1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Caro will elf Prozent Fettgehalt und den hat sie auch. Habe ich mit eigenen Augen gesehen, auf ihrer High-Tech Waage, die sie immer bei sich hat. Diese Verrückte. Ich besaß nie eine Waage. Jede enge Jean verrät dir, ob du die Tage zuvor zu sehr gevöllert hast oder nicht. Da brauche ich kein Gerät dazu.
Caro liebt Ralf und Ralf liebt Caro. Denn Ralf ist das männliche Pendant zu Caro. Er ist ehrgeizig, zielstrebig und entschlossen. Die beiden sind ein sogenanntes Power-Paar. Völlig unschlagbar. Grundsätzlich sehr unsympathisch. Wäre nicht Ralf ein guter Kindheits-Freund von Alexander, hätte ich ihn nicht kennen lernen wollen. Model-Gesicht (gut, dafür kann er ja nichts), Hammer-Körper, perfektes, modisches Gespür, einwandfreie Manieren. Freundlich, offen und lustig. Gott im Himmel – wie anstrengend. Und dann in seinem Schlepptau – Caro. Zahnspangenlächeln, Superbody, mindestens 800 Gramm Silikonbrüste – ich schätze pro Seite!
Ich muss allerdings zugeben, dass mich das fasziniert. Einerseits finde ich es zutiefst ekelhaft sich wabbeligen, leblosen Müll unter die Haut – ernsthaft bis ans eigene blutige Fleisch – stopfen zu lassen. Auch an mir sind diese schauerlichen Schönheits-OP-Dokus nicht spurlos vorüber gegangen. Andererseits finde ich es gut, Dinge zu tun, die man nur für sich selbst tut und auch dazu steht. Ohne Rücksicht auf Verluste – in dem Fall vielleicht sogar die eigene Gesundheit.
Unvernünftig, aber das mag ich ja.
Caro hat einen Traum und den lebt sie. Sie will schön sein, sie will fit sein, sie will sich gut fühlen. Und das tut sie. Man sieht es ihr an. Bei unserem ersten Treffen in unserer eigenen Wohnung hatte es eine Affenhitze, weil es draußen saukalt war und ich schon seit acht in der Früh den Kachelofen anheizte. Alexander und ich lieben die Wärme, die Sonne, den Süden. Wo einem Kleinberg nicht als erstes in den Sinn kommt. Caro musste sich ihr hübsches Langarm-Leibchen ausziehen, damit ihr die Schweißperlen nicht gleich vom Haaransatz hinter den Ohrläppchen auf den vorderen Schulterbereich und weiter ins Dekoltee geronnen wären. Unter ihrem Shirt hatte sie einen Hauch von einem Shirt an. Dünn, fast durchsichtig, ohne Ärmel und mit tiefem Ausschnitt. Darunter ein sexy Push-Up. Ich war fasziniert und starrte auf ihren Busen. Sie bemerkte meinen Blick und lächelte. Keine Scham, keine Unsicherheit. Fragend hob sie die Augenbrauen und nickte mir zu.
„Frag nur.“ sagte sie.
Wir hatten bis dahin kaum vier Sätze gewechselt. Uns lediglich freundlich begrüßt und ich stellte ihr gerade ihren Kaffee – schwarz, ohne Zucker – logisch, oder? – auf unsere Bar. Meinte sie das ernst? Wusste sie, was ich dachte? Scheiß drauf, kam mir in den Sinn. Mittlerweile war ich überzeugt, dass ich in Kleinberg nichts mehr zu verlieren hatte.
„Sind die echt?“
Caro lachte nun laut. „Nein.“ Sie schüttelte ihren Kopf und ihre langen, welligen, goldblonden Haare, die sie zu einem hohen Zopf am Hinterkopf fixiert hatte, wiegten von einer sexy Schulter zur anderen. Erst als sie mich fragte: „Magst mal anfassen?“ und ich ihrem Angebot nachkam, traf Alexander fast der Schlag.
Er war bis dahin im Gespräch mit Ralf vertieft gewesen, als er plötzlich zu mir rüber sah und rief: „Anna!“ Sein Blick war wirklich geschockt. Und dabei kennt er mich doch schon so gut.
Caro und ich lachten bis wir fast am Boden lagen und da wusste ich es: Die Reinkarnation von Biene war da. Endlich! Sie hat mich gefunden. Ich habe wieder eine Freundin! Ein Mensch zum Anfassen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Männer verstehen Frauen-Freundschaften nicht. Frauen auch nicht. Die Frauen aus Kleinberg zumindest nicht – meine Meinung. Es gibt drei Gruppen von Freundinnen-Frauen in Kleinberg.
Gruppe A: die Messlatten. Sie vergleichen den ganzen Tag. Ihre Ehen, ihr Gewicht und ihre Kleidergröße. Die Kinder, das Haus – Größe, Ausstattung, Baujahr. Jeden Tag geht es ums Gewinnen und Verlieren. Bist du heute leichter, hast du gewonnen. Haut dein Sohn morgen als erster zu, verlierst du. Hast du das beste Guglhupf-Rezept, bist du King. Und so weiter und so fort. Schrecklich!!! Bei denen lauf ich sofort weg. Denn: da will ich nicht mithalten.
