Ursula Isbel-Dotzler - Der Schimmel im Moor

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Ragni hat eine seltsame Begegnung mit einem Schimmel im Moor um Burg Ricuin. Einen Augenblick später ist das Pferd plötzlich verschwunden. Was geht auf der Burg vor? Ist an den Geschichten um Geister und andere rätselhafte Ereignisse wirklich etwas dran?Ursula Isbel wurde 1942 in München geboren und lebt heute als freie Schriftstellerin in Sulzburg. Sie schreibt hauptsächlich Jugendliteratur für ein überwiegend weibliches Publikum, darunter mehrere Reihen über Reiterhöfe und das Leben mit Pferden.Unter dem Pseudonym Ursula Dotzler übersetzte sie außerdem viele Jugendbücher aus dem Englischen und dem Schwedischen.-

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Ursula Isbel-Dotzler

Der Schimmel im Moor

SAGA Egmont

Der Schimmel im Moor

Copyright © 2005, 2018 Ursula Isbel-Dotzler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711804483

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

1

Es war ein verregneter Frühling, in dem wir großartige Pläne für den Sommer schmiedeten. Daran erinnere ich mich noch gut, denn dann kam alles anders. In diesem Sommer lernte ich Angus Dysart kennen.

Normalerweise wäre es mir nie eingefallen, meinen Vater auf einer seiner Reisen zu begleiten. Das tat ich schon lange nicht mehr. Obwohl alle meine Freunde und Bekannten seinen Beruf ungeheuer spannend fanden, hätte ich viel lieber einen ganz normalen Lehrer, Handwerker oder Anwalt zum Vater gehabt. Dass meine Abneigung gegen seine Arbeit vor allem mit dem Autounfall zusammenhing, bei dem meine Mutter und mein jüngerer Bruder ums Leben kamen, wusste ich; um das herauszufinden, brauchte ich keinen Psychologen.

Auch in diesem Jahr hatte ich eigene Pläne für die Sommerferien. Gemeinsam mit meiner besten Freundin Lily wollte ich einen Segelkurs auf einer kleinen griechischen Insel machen. Wir freuten uns schon den ganzen Winter darauf, neue Leute kennen zu lernen, abends vor südlichen Kneipen zu sitzen und das feuchtkalte englische Klima hinter uns zu lassen.

In den ersten Maitagen rief Lily bei mir an und erklärte, sie könne nicht mitkommen.

»Es tut mir so Leid, Ragni, echt!«, beteuerte sie. »Ich komme mir absolut fies und gemein vor. Hoffentlich kannst du mir das jemals verzeihen! Aber es ist eine einmalige Gelegenheit, verstehst du? So etwas passiert sonst nur im Film oder in einem Roman von Rosamunde Pilcher. Bestimmt würde ich es ein Leben lang bereuen, wenn ich absage, es ist einfach zu göttlich. Versprich, dass du mir nicht böse bist…«

Mein Herz sank, während ich ihr zuhörte. Endlich brachte sie es auf den Punkt: Eine Cousine ihrer Mutter heiratete im Sommer zum dritten Mal, einen österreichischen Baron oder Grafen; und Lily und ihre Eltern waren zur Hochzeit eingeladen. Es sollte ein rauschendes Fest werden, auf dem Schloss des Auserwählten irgendwo im Salzkammergut.

»Ein Schloss!«, schwärmte Lily. »Stell dir mal vor, und der ganze österreichische Hochadel kommt! Bestimmt wird es auch im Fernsehen übertragen – im österreichischen, meine ich. Wir sollen im Schloss wohnen und ich kriege ein langes Kleid aus blauer Seide und einen Hut dazu. Wie findest du das, ich mit Hut?«

Dass die Märchenhochzeit ausgerechnet zu dem Zeitpunkt stattfinden sollte, an dem unser Segelkurs begann, war mein Pech. Ich brauchte drei Tage, um die Enttäuschung zu verarbeiten. Dann machte auch ich meine Buchung im Reisebüro rückgängig. Es kostete fast fünfzig Pfund meines sauer ersparten Geldes, dass ich mich sieben Wochen vor Reiseantritt anders entschieden hatte.

Nicht einmal meinem Vater, der zu dieser Zeit nach einem längeren Aufenthalt in den Karpaten viel zu Hause war und an einem Artikel über Vampire und Werwölfe arbeitete, entging meine finstere Miene und mein schleppender Gang.

»Ragni, mein Mädchen«, sagte er an einem regnerischen Maiabend, als wir zusammen am Esstisch saßen, und beobachtete, wie ich freudlos an meiner Pizza von Paolos Pizzaservice kaute. »Wie wär’s, wenn ich mich als Lückenbüßer zur Verfügung stellen würde?« Wir redeten immer Deutsch miteinander, obwohl wir jetzt schon mehr als acht Jahre in England lebten.

