Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein californisches Lebensbild
Gesammelte Schriften
Volks- und Familien-Ausgabe Band Eins
der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Umschlagzeichnung von Petr Sadecky © Verlag
Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und
die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar
Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
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1.
Ho! Califormien!
„Land! - Land!" - über die blaue leise wogende See schallte der laute jubelnde Ruf von der Mastspitze nieder, „Land!" - und „Land! Land!" schrie es im jauchzenden Echo nach, in Kajüte und Zwischendeck hinein, und von einem Ende des Decks zum andern.
Noch dämmerte kaum der Morgen; aber eben dieser erste lichte Streifen, der den östlichen Horizont erhellte, hatte auch die noch ferne zackige Küste dem Auge des vom Top ausschauenden Steuermanns verrathen. Schon vor Tag war es ihm auf seiner Wacht so gewesen, als ob er manchmal das dumpfe Rauschen der Brandung höre, wie es die Brise in unterbrochenen Absätzen herübertrug. Deshalb stieg er nach oben, und der dämmernde Morgen zeigte ihm, daß er sich nicht geirrt. Der Jubel, den die frohe Kunde hervorbrachte, kannte keine Grenzen, und auch der alte Seemann freute sich der willkommenen Erscheinung, wenn auch aus einem andern Grunde wie die Passagiere da unten.
„Gott sei Dank," murmelte er vor sich hin, als er langsam an der Want des Fockmastes wieder nieder an Deck stieg, „daß wir die verwünschten Landlubbers, das Passagierpack, nun endlich los werden. Wie die Kerle grölen, daß sie nun bald wieder Schlamm treten können. So viel weiß ich aber, das war die letzte Fahrt, die ich mit einem Passagierschiff /6/ gemacht, und lieber wahrhaftig auf einem alten Walfischfängcr Blubber auskochen, als sich mit solchem Gesindel noch einmal abzuplagen. - Hallo, da kommen sie - jetzt seh' ein Mensch die blinden Maulwürfe an."
Ingrimmig vor sich hin lachend, blieb er noch oben in der Want halten und schaute auf das Deck nieder, wo gerade unter seinen Füßen die Zwischendecks-Passagiere aus der Vorderluke zu Tage drängten. Für den Seemann mochte es auch wohl ein komischer Anblick sein, wie die verschlafenen Gesichter der Leute, noch nicht halb munter, verdutzt umher und in die Höhe schauten, gerade als ob sie einen hohen, ganz nahen Berg mit den Augen suchen wollten. Die Wenigsten wußten dabei, nach welcher Himmelsrichtung sie ausschauen müßten, die ersehnte Küste zu entdecken, und nur als die glänzende Sonne dem Meer entstieg, ließ sich in ihrer Scheibe das scharf und schwarz abgezeichnete Land nicht mehr verkennen. Leider war aber die Brise nicht besonders günstig, die Küste anzulaufen, und die wackere Brig Leontine mußte schräg daran niederhalten, um durch Laviren näher hinan zu kommen. Gegen Mittag bäumte der Wind allerdings etwas auf, und der Bug der Leontine konnte sich mehr der Küste entgegenneigen. Die Brise blieb aber außerordentlich schwach, und das Fahrzeug rückte trotz des ausgeblähten Segels nur langsam von der Stelle.
Den Passagieren durfte man es übrigens nicht verdenken, daß sie der Erlösung von dem engen Schiffsleben entgegenjubelten. Die Leontine, eine deutsche Brigg, hatte, seit sie von Hamburg ausgelaufen, eine Reise von beinahe sechs Monaten gehabt, der ein wöchentlicher Aufenthalt in Rio de Janeiro und Valparaiso allerdings einige, doch nur geringe und viel zu kurze Abwechselung gegeben, und - was versäumten sie indessen nickt Alles an Bord. Jene ersten Auswanderer nach Kalifornien, zu denen im alten Vaterland nur eben auch die ersten, fabelhaft klingenden Nachrichten gefundener Schätze gedrungen waren, hatten noch Alle den Kopf voll goldener Hoffnungen und Träume. In den Minen fanden sie, jener Kunde nach, „eine Unze Gold täglich", und wenn sie diese nur geradehin zu zwanzig Thlr. Pr. Cour, taxirten, ließ /7/ sich eine vollkommen genaue Berechnung aufstellen, um was sie hier in jeder Woche nutzlosen Harrens gebracht wurden.
