guten Platz haben, um zuzusehen, wie wir den Korsaren versenken.«
Halblar nickte. »Sie sind jetzt in Reichweite der Kanone, ta Mergon, mein
Freund.«
Der Großkapitän lächelte. »Gerade eben. Nun, dann lass uns die Bestien
mal aufscheuchen.« Er beugte sich ein wenig zur Seite. »Nehmt sie unter
Beschuss! Geschütz frei!«
Der Hauptmaschinist im Rumpf der »Shanvaar« wartete, bis vom
Kanonenturm die Bestätigung kam, dass man das Ziel im Visier habe, dann
legte er den großen Ventilhebel um.
Schlagartig war das Schaufelrad ohne Dampfdruck. Das Klatschen der
mächtigen Schaufeln verstummte und das Schiff verlor sofort an Fahrt. Denn
der Dampf strömte nun durch die vordere Leitung zum Kanonenturm und
begann sich in der Druckkammer des Geschützes zu sammeln. Rasend schnell
stieg dort der Druck an, und als ein Überdruckventil schrill zu pfeifen begann,
schlug ein Matrose des Kanonenturms auf den Auslöser. Ein winziger Hebel,
der das Geschoss im Geschützrohr festgehalten hatte, klappte zur Seite, und
explosionsartig schleuderte der Dampfdruck das metallene Geschoss aus dem
Kanonenrohr.
Ein Knall ertönte, begleitet vom lauten Zischen entweichenden Dampfes,
als die Eisenkugel zum feindlichen Schiff hinüberschnellte, während der
Maschinist den Dampf bereits wieder auf den Antrieb gelegt hatte und die
Kanonenturmbesatzung eine neue Kugel in das noch heiße und feuchte Rohr
stopfte.
Unweit des Korsarenschiffes stieg indes eine dünne Wassersäule aus der
See empor, deren Gischt im Licht der sternklaren Nacht hell aufleuchtete.
»Dicht dran«, knurrte ta Mergon zufrieden. »Lass uns noch etwas
aufschließen, und das nächste Geschoss wird ihr Schiff dann zertrümmern.«
Die Marine Alnoas hatte lange versucht, das richtige Maß zu finden.
Größere Geschosse hatten sich als wenig wirkungsvoll erwiesen, da sie eine
sehr geringe Reichweite hatten und schnell an Durchschlagskraft verloren.
Die jetzt genutzten Eisenkugeln waren relativ klein, aber sie trafen mit
verheerender Wucht und waren in der Lage, Eisenplatten und dicke
Bordwände zu zerschlagen.
»Sie ›Netluaar‹ kommt längsseits«, rief der Ausguck aus dem Mastkorb
mit einem Mal.
»Was soll der Unsinn?« Der Großkapitän blickte verdrossen zur Seite.
»Die sollen Abstand halten.«
Halblar trat an die Reling und sah dem herangleitenden Kampfschiff
entgegen, dessen weiße Segel sich deutlich gegen den Hintergrund der
nächtlichen See abhoben. Das Schiff war bereits unerhört nah. Der Erste
Offizier verengte die Augen. Für einen Moment erstarrte er, bevor er
herumfuhr.
»Das ist nicht die ›Netluaar‹!«, rief er überrascht. »Das ist ein Korsar!«
»Unmöglich.« Ta Mergon starrte auf den Segler, der nun fast längsseits der
»Shanvaar« fuhr.
Aber nun, wo das gesamte Schiff deutlich sichtbar wurde, war die
Täuschung offenkundig. Der schnittige schwarze Rumpf verriet den
Korsaren, an dessen der »Shanvaar« zugewandten Seite sich Männer stauten,
deren Klingen und Rüstungen im Sternenlicht blinkten.
»Klar zur Abwehr von Enterern!«, brüllte ta Mergon erschrocken.
Auch dieses Schwarmschiff führte weiße Segel, wodurch der Großkapitän
und seine Männer getäuscht worden waren. Wahrscheinlich hätten sie die List
dennoch früh genug erkannt, wenn sie nicht so sehr darauf konzentriert
gewesen wären, den verfolgten Korsaren zu stellen.
