1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 »Lass uns zu dem Haus gehen. Dann weißt du, zu was die fähig sind«, sagte Olli nervös, während er in die Jacke schlüpfte.
»Einen Moment mal! Was für ein Haus?« Markos Begeisterung hielt sich in Grenzen, mitten in der Nacht die Wohnung zu verlassen. Der Zeiger seiner Uhr stand auf zwei.
»Na was für ein Haus wohl? Das, das sie in die Luft gesprengt haben. Das, in dem Frank gewohnt hat«, erwiderte Olli aufgebracht. »Nun komm schon!«
***
Wieso hatte er sich bloß darauf eingelassen, dachte Marko, als sie vor der Ruine des Wohnhauses standen, in der sich die Wohnung von Frank Becker befunden hatte. Die Nacht war dunkel und kühl. Es schien kein Mond. Am Himmel hingen dicke, graue Wolken, die die Sterne verdeckten. Blaues Licht blinkte von Polizei- und Feuerwehrwagen. Die unterschiedlichen Frequenzen der einzelnen Lichter vermischten sich, sodass ein unregelmäßig flackerndes blaues Licht die dunklen Wände gespenstisch beleuchtete. An der Unfallstelle hatten sich etwa hundert Schaulustige versammelt, Marko und Olli fielen daher nicht weiter unter den anderen Menschen auf.
Das Haus war zur Hälfte eingestürzt und qualmte. Feuerwehrleute suchten nach letzten Feuernestern in der mittlerweile gelöschten Brandstelle. Dazwischen liefen Polizeitechniker in Plastikmänteln herum. Ein paar Leute vom Gaswerk versuchten mit gewichtiger Miene, den Gasanschluss des Hauses zu sichern.
Die Schaulustigen wurden von uniformierten Polizeibeamten hinter einer Absperrung aus Flatterband gehalten. In der Nähe der Ruine erkannte Marko auch einzelne Zivilbeamte, bei denen es sich wahrscheinlich um die untersuchenden Kommissare handelte.
Marko fröstelte. Er verspürte keine Lust, an diesem ungemütlichen Ort zu stehen. Auf der anderen Seite erwachte in ihm sein Journalisteninstinkt.
»Komm mit!«, sagte er zu Olli. Er zog seinen Journalistenausweis und drängelte sich durch die Menge zu einem der uniformierten Polizeibeamten durch.
Marko war Journalist. Bis vor einem Jahr war er bei der lokalen Tageszeitung fest angestellt. Nebenbei hatte er als freier Mitarbeiter für überregionale Zeitungen gearbeitet und Bücher geschrieben. Nach etlichen Versuchen gelang ihm vor einem Jahr ein Bestseller. Der Roman war nichts Weltbewegendes. Marko hatte sich einen fiktiven Kriminalfall ausgedacht, eine spannende Handlung hinzugefügt und dabei scheinbar das Glück gehabt, den Ton und den Geschmack der Leser zu treffen. Seitdem verkauften sich auch seine älteren Bücher ganz gut, die vorher doch eher unter die Kategorie ›Ladenhüter‹ gefallen waren.
Für Marko bedeutete der Erfolg vor allem, dass er frei und selbstständig arbeiten konnte. Seit seinem Durchbruch musste er nicht mehr darum fürchten, einen Verleger zu finden. Sein Bankkonto war gut gefüllt und er konnte es sich leisten, sich Zeit für ein neues Projekt zu nehmen. Auch einen ganzen Romanentwurf zu verwerfen, mit dem er nicht weiter kam, stellte kein Problem dar. Allerdings befand er sich jetzt schon seit Wochen in einem Zustand der Einfallslosigkeit und schon mehr als ein Ansatz war im Papierkorb gelandet. Vielleicht gab ihm gerade die Suche nach einem neuen Thema, einer neuen Idee, den Anstoß, sich Ollis Paranoia anzunehmen.
Der Presseausweis, den er dem Uniformierten unter die Nase hielt, stammte von einer der überregionalen Zeitungen, für die er hin und wieder einen Artikel schrieb.
»Könnte ich Herrn Werner sprechen?«, fragte Marko lächelnd und zeigte auf einen etwas fülligeren Herrn in Zivil, der sich mit zwei anderen Männern, die weiße Schutzkittel trugen, unterhielt.
»Kommen sie morgen zur Pressekonferenz, noch gibt es keine Erkenntnisse!« Der Uniformierte war ganz offensichtlich nicht gewillt, Marko und Olli zu den Ermittlern vorzulassen.