Endlich, endlich war das so heiß ersehnte Ufer am Horizont in Sicht, und die Leute wogten und drängten jetzt hastig durcheinander, um so rasch als möglich ihre nöthigen Vorbereitungen zum Landen zu treffen. Sie wollten nicht selber noch muthwillig Zeit versäumen.
Kajüte und Zwischendeck hatten sich bis dahin auch ziemlich streng geschieden gehalten; der Capitain des Schiffes gestattete wenigstens unterwegs nie, daß die Zwischendecks-Passagiere das Hinterdeck betraten, wenn er auch den Kajüts-Passagieren nicht verwehren konnte, sich dann und wann unter die weniger begünstigten Reisegefährten zu mischen. Aber auch von dieser stillschweigenden Erlaubniß hatten die ersteren nur sehr spärlich Gebrauch gemacht, bis auf einmal die Nähe des Landes alle derartigen Formen aufzuheben schien. Es war ordentlich als ob die Leute ahnten, daß sie doch jetzt sehr bald alle miteinander „in einen Topf geworfen würden", und Alles drängte vorn nach der Back - dem Ueberbau des Vorpastells gerad' am Bugspriet - um einen möglichst vollen Überblick über die Küste zu gewinnen.
Wie es unter ähnlichen Verhältnissen auf fast allen Passagierschiffen geschieht, so lebten die meisten der Leute auch in dem Wahne, daß sie, das Land kaum in Sicht, auch schon aussteigen könnten, und zum innigen Ergötzen der Matrosen beendeten Viele von ihnen in äußerster Hast ihre „Ufertoilette" - um sie gegen Abend wieder auszuziehen. So standen auch jetzt auf der Back der Leontine eine Anzahl von Menschen in den wunderlichsten Trachten versammelt, und zwar ein Theil von ihnen in Hemdsärmeln oder dünnen Jacken, wie sie gewöhnlich an Bord herumgingen, und Andere wieder mit Röcken oder gar Frack angethan, Stöcke in der Hand und schwarze hohe Hüte auf den Köpfen. Besonders auffallend erschien unter diesen eine Figur, die man an Bord bis dahin kaum bemerkt hatte. Sie trug einen langen erbsgelben, allerdings arg mitgenommenen Mantel, mit einer unbestimmten Anzahl von Krägen jeder Breite. Dieser Mantel, dessen linker Aermel einen hellgrünen baumwollenen und sehr /8/ dicken Regenschirm hielt, ging bis fast auf die Knöchel hinunter und ließ dort ein Paar schwere, mit großen Nägeln beschlagene Stiefeln sichtbar werden, während unmittelbar oben darauf ein schmalrandiger, entsetzlich ausgeschweifter und abgeschabter Hut saß. Ob in dem Hute noch ein Kopf steckte, blieb dahingestellt; äußerlich war wenigstens nichts von einem solchen zu erkennen.
Neben ihm stand ein junger, sehr anständig gekleideter Mann mit sorgfältig frisirten und geölten Haaren, ja selbst in gewichsten Stiefeln, und blickte neugierig fast mehr nach seinem Nachbar als dem Land hinüber. Es kam ihm nämlich sonderbar vor, fast ein halbes Jahr mit allen diesen Leuten auf dem eng gedrängten Schiffe zusammengewesen zu sein, und jetzt plötzlich Jemanden vor sich und an Bord zu sehen, der ihm vollkommen fremd und unbekannt schien. Herr Hufner, wie der junge Mann hieß, war aber zu schüchtern ihn anzureden, bis ein Hamburger - ein Kaufmann wie man munkelte, der, wegen schlechter Geschäfte daheim, bessere in Californien beginnen wollte - ihm ziemlich ungenirt den gelben Mantelkragen etwas zurückschob und dann ganz erstaunt ausrief:
,,Ballenstedt - hol's der Henker - Junge, wie siehst Du aus?"
„Wie soll ich denn aussehen, Herr Lamberg," sagte aber der Mann sehr ruhig, indeß die Umstehenden in ein lautes Gelächter ausbrachen. „Man darf doch wohl seinen Mantel anziehen?"
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