Friedrich Gerstäcker - Blau Wasser

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Friedrich Gerstäcker lernte auf zahlreichen Reisen, was ein Seemann an Bord eines Segelschiffes tat. Seemännische Ausdrücke, Segelmanöver, die Beschreibung des Alltages – das alles wurde auf vielen Fahrten für ihn harter Alltag, denn sehr häufig half er den Matrosen bei ihrer Arbeit. Viele seiner spannenden Erzählungen spielen deshalb an Bord von Segelschiffen. In diesem Band findet sich eine Sammlung der besten Erzählungen, angefangen von Walfängern über das Schicksal fortgelaufener Seeleute, die in der Südsee leben, bis hin zu Geschichten vom Klabautermann und untergegangenen Städten. Spannend und abenteuerlich ist es bei ihm allemal.

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Friedrich Gerstäcker

Blau Wasser.

Aus dem Matrosenleben.

Aus der See.

Volks- und Familien-Ausgabe Band Zwei

der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2005 / 2021

Der Schiffszimmermann.

Leise wogte die See und warf nur wie spielend ihre durchsichtigen tiefblauen, silberbeschäumten Wogen gegen die Korallenriffe von Tubuai, der Hauptinsel einer kleinen Gruppe von Eilanden im Stillen Meere, deren Palmen die milde Luft durchrauschte und über deren bis zur höchsten Kuppe bewaldeten Bergen der Himmel sich rein und sonnig spannte.

Am sandigen Korallenstrand spielten, als die Schatten länger wurden und das heiße Taggestirn sich mehr und mehr dem Horizont zuneigte, eine ganze Schaar bronzefarbiger munterer Kinder, haschten sich, indem sie über die scharfen Korallenstücke mit den nackten Sohlen hinliefen, als ob ihre Füße mit Leder und Eisen gegen jede Verletzung geschützt wären, oder schaukelten sich an langen, aus Cocosfaser gedrehten und in den Kronen der Palmen befestigten Seilen herüber und hinüber - jetzt weit über das blaugrüne Binnenwasser hinaus, über das die mächtigen Bäume ihre Wipfel neigten, jetzt hinein in das Guiaven- und Orangendickicht, mit keckem Fuß die Gefahr abwehrend, gegen irgend einen der nahen Stämme geschleudert zu werden.

Die erwachsenen Männer lagen behaglich ausgestreckt im Schatten eines kleinen Orangen- und Bananenhains, dessen Ausläufer wunderlich starrästige Pandanusbäume bildeten, und /6/ schauten theils den Spielen der Kinder zu, theils ziemlich gleichgültig nach einem in der Ferne sichtbar gewordenen Segel, das mit der leichten Brise langsam näher kam. — Geschäftiger dagegen waren die Frauen, die hier und da in der durchsichtigen Fluth Cocosschalen zu Bechern abschliffen, Kränze und Haarschmuck aus den weißen zarten Fasern der Pfeilwurz wanden, oder auch mit der Angel, bis zum Gürtel im Wasser, zwischen den Korallen standen, ein leckeres Abendmahl von kleinen Fischen zu fangen. Diese wurden dann roh, nur in Cocosmilch und Salzwasser getaucht, und mit der gerösteten oder gedämpften Brodfrucht gegessen.

Früher schallte hier freilich auch das muntere Getön der Tapaklöppel durch das schattige Dunkel der Waldung. Die Frauen und Mädchen verfertigten sich damals aus der gegohrenen Rinde des Brodfrucht- und Bananenbaumes ihre eigenen Stoffe zu Pareu und Schultertuch, und während ihnen lachend und singend die Arbeit zum Spiel wurde, sammelten sich die jungen Leute um sie her, halfen ihnen den Teig einkneten und ausbreiten, und schnitzten ihnen aus dem harten Holz der Casuarine die Klöppel.

Jetzt ist das freilich vorbei. Zuerst brachten ihnen die Missionäre, dann andere anlegende Schiffe, besonders Walfischfänger, buntfarbige Kattune und andere billige Stoffe, die ihnen besser gefielen als die einfache, selbstgefertigte Tapa. Die einzige wirkliche Arbeit, die sie bis dahin gekannt, wurde also bei Seite geworfen, und der edle Müßiggang, dem die Natur hier mehr als an irgend einem andern Ort der Welt Vorschub leistet, ward ihnen bald lieber als alles Andere. Manchen schlimmen Einfluß hatte das allerdings auf sie, aber das Gutmüthige, Einfache, Herzliche in ihrem ganzen Wesen konnte es ihnen doch nicht rauben. Froh und fröhlich lebten sie in den sonnigen Tag hinein, und der Gott da oben, der über ihre Heimath das ganze Füllhorn seiner reichen Schätze ausgeschüttet, mußte ihnen ja wohl ein lieber Vater sein.