»Lückenbüßer?« Verständnislos erwiderte ich seinen Blick. »Was meinst du damit? Willst du mit mir zusammen einen Segelkurs machen? Der Kurs ist nur für Leute bis fünfundzwanzig. Außerdem hab ich schon abgesagt.«

Er schüttelte den Kopf. Mir fiel plötzlich auf, dass seine Haare, die immer so kastanienbraun gewesen waren wie meine, im Schein der Tischlampe grau schimmerten, als wäre Reif auf sie gefallen.

»Keinesfalls, danke«, sagte er. »So ein Schwachsinn würde mir nie einfallen. Nein, ich hab gedacht…« Er stockte und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Vielleicht hättest du ja Lust, mit mir nach Schottland zu fahren? Es wäre schön, dich mal wieder dabeizuhaben.«

»Es ist wohl nicht ausnahmsweise mal eine stinknormale Urlaubsreise?«, erwiderte ich und wusste die Antwort schon im Voraus.

»Nein«, sagte er. »Natürlich muss ich beruflich hin. Aber das braucht dich ja nicht zu kümmern. Du könntest es als Ferienreise betrachten, oder? Jedes Jahr reisen eine Menge Menschen aus der ganzen Welt nach Schottland. Es ist ein sehr schönes Land.«

»Klar, sicher.« Ich hörte selbst, wie bitter meine Stimme klang. »Ich mache da ganz gemütlich Ferien, während du… Welchen Monstern bist du jetzt wieder auf den Fersen?«

Er warf mir einen vorsichtigen Blick zu, sah dann auf seine Pizza nieder und schnitt sie in kleine Stücke.

»Eine Fülle von hochinteressanten Phänomenen«, murmelte er. »Wirklich faszinierend. Es gibt da eine Burg inmitten eines Hochmoors in den Highlands, in einem Gebiet, das den Kelten heilig war. Die Gegend ist voller Steinkreise und Monolithen und Dolmen. Wunderbare prähistorische Denkmäler, weißt du…«

Für gewöhnlich sprach mein Vater ziemlich leise, jetzt aber wurde seine Stimme vor Begeisterung richtig laut. »Diese keltischen Kultplätze sind oft Orte, an denen auch heute noch Unerklärliches geschieht. Professor Traugott hat im Winter einen großartigen Vortrag darüber gehalten und ich habe ihm geschrieben. Letzte Woche hat er mir geantwortet und mir geraten, Ricruin aufzusuchen. Er hat mir sogar ein Empfehlungsschreiben für die Familie geschickt, die dort lebt. Allerdings gehört die Burg eigentlich bereits dem National Trust, und…«

Ich hörte nur noch mit halbem Ohr hin. Seine Arbeit bedeutete meinem Vater mehr als alles andere, das wusste ich; daran hatte nicht einmal Mamas und Ralphs Unfall etwas ändern können. Im Gegenteil, er hatte sich seitdem nur noch mehr in seine Forschungen vergraben, hatte mehr Bücher und Artikel über Geistererscheinungen und sonstige übersinnliche Phänomene verfasst als je zuvor und galt inzwischen in Fachkreisen als Experte auf diesem Gebiet.

Als er merkte, wie gereizt ich die Oliven mit der Gabel von meiner Pizza kratzte, stockte er. »Entschuldige!«, murmelte er. »Ich wollte dich nicht langweilen. Ich weiß ja, du interessierst dich nicht dafür. Aber das brauchst du auch nicht. Du könntest doch einfach so mitkommen. Vielleicht finden wir in dieser Gegend einen Reitstall, wo du ausreiten kannst. Es gibt auch einen kleinen Golfplatz in der Nähe von Glengarth…«

Ich unterbrach ihn. »Ich kann nicht Golf spielen und will es auch nicht lernen. Hab keine Lust, mich unter all die versnobten Hüpfdohlen zu mischen und Bälle in Löcher zu schubsen.«

»Ja, aber du bist doch früher so gern geritten…« Er sah mich eifrig an. »Auch einen See gibt es da, wo man schwimmen und rudern kann. Und die Gegend soll wirklich wunderschön sein.«

Plötzlich begriff ich, dass er einsam war. Auch wenn er seine Arbeit über alles liebte und in ihr aufging, wünschte er doch, mich bei sich zu haben und diesmal nicht allein fahren zu müssen.

Diese Erkenntnis kam mir blitzartig, während ich ihm gegenübersaß und den fast kindlichen Ausdruck in seinen braunen Augen über der Halbbrille auffing. Dieser Blick machte mich wehrloser, als es jede Überredungskunst, jedes Drängen, jedes noch so ausgeklügelte Argument vermocht hätten.

»Also gut«, sagte ich und seufzte. »Aber nur unter einer Bedingung. Ich will keine Horrorgeschichten hören, nicht eine einzige!«

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