»Aber in die Moschee gehst du ja auch nicht«, erwiderte sie, während sie auf dem Beifahrersitz Platz nahm und er die Tür zuwarf.
»Ich und Gott, das ist besondere Beziehung. Hier!« Er klopfte sich auf die Brust. »Gott ist tief hier drin. Und du bist gleich nebenan, ungefähr« – er tastete sich mit den Fingern auf seiner Brust nach links – »hier!«
»Trotzdem – was der Herr Pfarrer heute gepredigt hat, geht alle an. Das wäre für dich auch interessant gewesen. Es ging darum, dass es im Leben jedes Menschen Dämonen gibt, die ihn jagen. In der Bibel gibt es eine Geschichte, wo ein Mann von ganz vielen Dämonen, einer Legion von Dämonen, besessen ist und Jesus treibt sie aus und sie fahren in eine Herde von Säuen.«
»Das ist ganz einfach zu verstehen, Goldstück«, sagte Fredo und fuhr so rasant an, dass ein paar Steine von dem sandigen Parkplatz von seinen Hinterreifen gegen die Mauer flogen, die den Rasen des Kirchgrundstücks einfasste. »Jesus wollte zeigen: Der Typ da, das war’ne ganz arme Sau war das!«
»Wow, unser Laientheologe hat gesprochen! Aber irgendwo ist jeder Mensch eine arme Sau. Weil sein Dämon ihn drangsaliert und ohne dass er sich dagegen wehren kann, stürzt er ihn am Ende ins Unglück. Für die einen ist es, dass sie zu geldgierig sind ...«
»Mein Vater...«
»... ein anderer ist ständig hinter Frauen her und kann nie treu sein...«
»Kenn’ ich! Das Problem hatte ich früher auch mal, aber seit ich dich kenne, Goldstück, ist Dämon verschwunden, spurlos!«
»Oder jemand leidet an Depressionen, weil er mit irgendwas nicht fertig wird. Und das wird ihm am Ende zum Verhängnis und vielleicht nicht nur ihm ... Wusstest du, Fredo, dass der Teufel eigentlich ein Engel ist?«
»Was? Teufel, der Sauhund will ein Engel sein?«
»Der Teufel ist ein gefallener Engel.«
»Wie das?«
»Als er mit Gott konkurrieren wollte, hat Gott ihn fallen lassen.«
»Du meinst, der Scheitan hat da oben bei Gott Scheiß gebaut und dann hat der ihn rausgeschmissen?
»So ungefähr.«
»Wow. Mit Gott ist nicht gut Kirschen essen.«
»Und jetzt ist er ein böser Engel und geht hier auf Erden umher wie ein brüllender Löwe auf der Suche nach Leuten, die er verschlingen kann. Das heißt, er benutzt seine Macht und seine Dämonen-Legionen, um Menschen dazu zu bringen, dass sie werden wie er. In einer Zigeunerlegende sind es sogar zwölf Teufel, die aus dem Himmel auf die Erde geschleudert wurden, weil sie es gewagt hatten, Gott herauszufordern. Aber auf dem Weg zur Erde sind sie in den dürren Zweigen von Bäumen hängen geblieben und aus eigener Kraft können sie sich nicht mehr befreien. Sie müssen deshalb warten, bis eine Menschenseele vorbeikommt, die auf dem Weg zum Himmel ist. Und die müssen sie dann überreden, dass sie sie mit nach oben nimmt. Aber nachdem die Menschenseele ihnen geholfen und sie aus dem Baum befreit hat, hält der Teufel sie weiter fest und lässt sie nie wieder los. Er kann dann mit ihr machen, was er will. Und die Seele muss dem Teufel dienen bis in alle Ewigkeit.«
»Harte Nummer.«
»Ich glaube aber, das sind in Wahrheit keine Teufel, das sind Dämonen. In der Bibel ist jedenfalls nur von einem Teufel die Rede.«
»Klar, das andere sind die Djinns. Aus der Wüste.«
»Was ich eigentlich versuche zu sagen, Fredo, ist ... Manchmal kommst du mir auch so vor wie ...«
»Wie ein Engel? Oder wie eine arme Seele? Bin ich, Goldstück, bin ich. Bin ganz arm dran, wenn du ein Mal nicht ...«
»Wie ein Engel, der mit seinem Dämon kämpft«, würgte sie ihn ab. »Du kannst ein Engel sein, Fredo, das weiß ich. Aber ich glaube, es gibt da auch einen Dämon. Und ich weiß nicht, ob du ihn kennst. Aber wenn man ihn nicht kennt, ist das gefährlich, weil man ihn dann nicht besiegen kann.«
»Das wird mir jetzt alles zu ernst hier.«
»Ja, typisch! Bloß nicht über was Ernstes reden.«
»Weißt du was, Goldstück?«, begann Fredo nach minutenlangem Schweigen neu. »Ich kenn' mein' Dämon. Das ist ganz klar, Baby: Du bist mein Dämon! Mein großes Problem ist, dass ich viel zu verliebt in dich bin und kaum noch einen Schritt ohne dich machen kann. Und wenn ich dich drei Stunden nicht gesehen habe, dann habe ich sie auch, diese... diese Depressionen, klar! Aber dann ist da noch anderer Dämon in mir, der knurrt immer – unheimlich manchmal, sag ich dir. Da! Hast du gehört?« Fredo wies mit der freien Hand dezent auf seinen Magen.