Die Seesoldaten der »Shanvaar« reagierten sofort, aber im Gegensatz zu
den Korsaren mussten sie gegen jenen kurzen Augenblick des Schocks
ankämpfen, der einen überraschten Krieger für entscheidende Augenblicke
lähmen konnte. Die Korsaren hingegen waren vorbereitet und ließen ihre
Pfeilgeschosse auf die Soldaten Alnoas niederhageln. Die Wirkung war
verheerend. Um die Takelage und Segel eines Feindes zu zerstören, trugen die
armdicken Pfeile dieser Waffen breite sichelförmige Klingen mit
Widerhaken, die nun wie Sensen in die Reihen der Verteidiger schlugen.
Männer schrien auf und wurden verstümmelt auf das Deck der »Shanvaar«
zurückgeworfen oder stürzten über die Bordwand hinab ins aufspritzende
Wasser. Bogenschützen der Korsaren nahmen jene Soldaten zum Ziel, die der
ersten Salve entkommen waren, während sich die Schiffe weiter näherten.
Ta Mergon zückte sein Schwert und sah seinen Freund Halblar wütend an.
»Diese Brut der Finsternis hat es auf unser Schiff abgesehen. Sie sind zu
nahe, um sie mit der Kanone bekämpfen zu können. Gib Signal an die
›Aivaar‹, dass sie den Feind von der anderen Seite her angreifen soll!
Steuermatrose, das Steuer linksseitig, wir müssen von dem Bastard
freikommen!«
Der Mann am Steuer nickte und wollte den Befehl gerade ausführen, als
ein Pfeil seinen Hals durchschlug und seinen sterbenden Leib auf die Planken
warf. Ein anderer Mann sprang an seine Stelle, wurde aber ebenfalls gefällt.
Ein mächtiger Stoß erschütterte die »Shanvaar«, als das Korsarenschiff gegen
ihre Bordwand stieß. Leinen mit eisernen Haken flogen nun heran, krallten
sich in das Holz der Reling und verbanden die Schiffe miteinander. Zwar
versuchten alnoische Matrosen noch, die Leinen zu kappen und ihr Schiff zu
befreien, aber es war zu spät. Wie eine Woge stürmten die Korsaren auf das
Deck der »Shanvaar«.
Die Männer des Königreiches Alnoa waren von vornherein in der
Minderheit. Ein unendlicher Strom von Kämpfern schien aus dem Bauch des
Korsarenschiffs hervorzuquellen und überrannte die Besatzung des
Dampfkanonenschiffs.
Halblar hatte noch zwei Brennsteinlaternen gepackt, um der nahen
»Aivaar« zu signalisieren, sah dann aber schockiert, wie sich zwei weitere
Korsarenschiffe neben das Schwesterschiff legten und es ebenfalls enterten.
Mit bleichem Gesicht wandte er sich zu seinem Freund ta Mergon um und
schrie dann peinerfüllt auf, als ein breites Schwert in seinen Leib drang. Der
Erste Offizier ließ die beiden Laternen fallen und versuchte seine
hervorquellenden Gedärme festzuhalten, während er den triumphierenden
Korsaren mit brechenden Augen anstarrte. Dann kippte er haltlos mit dem
Gesicht voran zu Boden.
Ta Mergon parierte indes den Hieb eines Angreifers, tötete den Mann und
schwang herum, um einem anderen zu begegnen. Dann schrie er auf in Zorn
und Schmerz, als der tödliche Stoß seinen Körper traf. Um ihn herum war der
Lärm des Kampfes zu hören. Das Klirren aufeinanderprallender Waffen, das
Stöhnen und Schreien der Kämpfer und die verzweifelten Rufe verletzter
Soldaten. Der Großkapitän sank auf die Knie und sah ein letztes Mal das
seltsam entspannte Gesicht seines toten Freundes, bevor ihn die
Unendlichkeit umfing.
Allmählich erlosch der Kampflärm, und einige wenige Männer der
alnoischen Marine lieferten sich der Gnade der Eroberer aus und warfen ihre
Waffen aufs Deck. Korsaren in einem bunten Gemisch an Kleidung und
Rüstungen schwärmten unterdessen durchs Schiff, um auch den letzten
Widerstand zu brechen.
»Verschont die Brennsteinmänner«, brüllte ein stämmiger Mann, dessen
langes schwarzes Haar im Nacken von einem Band zusammengehalten
wurde. »Wer Hand an die Brennsteinmänner legt, den werfe ich den
Dornfischen vor!«
Einige der Korsaren lachten bei der Doppeldeutigkeit der Worte. Die
Dornfische waren berüchtigte Raubfische der Meere, mit starken,
zahnbewehrten Kiefern und zwei lanzenartigen Dornen über dem riesigen
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