Ursula Özdemir
IM REICH DER SCHAFE
-Wetter und Leben in Anatolien-
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Inhaltsverzeichnis
Titel Ursula Özdemir IM REICH DER SCHAFE -Wetter und Leben in Anatolien- Dieses ebook wurde erstellt bei
Bauernweisheit
Im Reich der Schafe
Mit den Eisheiligen unterwegs
Teewasser aufsetzen
Hagel und Hunde
Viehhändler zu Gast
Der hinkende Hirte
Kugelhagel im Kuhstall
Kaplan-Anhänger
Dreiste Bettlerinnen
Gib mir Mal ‘ne Lira
Türkische Pfirsiche
Ein Tag im Fastenmonat Ramadan
Hochzeitsfeier im Festsalon
Tod und Trauer in Anatolien
Heldentod
Verliebt, verlobt, verheiratet
Murtaza’s Traum
Picknick in der Wildnis
Dorfversammlung
Männergespräch
Bullentraum
Korankurs
Seelenmesse
Naturgewalt
Sonne, Wind und Wettergott
Eine unglaubliche Geschichte
Fermude
Silberhochzeit?
Geistergeschichte
Heißer Sand und goldene Palmen
Impressum neobooks
Hat das heute herrlich geschneit…..! Ich habe mich in die Wärme unter der schweren Schafwollbettdecke gekuschelt und zugesehen, wie hinter den Fensterscheiben unablässig Schneelappen herunter segelten. Zwei Stunden lang schaute ich in das Schneetreiben. Heute muß ich wohl wieder die Winterpullover aus dem Schrank holen. Gestern noch hatte die April-Sonne warm ins Dorf geschienen. Auf allen Wegen quirlte unter azurblauem Himmel das Leben. Frauen in kunterbunten Pluderhosen schmückten gleich Blumen die erdigen Gassen und Hänge. Junge Mädchen schrubbten mit Geklapper große Kupferkessel und Töpfe unter dem Wasserstrahl am Quellstein blank. Die Perlenborte ihrer Kopftücher funkelte und glitzerte in der Sonne. Gänse wackelten schnatternd über den Platz vor der Moschee. Über die Mauern von manchem Gehöft hingen frisch gewaschene Kelims zum Trocknen, ließen ihre bunten Streifen farbenfroh in den Tag leuchten. Hier und da wurde mit einem Reisigbesen der Hof gekehrt und anschließend aus einem Henkelkrug mit Wasser besprengt. Der schwerhörige Schafhirt saß auf seiner Bank vor dem Stall, ließ sich von der Sonne bescheinen und palaberte weithin hörbar mit seiner fast blinden Frau. Hier karrte ein Junge seine kleine Schwester in einer Schubkarre den Hang hinauf. Dort flitzten ein paar Halbwüchsige auf dem Haupttrampelpfad des Dorfes einem Hund hinterher und bewarfen ihn mit Steinen. Das Leben war aus den Berghütten hinaus ins Freie gequollen, hinaus in Licht, Luft und Sonne.
Doch heute ist das Dorf still geworden. Scheinbar reglos liegt es unter einem weißen Glitzerteppich. Der Frühling ist in hüfthohem Schnee verschwunden. Oberhalb des Dorfes ist der Gebirgspaß nicht mehr passierbar. Schneewehen haben das kleine Bergdorf von der übrigen Welt abgeschnitten. Da kommt kein Bus mehr ins Dorf herein, da fährt auch kein Bus mehr hinaus. Es ist bitter kalt geworden. Deshalb wurde der Kanonenofen mit seinem langen Ofenrohr wieder aus dem Schuppen geholt und auf einem Holzpodest in der Mitte der Stube aufgebaut. Heute wird Holz von einer Pappel verheizt, die im vergangenen Jahr gefällt worden war. Ihren Stamm konnten damals gerade Mal vier Männerhände umfassen. Zwei dicke Holzscheite brennen im Ofen etwa 20 Minuten lang, dann muß wieder Holz auf die Glut nachgelegt werden. Eine anatolische Bauernweisheit sagt:
„Kannst du im März vor die Tür dich trauen, dann verheizt du bald Stumpf und Stiel von Hacke und Spaten.“
Aber noch haben wir im Schuppen einen ansehnlichen Stapel mit Holzscheiten von der zersägten und zerhackten Pappel. Das war übrigens eine unserer Pappeln, die wir selbst oben auf dem Berg gesetzt und jahrein jahraus bewässert haben. Ich fülle einen zehn Liter fassenden Blechkrug mit Wasser und stelle ihn auf die Herdplatte des inzwischen bullernden Kanonenofens.
