hin auf „Bonsai´s“ Seite, egal, was sie ihm erzählen würde.
„Hast du wirklich nichts zu sagen?“
Trotzig kniff Lea die Lippen aufeinander.
Der Direktor und „Bonsai“ konnten ihr den Buckel runterrutschen. Auf eine Entschuldigung durften sie lange warten! Da ihre aufeinandergepressten Lippen sich auch nach einigen Minuten nicht öffneten, meinte der Direktor: „Ich hab dich für klüger gehalten.“
Lea erhob sich. „Kann ich jetzt gehen?“ Er nickte. „Es ist wohl alles gesagt.“ Flugs war sie an der Tür. Froh, der dicken Luft hier drin entkommen zu können.
Als sie hörte: „Wenn du meine Tochter wärst, wüsste ich, was ich täte“, erwiderte sie: „Ich bin aber nicht Ihre Tochter.“
Wieder einmal vorschnell. Shit! Während sie den „Gerichtssaal“ verließ, in dem sie ihrem Gefühl nach kurz davor gewesen war, zum „Tode“ verurteilt zu werden, läutete die Schulglocke das Ende der Pause ein. Die zweite Geografiestunde mit „Bonsai“ stand an. Deutlich genug hatte der sie merken lassen, dass sie für ihn nicht mehr existierte. Zudem hatte sie ihren Füllhalter nicht gefunden. Warum also in die Klasse zurückgehen? Auch verspürte sie keine Lust, die neugierigen Fragen ihrer Mitschüler zu beantworten, die mit aller Wahrscheinlichkeit wissen wollten, was der Direktor mit ihr zu reden hatte. Sie schlug den Weg zur Garderobe ein; vertauschte ihre Hausschuhe mit den Straßenschuhen, zog hastig ihre Jeansjacke über und verließ im Eiltempo die Schule. Wobei ihr zum Glück niemand begegnete, der peinliche Fragen stellte. Erst auf der Straße wurde ihr klar, wohin sie sich mit ihrem unüberlegten Handeln manövriert hatte. Und wer war schuld? In ihr brodelte es. Eine steigenden Wut auf „Bonsai“ und den Direktor, die sie in diese Lage gebracht hatten, kam in ihr auf. Das mulmige Gefühl, das sie empfand, sobald sie an die Eltern dachte, die ihr Verhalten schwer, wenn überhaupt verstünden, gelang ihr ebenfalls nicht zu unterdrücken. Denn: Dass „Bonsai“ ihnen alles brühwarm mitteilen würde, war so sicher, wie sie jetzt auf der Straße stand. In diesen Dingen war er äußerst zuverlässig. Leider.
Lea sah nach links und rechts und überlegte: wohin um diese Zeit? Es war früher Vormittag und lausekalt. Nach Hause mochte sie auf keinen Fall, denn sie hatte null Ahnung, was sie der Mutter erzählen sollte und lügen wollte sie nicht.
Die Kälte kroch durch ihre Kleidung, weswegen sie sich in Bewegung setzte – nach irgendwohin. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch und steckte die Hände in die Jackentaschen. Ein frostiger Schauder fuhr ihr über den Rücken. Irgendwann blieb sie mitten im Verkehrsgewühl vor einem Café stehen. Sie befühlte ihre Kleidertaschen genauer, ob etwa vergessene Euros für eine Tasse Kakao zum Vorschein kämen. Nachdem sie diese nach außen gestülpt hatte und nur Textilienstaub herausgebröselt war, blieb ihr wohl nur die Bank am Spielplatz als Zielort. Oder – um sich aufzuwärmen - das Jugendzentrum. Im Begriff diese Richtung zu nehmen, wurde sie unvermittelt von hinten angerufen: „Lea, bist du das? Was machst du denn hier, um diese Zeit?“
Lea erkannte die Stimme, fühlte sich ertappt und zuckte zusammen. Sie blieb stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen.
In zügigem Tempo radelte Frau Wagner heran. Neben Lea angekommen bremste sie ab, wodurch die auf der Lenkstange hängenden Einkaufstaschen hin und her pendelten. Sie hüpfte vom Rad und milderte ihr Tempo mit bremsenden Schritten ab. „Wieso bist du nicht in der Schule?“
Lea dachte an den Direktor und seine Moralpredigt.
„Mir war nicht gut.“ Halbe Wahrheiten zählten nicht als Lüge, oder?
Die Mutter betrachtete sie prüfend. „Du wirst doch nicht krank werden?“
Lea sagte nichts.
„Wo ist deine Schultasche?“
Da wurde ihr bewusst: „Hab ich in der Klasse vergessen.“
Das ferne Knattern eines Mopeds näherte sich. Instinktiv wandte Lea sich um. Sogleich lief eine tausend Volt Stromdosis durch ihren Körper. Fabio! Scheinbar ohne sie zu bemerken, fuhr er in rasantem Tempo an ihr und der Mutter vorbei. Mit dabei ein Mädchen auf dem Rücksitz, das ihre Arme um seine Hüften geschlungen hielt. Nicht zu erkennen, wer es war, da der Sturzhelm ihr Gesicht verdeckte und nur ihre langen blonden Haare im Fahrtwind sichtbar wirbelten. Entgeistert sah Lea ihnen noch nach, als sie hinter der Kurve längst verschwunden waren. Ihr fiel schwer, den plötzlichen Buchstabensalat in ihrem Kopf zu ordnen. Fabio um diese Zeit außerhalb der Firma? Mit einem Mädchen am Rücksitz?
Die verärgerte Stimme der Mutter wurde laut: „Sie fahren wie die Wilden, und wenn was passiert wundern sie sich!“
Lea wurde übel. „Lass uns heimgehen“, murmelte sie, nicht mehr in der Lage in normalen Bahnen denken zu können. Es schwirrte ihr der Kopf. Am liebsten wäre sie Fabio hinterhergelaufen. Zu gern hätte sie gewusst, wer das Mädchen auf dem Rücksitz war, warum er nicht mehr zum Spielplatz kam und warum er sie vergessen hatte. Aber er würde den Grund ihrer Fragen wissen wollen. Was die Überwindung verlänge, ihre Gefühle für ihn zu outen. Doch wenn sie etwas besaß, dann Stolz, und niemand brächte es je zustande, ihr den zu nehmen. Schon gar nicht Fabio.
Lea war froh, dass die Mutter keine Fragen mehr stellte. Sie hätte ohnehin nicht antworten können, so sehr schnürte ihr die Sprachlosigkeit über das eben Erlebte die Kehle zu. Bei alledem war sie aber froh, Fabio endlich wieder gesehen zu haben. Wenn auch nur kurz und mit diesem Mädchen. Eines stand für sie fest: Abends würde sie am Spielplatz sein. Vielleicht er ja auch?
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