den Feind nicht einholen können, und wenn es eng wird, können wir ihm auch
nicht davonfahren.« Er lachte freudlos. »Außer vielleicht bei Windstille.«
Die Worte seines Freundes begannen Gort zu ärgern. »Du verschließt dich
der neuen Zeit, Halblar. Der Brennstein verleiht unserem Schiff besondere
Kraft.« Er wies nach vorne in Richtung Bug. Dort, vor dem vorderen Mast,
stand der runde Turm für die Hauptwaffe des Schiffes. »Und unserer
Dampfkanone vermag kein feindliches Schiff standzuhalten.«
»Wenn sie denn trifft und der Feind lange genug stillhält.«
»Halblar.« Gorts Stimme verriet seinen Unmut und ermahnte den Freund,
nun besser einzulenken. Der Großkapitän wies über den Fluss. »Mit einem
Kampfsegler kannst du bei diesem schwachen Wind kaum manövrieren, doch
die ›Shanvaar‹ schafft dies mühelos. Und wenn wir die Kraft des Dampfes
zum Geschütz leiten, wird sein Geschoss jeden feindlichen Schiffsrumpf
zerschmettern.« Gort sah den Freund eindringlich an. »Auf eine Entfernung,
in der kein feindliches Katapult uns treffen kann.«
Der Dampf aus dem Brennsteinkessel trieb sowohl das mächtige
Schaufelrad als auch das Geschütz an. Man musste am Kessel nur einen
schweren Ventilhebel umlegen, damit der Dampf nicht mehr auf die
Antriebswelle traf, sondern durch die vordere Dampfleitung das Geschütz
erreichte. Dort wurde der Druck in einer Kammer des Geschützrohres
gesammelt, bis er groß genug war, um das schwere Kugelgeschoss aus dem
Geschützlauf zu treiben. Der Vorgang benötigte eine gewisse Zeit, in der man
das Ziel im Visier halten musste. Zudem war das Schiff in diesen
Augenblicken ohne Antrieb, aber die Konstrukteure schworen, dass dies nicht
sonderlich ins Gewicht fallen würde. Gort ta Mergon war geneigt, ihnen zu
glauben, denn die schweren Dampfkanonen der Stadtverteidigung hatten sich
bereits bewährt. Aber es behagte ihm nicht, sein Schiff im Gefecht ohne
Antrieb zu sehen, und wenn es auch nur für Augenblicke war. Denn diese
Momente konnten einem Feind genügen, um die »Shanvaar« mit einem Hagel
von Katapultgeschossen einzudecken oder sie sogar zu rammen.
Das Hauptsegel flappte lustlos im Wind. Die Brise war zu schwach, um
das Segel zu füllen, zumal das Schaufelrad das Schiff vorantrieb. Im Grunde
war die Leinwand im Augenblick nutzlos und hemmte vielleicht sogar ihre
Fahrt, aber Gort konnte sich nicht dazu entschließen, die Segel einholen zu
lassen. Immerhin spendeten sie etwas Schatten und brachten Linderung von
der brütenden Sonne.
Einige der Matrosen sangen eine der alten Seefahrerweisen, und Halblar
stimmte leise summend ein. Die Stimmung der Mannschaft war gut. Sie war
froh, endlich der Enge des Hafens entronnen zu sein und sich auf dem großen
Fluss zu bewegen. Vielleicht ergab sich sogar die Gelegenheit, ein Stück aufs
Meer hinauszufahren. Einst war das die Bestimmung der Seeleute von Alnoa
gewesen, als die Schiffe des Königreiches noch Handel mit weit entfernten
Ländern getrieben hatten. Doch diese Zeit war vorbei, denn eines Tages war
die Brut der Schwärme erschienen und hatte begonnen, das Meer mit ihren
schwarzen Schiffen zu bedecken. Zunächst waren es nur wenige Korsaren
gewesen, und die Marine von Alnoa hatte sie noch aufhalten können, aber
dann waren die Schiffe des Feindes immer zahlreicher geworden. Nun
gehörte das Meer den Schwarmschiffen der Korsaren, und die Schiffe der
Menschen befuhren nur noch die küstennahen Gewässer. Nur die Elfen
trauten sich, so sagte man zumindest, gelegentlich noch aufs Meer hinaus.
Aber Gerüchte gab es viele, und Elfen waren nicht weniger verwundbar als
ein Mensch. Nein, die Korsaren beherrschten die Wasser, so wie die Reiche
der Menschen, Elfen und Zwerge das Land beherrschten.