Gruppe B: die Versöhnlichen. Sie versprühen den Spirit: gemeinsam sind wir stark. Sie jammern über ihre Männer und bemitleiden sich selbst. Sie sprechen sich Mut zu, versuchen tapfer zu sein. Sie verstehen die Probleme der Anderen. Sie brauchen einander, um sich angenommen zu fühlen. Jammern tu ich auch, aber nicht über Alexander. Ich jammer bei Alexander über die. Die ziehen mich runter. Und sie langweilen mich. Ihre Gedanken sind in einem festen Raster eingekesselt. Das macht keinen Spaß. Zu Beginn war ich in Wien auch in so einer Mütter-Runde unterwegs, aber nach wenigen Wochen stieg ich auf Reality-TV um. Das bot mehr Höhepunkte.
Gruppe C: die Schlangen. Das sind natürlich die Gefährlichsten. Sie vereinen beide Seiten. Sie sind die Überläufer der Messlatten im Fell der Versöhnlichen getarnt. Sie wirken auf den ersten Blick wie Mitglieder der Gruppe B, lullen dich ein, reden dir gut zu. Folgen geduldig deinen Worten, mit denen du ihnen deine tiefsten Abgründe offenbarst. „Ja, ich habe meinem Sohn schon mal eine Ohrfeige gegeben“ dabei sprichst du absichtlich leise. Sie sieht dich mitfühlend an, streichelt dir den Arm. Lässt dir Zeit dich zu suhlen im eigenen Dreck. Am Ende streicht sie sich die makellose Bluse glatt, schaut verklärt gen Himmel und säuselt: „Hm. Ich verstehe dich gut. Aber weißt du, mit Felix habe ich so ein Glück. Er ist einfach ein Engel!“ Bumm. Eine Ohrfeige rechts und links. Was für eine Lügnerin. Felix sind grundsätzlich Lauser. Mit diesem Namen wird kein Engel aus einem Bub. Sonst hast du was falsch gemacht.
Diese Gruppe musst du dringend meiden. Die sind echt böse und fies. Anhänger der Gruppe A und B sind einfach so wie sie sind und bleiben untereinander. Aber die Schlangen sind hinterlistig und unverfroren. Nach einem Kontakt mit ihnen fühlst du dich aufrichtig schlecht, weil sie die Lust aus deinem Unglück gewinnen. Pfui!
Die Freundschaft von Caro und mir fällt in keine dieser Kategorien. Wir müssen also eine Gruppe D in Kleinberg gründen. Wobei ich daran zweifle, dass wir weitere Mitglieder anwerben können – schlichtweg, weil unsere Spezies bis jetzt noch nicht vertreten ist. Unsere Verbindung zueinander basiert nicht auf unseren Lebensumständen. Das Muttersein vereint uns nicht. Keinesfalls teilen wir die Einstellung zum Leben, denn Caro ist ehrgeizig und ich nicht. Sie sucht nach Perfektion und Erfolg – Dinge, die ich geschickt von mir abwenden konnte. Auch Werte haben wir nicht dieselben. Wir sind gleich alt, doch das ist ganz sicher nicht der Grund. Wir haben sogar dasselbe Horoskop, doch unsere Charaktere unterscheiden sich gänzlich. Ich würde sagen, es liegt mehr daran, dass Caro ziemlich authentisch ist und ich denke, das bin ich auch. Caros Äußeres spiegelt ihr Inneres wider – wie bei mir. Mit einem gänzlich anderen Ergebnis.
Caro ist direkt und ehrlich und das ist die Eigenschaft bei Menschen, die ich definitiv am meisten schätze. Ich kann gar nicht anders sein als ich. Verstellen ist etwas, das ich hasse. Acht Jahre schleppte ich meine Lebenslüge mit mir herum wie einen schweren, nassen, stinkenden Sack und am verpatzten Tag meiner Sponsion schwor ich mir nie wieder zu lügen.
Caro hat den Vorteil noch keine Mutter zu sein. Sie weiß nichts besser und verteilt keine guten Ratschläge. Sie hört mir oftmals erstaunt zu und glaubt mir, dass es so ist wie es ist. Sie hat nicht vor Vierfach-Mutter zu werden. „Maximal eins.“ lautet ihre Devise. Und selbst das ist nicht fix. Sie meinte schon, dass wenn sie länger mit mir befreundet bleibt, stehen die Chancen ziemlich gut, dass sie von eins auf null reduziert. Caro ist dreiunddreißig und somit gleich alt wie ich. Und wenn ich sage gleichalt, meine ich gleichalt. Denn: wir haben am selben Tag Geburtstag, im selben Jahr. Heuer im Mai, am ersten, würden wir beide vierunddreißig Jahre alt werden. Das ist Schicksal. Klar, dass Caro die Freundin ist, die mir der gnädige Mann mit dem weißen Bart, der oben im Himmel auf einer Wolke sitzt und unser Schicksal amüsiert lenkt, geschickt hat. Damit ich nicht verkümmere in Kleinberg. Wie eine ungegossene Blume, der man zu wenig Sonnenlicht schenkt. Auch wenn ich nicht so wirke, bin ich durchaus empfindsam. Die persönliche Isolation hier im Bergnest macht mir wirklich zu schaffen.
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