Der Regenguß vor ein paar Tagen hatte das Ackerland oben in den Bergen gründlich aufgeweicht. Warmer Wind aus dem Süden aber hat den Boden über’s Wochenende wieder ausgetrocknet. Die Mai-Sonne scheint warm ins Dorf. Der Traktor wird aus der Scheune geholt. Ein Sitzkissen kommt auf das Schutzblech des rechten Hinterrads, das mit einer Rücken- bzw. Seitenlehne aus Eisenstangen versehen ist. Mein Mann schwingt sich in den Fahrersitz des Traktors, ich nehme auf der Sitzfläche über dem Riesenhinterrad Platz und halte mich im Eisengestänge fest. Wir knattern über die unbefestigten Trampelpfade des dörflichen Wegenetzes zur Brücke unterhalb der Moschee, hier über den Bach und dann weiter den Schotterweg zum Stausee hinauf. Schon bald liegen das Tausendseelendorf und der Stausee hinter uns. Eine atemberaubende Geländefahrt beginnt, eine Fahrt über Abgründe, durch Schluchten, über die rissigen Erdschollen einer Salzsohle, querfeldein über brach liegendes Land, hinauf auf die Alm. Ein Debiler aus dem Dorf kommt uns auf der Alm mit Riesenschritten entgegen. Er schwenkt bedrohlich einen Stock gegen unseren Traktor, läßt uns aber unbeschadet vorbeifahren und zieht forsch weiter seines Weges. Wir sind unterwegs zu unserem Feld an der Grenze zum Nachbardorf Samankaya. Die Kontrolle des Getreidestands auf diesem Feld am äußersten Rand unseres Landkreises steht an. Unterhalb des violetten Samankaya-Bergzugs sprudelt in einer Senke eine Quelle aus der Felswand. Wir legen einen Stop ein und laben uns an dem Quell. Ein Kanister wird mit dem köstlichen Wasser gefüllt, und weiter geht die Fahrt.
In der Hochebene Schafe über Schafe. Schafe, so weit das Auge reicht. Ihre Wollrücken wogen gleich einem Meer über die Alm. Die saftigen Wiesen verschwinden unter dem grauen Wollwusel der Schafe. Sie kräuseln sich über die Alm und fressen sich am Grün satt. Unten am Rand der Salzsohle liegt ein totes Schaf. Ob der Hirte es bemerkt hat? Liegt er vielleicht irgendwo hinter der Herde im Gras und läßt sich die Sonne auf den Bauch scheinen? Ein Geier kreist am Himmel. Die sich schier endlos aneinander reihenden Wollrücken der Schafe lassen den Gedanken an eine wohl jahrtausendealte Schafkultur Kleinasiens aufkommen. Eine Kultur mit Schafwolle in den Matratzen, in den Bettdecken, in den Kopfkeilkissen, den Sitzkissen.
Und wir sind ja gerade aus solch einem Dorf mit Schafwollkultur in die Berge aufgebrochen. In dieses Dorf kam ich das erste Mal in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ein kleines Bergdorf in der Kornkammer der Türkei mit an den Berghängen klebenden Lehmhütten. Damals gab es im Dorf noch keinen Strom. Also auch keine Straßenlaternen. Da saß man nach Einbruch der Dunkelheit im Schein der Petroleum-Lampe beisammen, ließ den Teekessel kreisen und hat sich über Gott, die Welt und die Nachbarn unterhalten. Draußen vor dem Haus war es nachts stockfinster, nur bei wolkenfreiem Himmel funkelten blitzmunter die Sterne im Schwarz der Nacht. Nach Mitternacht bellten da die Hunde vom einen Ende des Dorfes hinüber zum anderen Ende. Mindestens eine Stunde lang durchschnitt ihr Gebell die Nacht über den Flachdächern der Hütten, als wollten sie sich alles über den gerade gelaufenen Tag erzählen.
Es gab in diesem Dorf auf den Bergen mitten zwischen Ankara und dem Iran nicht nur keinen Strom, es gab in den Hütten auch kein fließendes Wasser. Neben einigen Häusern im Dorf gab es Wasserstellen. Dort sprudelte aus einem Stein von den Bergen heran geleitetes Quellwasser.
Es gab in den 70-er Jahren in diesem Dorf zwar noch keinen Strom und kein fließendes Wasser in den Hütten, aber eines gab es im Dorf in Hülle und Fülle: Schafe! Schafe, Schafe, Schafe…..
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