»Wasserwirbel rechtsweisend voraus«, erklang die Stimme des Ausgucks
von der Plattform des Hauptmastes.
Gort blickte unter dem Hauptsegel und über den Geschützturm hinweg
zum Bug. »Das muss die Untiefe von Debun sein. Die Fahrrinne verengt sich
hier, und über der Sandbank bilden sich Wirbel.« Gort wandte sich an den
Steuermann, ohne sich umzudrehen. »Steuer zehn Grad linksweisend,
Maschine auf zweihundert Umdrehungen.« Er legte eine Hand an den Mund.
»Einen Mann mit Lot in den Bug!«
»Steuer zehn Grad linksweisend, Maschine auf zweihundert
Umdrehungen!« Der Matrose am Steuer korrigierte den Kurs, und ein anderer
brüllte die Anweisung des Kapitäns in einen metallenen Schlauch mit Trichter
hinein, der die Worte zum Maschinisten trug.
Die Strömung des Genda war hier recht stark und wirbelte Schlamm und
Schmutz vom Grund auf, sodass an dieser Stelle das Wasser immer getrübt
war. Man musste den Verlauf der Wellen und das Muster von
Verwirbelungen entziffern, sich auf seine Kenntnis des Flusses und auf das
Lot verlassen, damit man an den tückischen Verengungen der Fahrrinne nicht
auflief. Ein Stück weiter den Fluss hinunter verrotteten die Wracks zweier
Korsarenschiffe, die sich den Rumpf an Unterwasserfelsen aufgerissen hatten
und gesunken waren.
Ein Matrose, in der kurzen Jacke und den knielangen Hosen seines
Berufsstandes, rannte an der rechten Seite des Schiffes entlang und führte das
Lot mit sich. Es bestand aus einem metallenen Zylinder, der an einer langen
Leine befestigt und an der Unterseite mit Talg bestrichen war. Als der Mann
den Bug erreichte, beugte er sich weit vor, hielt sich mit einer Hand an der
aufgeheizten Reling fest und warf mit der anderen das Lot aus. Klatschend
tauchte der Zylinder ins Wasser ein, während die Leine an dem langsam
fahrenden Schiff entlangzuschwimmen schien.
»Recht so«, brummte ta Mergon. »Kurs halten!«
»Steuer mittschiffs, Kurs halten«, erwiderte der Steuermann.
»Drei Längen unter dem Rumpf«, rief der Matrose mit dem Lot.
»Zu dicht am Ufer«, brummte Halblar. »Wir sollten mehr zur Mitte der
Fahrrinne.«
»Wir haben Flut, und drei Längen Wasser unter dem Rumpf reichen.«
»Wenn es die Untiefe von Debun ist.«
Ta Mergon seufzte leise. »Welche Farbe hat der Grund?«, rief er nach
vorne. Er sah seinen Freund an. »Es ist Debun. Glaube mir, Halblar, ich
kenne den Fluss.«
Der Matrose am Lot zog den Metallzylinder hoch und betrachtete dessen
Unterseite. Im weichen Talg hatte sich Material vom Grund des Flusses
eingepresst. »Roter Grund, grober Kies, glatt geschliffen«, meldete er und
warf das Lot erneut aus.
»Debun«, stellte ta Mergon fest. »Wie ich es sagte. Ich kenne den Fluss.«
Halblar zuckte die Achseln. »Ich weiß. Aber durch die Strömung wandern
die Untiefen gelegentlich.«
Der Großkapitän stieß ein leises Grunzen aus, das alles Mögliche bedeuten
konnte. »Heute befahren wir nur den Fluss und die küstennahen Gewässer.
Bei den Finsteren Abgründen, es gab andere Zeiten, Halblar, mein Freund.«
»Ja, die gab es.«
Gort seufzte abgrundtief. »Steuermann, auf alten Kurs gehen. Wir sind nun
an Debun vorbei. Fahrt auf hundert Umdrehungen!«
Das Steuer bewegte sich und Kommandos ertönten. »Alter Kurs liegt an,
mittschiffs. Maschine auf hundert Umdrehungen.«
Halblar wandte sich um und beschattete die Augen gegen die Sonne. »Sie
folgen mittschiffs.«
»So besagt es der Befehl des Königs.« Gort ta Mergon machte sich nicht
die Mühe, sich umzuwenden. Natürlich folgten die beiden anderen Schiffe
des kleinen Geschwaders der »Shanvaar«. Die »Aivaar« war baugleich mit
Читать дальше