Wenig waren sie dabei mit den Weißen, die sich schon aus den benachbarten Inselgruppen festgesetzt, ja einen Theil /7/ derselben sogar gewaltsam in Besitz genommen, in Berührung gekommen. Zwei Missionäre siedelten sich allerdings an der Nordseite der Insel an, deren gutmüthige Bewohner sie bald ihrem Glauben gewonnen hatten. In wirklich innigem Verkehr mit ihnen lebte aber nur ein einziger Weißer, ein junger, blauäugiger, frohsinniger Schotte, der vor fünf oder sechs Jahren auf einer der Tonga-Inseln einem Walfischfahrer, auf dem er als Zimmermann gefahren, entlaufen war und seinen Weg hierher gefunden hatte. Hier aber fesselte ihn sein Herz. Er verliebte sich in eins von den lieben Gesichtern der jungen Tubuai-Mädchen, die dort zu Dutzenden umherliefen, und da ihm das stille gemüthliche Leben dieses, wenn auch von der Welt abgeschiedenen, doch reizenden Platzes ebenfalls gefiel, und die Eltern nicht die geringsten Schwierigkeiten machten, sondern nur eine rechtsgültige Trauung von dem Missionär verlangten, gab er sein unstätes Umhertreiben auf und wurde erstlich ein verheiratheter Mann, und dann später ein Familienvater auf Tubuai.

Er selber war zwar nur mit der Schulbildung aufgewachsen, die Knaben in seinen Verhältnissen daheim gewöhnlich erhalten; aber sein Handwerk hatte er tüchtig und brav gelernt, und machte weiter an ein gesellschaftliches Leben keine größeren Ansprüche, als ihm die Insel eben bieten konnte. Unter dem blauen Himmel und den wehenden Palmen dieses kleinen Paradieses und zwischen den guten und einfachen Menschen verlangte er nichts weiter, denn das häusliche Glück, das er dort gesucht, hatte er ja gefunden. Ueberdies fesselten ihn an die verlassene Welt keine anderen Familienbande mehr. Seine Eltern daheim waren todt, Geschwister hatte er nie gehabt, und Intaha, sein liebenswürdiges Weib, das ihm zwei Kinder geboren, war ihm Alles.

Ehrlich und offen in seinem ganzen Wesen und bei Weitem nicht so rauh und dem Trunk ergeben, wie es die englischen Seeleute sonst nur zu häufig sind, waren ihm auch die Eingeborenen bald alle freundlich geneigt, und durch seine Geschicklichkeit in manchen für sie höchst werthvollen Kenntnissen wurde er ihnen bald zu einem so nützlichen als gerngesehenen Gefährten. /8/

Tomo, in welchen Namen die Eingeborenen sein Tom Burton bald umgetauft, lag auch heute wieder mit ihnen am Strand und schaute halb träumend, halb sinnend zu dem fernen Segel hinüber, das nur langsam und schwerfällig mit der leichten Brise näher kam. Wohl gingen ihm dabei die früheren Scenen wieder durch den Sinn, die er selber damals an Bord eines Schiffes durchlebt: die schwere böse Arbeit, der ewige Unfrieden mit dem Capitain, - dann seine glückliche Flucht, wo er, fünf Tage an wilden Bananen, sogenannten Feis, zehrend, auf den Höhen von Hapai zugebracht, - dann seine späteren Kreuzfahrten zwischen den schönen Inseln, und nun sein jetziges friedliches Stillleben auf der kleinen Scholle mitten im Weltmeer drin.

„Und wenn Du jetzt mit dem Schiffe dort in die Heimath zurückkehren könntest," - gingen seine Gedanken dabei, - „möchtest Du fort? - möchtest Du Intaha und die Kleinen verlassen, um da draußen wieder unter den kalten, herzlosen Menschen das alte Leben zu beginnen? Nein, bei Gott nicht. Es giebt nichts dort, was mich zurück zu ihnen locken könnte, und es kommt mir manchmal wirklich so vor, als ob ich nur eigentlich aus Versehen im alten Europa geboren wäre, so ganz und völlig gehör' ich hierher, wohin mich mein gutes Glück zur rechten Zeit geführt. Da draußen mögen sie sich indessen drängen und treiben, um Geld, nur immer mehr Geld zu verdienen, und das Verdiente dann im wüsten Schlemmen zu verprassen, wie ich es selber früher manchmal gethan. Ich will jetzt hier genießen und mich meines Glückes freuen, -die Welt - bah - so viel für den ganzen unnützen Lärm, den sie darum machen!" -

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