„Am 14. Januar 1885 erfuhr Fuhlendorf ...von einem bedeutenden Fund in Tinsdal ... Der Finder, ein im Auftrage von Ladiges arbeitender Steingräber namens Plath, war eben im Begriff, die Bronzefunde lieblos in ein Taschentuch zu wickeln, um sie in seine Wohnung nach Wedel mitzunehmen. Mit größter Mühe...und mit dem Versprechen auf einen Finderlohn seitens des Kieler Museums (heute: Schloss Gottorp) gelang es Fuhlendorf, den Fund an sich zu nehmen.
Dem Finder wurde bald darauf von Dr. Brinkmann am Kunstgewerbemuseum in Hamburg neben verlockenden Fundprämien für Urnen und andere Funde für den Bronzefund ein Preis von 400 Mark geboten. Es entspann sich nun um den geringen Finderlohn von 30 Mark, den Kiel zu zahlen bereit war, ein heftiger Federkrieg zwischen allen Beteiligten, wobei viele böse Worte hin und her flogen und vor allem die Bestrebungen der Hamburger in den Augen Fuhlendorfs nicht gut wegkamen. Es blieb zum Schluß bei dem Preis des Kieler Museums, in dessen Händen der Fund ohnehin schon war. Zu den Fundumständen brachte Fuhlendorf folgendes in Erfahrung:
Die Arbeiter waren beim Steine suchen am südwestlichen Abhang des Luusbargs ungefähr 100 m von den Schmelzöfen entfernt in 40 cm Tiefe auf eine einfache Steinpackung gestoßen, in der ein Tongefäß stand. Von dem beim Herausnehmen zerstörten Gefäß fehlten nachher mehrere Scherben und auch die im Gefäß liegenden Bronzegegenstände waren z. T. beschädigt. Sie alle haben zusammen mit den Bernsteinperlen in dem Topf gelegen. Das Auffinden ging nach Aussage der Arbeiter so vor sich, dass Plath mit der Spitzhacke die Steinpackung auseinanderreißen wollte. Gleich beim ersten Hieb traf er mitten in den Topf mit der Bronze hinein“ (Krahn 1981, S.25).
Der Luusbarg wird 1907 von dem Hamburger Bankier Münchmeyer gekauft, um sich dort ein Sommerhaus zu bauen. Hofft er auf weitere Schatzfunde gemäß der Sage vom versunkenen Schatz im Luusbarg: In der Johannesnacht leuchtet auf dem Luusbarg ein Licht, das immer erlischt, wenn man sich ihm nähert.
Idol von Rissen – Erdgöttin von Rissen
Am 18.06.1971 berichten die Norddeutschen Nachrichten und der Blickpunkt Wedel von einem Vorzeitfund in Rissen ...von europäischer Bedeutung . „Ein sensationeller Fund ist in Rissen, am Tinsdaler Leuchtturm, gemacht worden: ein schwarzer Stein mit dem eingeritzten Bildnis eines Idols, das rund 4.000 Jahre alt sein dürfte. ..
Idol von Rissen – 4.000 Jahre alte Erdgöttin
Es handelt sich um das erste Idol aus Stein und in dieser Form aus dem Neolithikum, der Jungsteinzeit, das im Raum Norddeutschlands und Skandinaviens gefunden wurde... Zum ersten Mal erleben wir, dass ein Mensch dieser Zeit, ein Künstler, die Gestalt eines göttlichen Wesens schuf. Wie sieht es aus? Die Göttin ist 8 cm hoch, aufrecht stehend, und an der Basis 6 cm breit. Sie besteht aus schwarzem cambrischen Schiefer. Unheimlich lebendig und suggestiv wirkt sie auch heute noch. Die tiefen Augen, der weit geöffnete Mund scheinen etwas aussagen zu wollen. Ist es eine Erdgöttin? “
Eine sakrale Figur – eine Rissener Göttin? Das erwartungsfrohe Auge wird aber von dem Anblick der Figur dann doch enttäuscht: keine üppige weibliche Figur wie die Venus von Willendorf , eher eine Studienrätin der Geometrie geschmückt mit ornamentalen Symbolen. Und gleicht das Gesicht nicht der Zeichnung eines 1. Klässlers: Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht?