In diesem Moment drehte sich Kommissar Werner um. Marko und er kannten sich aus der Zeit, als Marko noch für eine Bonner Lokalzeitung gearbeitet hatte. Sie kamen seit dieser Zeit immer gut miteinander aus und arbeiteten, soweit so etwas überhaupt möglich war, fruchtbar zusammen. Kommissar Werner konnte sich darauf verlassen, dass Marko dafür sorgte, dass die Mitteilungen, die er platziert haben wollte, auch wie besprochen in der Zeitung erschienen. Dafür hatte Marko die Informationen bekommen, die er für seine Zeitungsartikel brauchte. Marko winke ihm freundlich zu. Kommissar Werner, der den Eindruck erweckte, als sei seine Pensionierung nicht mehr in allzu großer Ferne, kam zu ihnen herüber geschlurft.
»Ich dachte, sie sind nicht mehr beim ›Boten‹. Läuft es mit der Schreiberei nicht mehr?«, begrüßte der Kommissar Marko und reichte ihm die Hand. Der ›Bonner Bote‹ war die Zeitung, für die Marko gearbeitet hatte.
»Nein, nein, ich arbeite nur freiberuflich«, erwiderte Marko lächelnd.
»Na, für eine neue Story dürfte das hier nichts hergeben.« Kommissar Werner zeigte betrübt auf die Ruine. »Das war einfach ein tragischer Unfall.«
»Was ist denn da überhaupt passiert?«, fragte Marko. Vorsichtshalber warf er Olli einen warnenden Blick zu. Der stand zappelig neben ihm und sah aus, als würde jeden Moment eine Reihe von Fragen aus seinem Mund sprudeln.
»Eine Gasexplosion«, antwortete der Kommissar müde. »Wahrscheinlich war wieder die Installation veraltet oder ein Gerät defekt. Vielleicht handelt es sich auch um Suizid.«
»Ganz bestimmt nicht! Frank hätte sich nie umgebracht, schon gar nicht jetzt!«, platzte es aus Olli heraus.
Marko warf ihm einen warnenden Blick zu und fragte schnell: »Ist jemand verletzt worden?«
Kommissar Werner sah Olli stirnrunzelnd an. Er winkte die beiden durch die Absperrung. Sie gingen ein paar Schritte auf das Gebäude zu und blieben etwas abseits der schaulustigen Menge stehen. Erst jetzt beantwortete er Markos Frage: »Ja leider, der Bewohner der Wohnung, von der nach unseren Erkenntnissen die Explosion ausging, ist ums Leben gekommen. Die Familie darüber befand sich glücklicherweise zum Zeitpunkt des Unglücks nicht im Haus. Im zweiten Stock wohnte eine bettlägerige alte Frau. Sie ist mitsamt ihrem Bett durch die Decke gebrochen. Der Notarzt konnte nichts mehr für sie tun.«
Marko nickte ernst. Der Kommissar sah aber zu Olli, der nervös von einem Bein aufs andere trat.
»Sie kannten den Bewohner der Unglückswohnung, einen Herrn Becker?«
»Frank, ich meine Frank Becker, ist mein Kollege. Der hätte sich nie umgebracht!«
»Aha«, sagte Kommissar Werner und holte sein Notizbuch aus der Tasche. In aller Ruhe schlug er es auf und kritzelte etwas hinein. »Kannten Sie Herrn Becker gut? Waren sie mit ihm befreundet?«
»Wir waren Kollegen«, wiegelte Olli ab.
»Aber Sie kannten ihn so gut, dass Sie ausschließen können, dass es sich um einen Suizid handelt?«, fragte der Kommissar und sah Olli kritisch an. Olli wurde unsicher.
»Also ein enger Freund von mir war er nicht. Wir kannten uns so, wie man eben Kollegen kennt. Privat hatten wir eigentlich nichts miteinander zu tun.«
Der Kommissar sah ihn zweifelnd an.
»Und wie kommen Sie dann darauf, dass ein Suizid ausgeschlossen ist?«
»Weil er gerade etwas ganz Besonderes herausgefunden hatte. Der hätte sich nie umgebracht. Außerdem war er für so was nicht der Typ.« Olli klang trotzig.
»Wie meinen Sie das? Was für ein Typ nimmt sich nach Ihrer Meinung denn das Leben?«, fragte der Kommissar ruhig und sah Olli weiterhin ins Gesicht. Olli wurde noch unsicherer.
»Ich meine, der war nicht sensibel genug, um auf so eine Idee zu kommen. Der interessierte sich nur für seine Rechner, wenn sie verstehen, was ich meine.«
Kommissar Werner schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Was meinen Sie, was ich schon erlebt habe. In jedem zweiten Fall behaupten alle Verwandten und Bekannten, dass es gar nicht sein kann, dass sich der betroffene Mensch das Leben nehmen könnte. Das Umfeld will es nicht wahrhaben. Viele haben ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht gemerkt haben oder nicht merken wollten, dass es dem Betroffenen nicht gut ging. Glauben Sie mir, wenn Sie ihn nicht einmal privat kannten, können Sie das ganz bestimmt nicht beurteilen.«
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