»Ach, du nimmst mich nicht ernst, Fredo. Immer musst du alles ins Lächerliche ziehen.«
»Nee, ganz im Ernst, Goldstück, da drin ist Dämon, der knurrt wie verrückt. Aber Fredo weiß, wie man mit solchen Biestern fertig wird. Dem werd’ ich’s zeigen! Einverstanden?«
»Womit?«
»Knurrenden Dämon austreiben. In der Pizzeria del Angelo . Müssen wir nicht mal bezahlen. Mein Alter liebt die Pizzas dort, deswegen hat er den Laden gekauft.«
»Aber ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich heute Mittag bei ihnen esse. Seit ich bei ihnen ausgezogen bin, sehen wir uns nur noch einmal die Woche.«
»Luisa, du bist gute Christin, ja?«
»Hm.« Luisa zog die Lippen schmal und zuckte mit den Achseln. »Ich versuch’s.«
»Ich frage dich: Kann gute Christin zusehen, wie jemand von knurrendem Dämon belästigt wird, obwohl es ganz leicht wäre, das Vieh loszuwerden? Das müssen deine Eltern doch verstehen, das ist Christenpflicht, da helfen!«
Fredo musste an einer Ampel halten. Er beugte sich zum Beifahrersitz hinüber, legte seine Hand in Luisas Nacken und holte den Kuss nach, den sie ihm vor der Kirche verweigert hatte. Es wurde ein langer Kuss, an dessen Ende er in der bekannten Intonation erneut zu bekennen hatte: »Uuuuh, Baby, I love your way!«
2
Seine Frau hatte soeben aufgelegt. »Sie kommt nicht«, sagte sie mit leicht brüchiger Stimme. »Isst mit Fredo.«
Der alte Müller schlug mit der flachen Hand auf den frisch für drei Personen gedeckten Küchentisch, dass es knallte und das Geschirr nebst Besteck aufgeregt schepperte. »Meine Tochter, eine Mafiabraut!«, schimpfte der alte Müller. »Ich glaub', ich geh am Stock! Heute trifft sie den Kerl schon wieder!«
»Mafiabraut! Dass du immer gleich übertreiben musst! Man muss den Dingen ihren Lauf lassen. Die Liebe ist eine Himmelsmacht!«
»Ich würde vielmehr sagen: Die Liebe bedeutet ewige Nacht, wenn sie sich mit diesem Kerl einlässt.«
Seit dreiundzwanzig Jahren war Elisabeth Müller, geborene Greilich, mit Berthold Müller verheiratet. Sie kannte seine Launen und seine Entschlossenheit. Es war eine Entschlossenheit, die zum Problem werden konnte, wenn sie zum Starrsinn ausartete. Waren Entschlossenheit und Starrsinn nicht im Grunde sowieso dieselbe Sache, nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln beäugt? »Wir müssen uns da raushalten, Berthold«, sagte sie um einen gemäßigten Ton bemüht und wandte sich wieder dem Herd zu, wo die Soße für den Sonntagsbraten vor sich hin köchelte. »Mit dem Herrn Aksam muss man sich gut stellen. Das ist ein Mann von Einfluss. Und Mafia, so was haben wir hier in Hamburg doch gar nicht!«
»Hast du 'ne Ahnung! Das pfeifen doch längst die Spatzen von den Dächern, dass dieser so genannte Reiseunternehmer seine Finger in allen möglichen schmutzigen Geschäften mit drin hat.«
»Wer Geld hat, hat auch viele Neider!«
»Man muss sich doch nur anschauen, wie der damals die halbe Belegschaft von Pigeon hat über die Klinge springen lassen. Spielt sich erst als der große Retter auf und betätigt sich wenig später als Leichenfledderer. Und zwischendurch hat er fleißig Geld vom Staat eingesackt. Das sind Mafia-Methoden und nichts anderes.« Berthold Müller erhob sich von seinem Küchenstuhl und begab sich schwerfällig an den Herd, wo seine Frau stand und im Kochtopf rührte. Er strich ihr über den Rücken und sagte etwas ruhiger: »Ich bin auch selber schuld. Ich hätte sie mir mal vor die Brust nehmen sollen, als sie diesen Fredo das erste Mal erwähnt hat, hätte mal genauer nachfragen sollen. Fredo? Was ist das denn für ein merkwürdiger Name? Ein Ausländer kommt mir sowieso nicht in die Tüte. Moslem dazu noch! Diese Türkischstämmigen, das sind doch alles Moslems. Geht jeden Sonntag in die Kirche, dass man sich selbst fast wie'n alter Heide vorkommt und kommt mit'm Moslem an.« Er schlug sich mit der Faust auf die Stirn und wandte sich ab. »Gott bewahre!« Was unausgesprochen blieb, war noch ein ganz anderes Unbehagen, das Berthold beschlich, wenn er an seine Tochter dachte: das Unbehagen darüber, dass er aus ihrem Leben herauswuchs, dass sie ihm entglitt und dass er nicht mehr diese durch nichts zu ersetzende Rolle in ihrem Leben spielte. Und das hatte gar nicht in erster Linie mit Fredo Aksam zu tun. Luisa war nach dem Auslandsjahr auf einem Konservatorium in England, das ihr musikalisches Talent fördern sollte, nicht in die elterliche Villa im provinziellen Hasloh zurückgekehrt, sondern in eine Ein-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Eppendorfer Baums gezogen. Vordergründig war das mit dem kürzeren Schulweg erklärt worden: Luisa hatte sich für die Oberstufe des Johanneums entschieden, eines Hamburger Elite-Gymnasiums mit Schwerpunkt in der Förderung musisch begabter Kinder. Aber war das die ganze Wahrheit? Hatte das Auslandsjahr nicht vielmehr einen Ablösungsprozess beschleunigt, der nach Bertholds Geschmack viel zu früh eingesetzt hatte?
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