Venus von Willendorf (Alter 29.000 Jahre)
Ich habe mich in den 1990 er Jahren an das Helms Museum gewandt und nach dem Idol von Rissen gefahndet. Ziemlich schnell war klar, dass der Entdecker W. E. der Öffentlichkeit einen Bären – oder besser eine Göttin - aufgebunden hatte.
Das Helms Museum verwies mich an das Universitätsinstitut für Frühgeschichte. W. E. war dort technischer Mitarbeiter gewesen. Er hatte noch einige Steine hinterlassen, die man mir gern aushändigen wollte. Was also – kein sensationeller Fund in Rissen? Kein Weltkulturerbe?
Im Blickpunkt Wedel erschien kurz nach dem ersten Bericht noch ein Artikel über einen zweiten sensationellen Fund von W. E., er hatte am Tinsdaler Hochufer magische Steine mit Ritzzeichnungen aus der Altsteinzeit gefunden. Hatte ihn nach seinem ersten Täuschungserfolg nun der sportliche Ehrgeiz gepackt?
Stein mit Ritzzeichnungen
Rissen hat nicht nur eine Geschichte sondern auch seine ganz eigenen Geschichten. Vielleicht ist bei W. E. der Traum das Idol von Rissen zu finden schon bei seinen Grabungen als Junge in der Sicheldüne unter Karl Stülcken entstanden.
W. E (vorne links)
Historische Geschichten aus Rissen
Der Name: Rissen
Hebt das lautmalende Wort Rissen den Klang der Vorzeit auf, als der Wind aus dem Elbtal den Sand über die weißen Berge von Wittenbergen, die Heide von Tinsdal, die Felder und die noch unbewaldeten Dünen trug, und der Sand ein ums andere Mal den Rissener Bauern das reifende Getreide zerschlug? Rissen – Rieseln des Sandes?
Die in allen Sprech- und Schreibvarianten – Risne – Rysten – Rissen – erscheinende Stammsilbe ris steht im Althochdeutschen für Sumpf, Moor , sie verweist auf Ried, Reet, Schilfrohr, auf das Schwankende, sich Schüttelnde . Dänisch ryste ist mit schütteln, zittern zu übersetzen; lateinisch ruscus ist die Binse. Manche Sprachforscher interpretieren ris als Reisig, Buschwerk. Die Endsilbe -sen steht für ein verkürztes - husen . Rissen: das Moordorf oder die Häuser im Busch .
Wenn man sich an der Innenseite der Sprache entlang zurückphantasiert, dann entsteht auf ganz eindringliche Weise ein Bilderbogen der Rissener Landschaft und Naturgeschichte.
Was der Name Rissen anklingen lässt, vernehmen wir auch im Namen Tinsdal (tin – Moor, dalle – feuchte Kuhle – oder am Endes des Tals ) und wiederholt sich als Echo in den alten Familien- und Straßennamen: Brunkhorst – der im Moorgehölz lebt; Timmermann – der Mann aus dem Moorland, Ladiges – lad / Schmutzwasser.
Man wohnte am Lüttmoor , in der Racketwiete (racke – Schmutzwasser), in der Brünschentwiete (Röhricht), im Garrelweg (Sumpf), im Wateweg (Sumpf) oder Achtern Sand oder in der Grot Sahl (Sahl sumpfiges Gelände) und begab sich durch die Heide von Tinsdal zu den witten Bergen an der Elbe.
Die Sprache hebt die Szenerie vergangener Zeiten auf. Rissen mit seinen Geschwistern Tinsdal und Wittenbergen startet als Ensemble von Bauerhöfen zwischen Elbe, Elbhochufer, Heide, Dünen und Moore.
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