er ihnen aus Knotenpappe alle möglichen Gerätschaften: Schlitten, Wagen, Stühle, Tische und Figuren, aus, bald machte er den Mädchen Puppen aus Corncobs 36und Hülsen, mit aus Rüben geschnitzten Gesichtern, bald den Jungen Steckenpferde, Pfeile und Bogen und tausend andere derartige Dinge, und „Onkel Roßwein“ war die beliebteste Persönlichkeit auf Donners Farm.
Georg Donner hatte sich eine allerdings sehr bunt gemischte, aber doch nur passende Gesellschaft eingeladen, damit aber auch eine Harmonie in den verschiedenen Persönlichkeiten hergestellt, die die Gesellschaft zu einer allen Seiten genügenden machte.
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