»Du kannst nicht bei mir schlafen. Ich brauche meine Ruhe!«, bekräftigte Marko noch einmal seine Entscheidung. Olli sah aber so ängstlich aus und sah ihn dermaßen bettelnd an, dass er doch sein Herz erweichte.
»Gut, ich bringe dich nach Hause und wir sehen gemeinsam nach, ob niemand den Gashahn aufgedreht hat«, lenkte er ein. »Da kannst du dich dann verbarrikadieren. Morgen früh gehen wir gemeinsam zum Kommissariat und fragen nach, was die Untersuchung ergeben hat.«
»Aber dann musst du mich morgen früh abholen, falls ich dann noch lebe.«
Marko verdrehte die Augen. Die beiden machten sich auf den Weg zu Ollis Wohnung.
»Siehst du, das Haus steht noch«, sagte Marko grinsend, als die beiden Männer in die Straße einbogen, in der Ollis Wohnung lag.
Ein paar Minuten später standen sie vor der Eingangstür des Mietshauses.
»Ich drück mal auf die Klingel, dann sehen wir ja, was passiert.« Marko grinste fies und legte schon seinen Finger auf den Knopf. Olli riss ihm die Hand weg, bevor er ihn drücken konnte.
»Bist du wahnsinnig! Wahrscheinlich ist oben alles voll Gas und das ganze Haus fliegt in die Luft, wenn du klingelst«, flüsterte er aufgeregt.
»Wie du meinst!« Marko konnte seinen Ärger kaum verbergen. Er merkte jetzt, wie müde er sich fühlte. »Komm, schließ endlich auf. Ich will nach Hause und ins Bett.«
»Du kommst doch aber noch mit bis zur Wohnungstür?« Olli sah so ängstlich aus, dass Marko nur mit den Schultern zuckte.
Er würde ihn noch nach oben begleiten und dann gehen. Er verspürte keine Lust auf Diskussionen und wusste, dass er am schnellsten nach Hause kam, wenn er Olli oben wohlbehalten ablieferte.
Müde stieg er hinter Olli die Treppen zum zweiten Stock hinauf. Auf der letzten Stufe vor seiner Wohnung blieb Olli abrupt stehen. Mit angstgeweiteten Augen zeigte er auf die Wohnungstür. Sie stand einen winzigen Spalt offen. Die Einbruchsspuren konnte man selbst in übermüdetem Zustand nicht übersehen.
Adrenalin schoss Marko in die Venen, von einer Sekunde auf die andere fühlte er sich hellwach. Das war nun wirklich ein Zufall zu viel, befand er. Sein Herz begann zu pochen.
»Ruf die Polizei! Du hast doch ein Handy, oder?«, fragte er und drängte sich schon an Olli vorbei, der ängstlich nickend sein Mobiltelefon aus der Tasche kramte.
Marko schritt zur Wohnungstür, klopfte an und rief energischer, als er sich fühlte: »Ist da wer? Die Polizei ist unterwegs!«
Niemand antwortete. Vorsichtig und mit klopfendem Herzen schlich Marko in die Wohnung. Er schnupperte. Es roch irgendwie muffig, aber nicht nach Gas. Die Luft schien in Ordnung, wenn man von diesem leichten Geruch nach ungewaschenen Socken absah.
Die Wohnung lag im Dunkeln. Marko tastete nach dem Lichtschalter für die Flurbeleuchtung. Nach einigem Suchen fand er ihn. Er drückte ihn herunter. Nichts passierte. Entweder die Birne war kaputt oder die Sicherung herausgeflogen. Markos Herz schlug noch schneller. Auf alles Böse gefasst, schlich er vorwärts durch den Flur. Glas knirschte unter seinen Schuhen.
»Das könnten die Überreste der Birne im Flur sein«, dachte er.
Die Tür am anderen Ende des Flurs stand einen Spalt offen. Dort musste es ins Wohnzimmer gehen. Marko hatte zwar nur wenige Male Olli in seiner Wohnung besucht, aber er meinte, sich in etwa an die Aufteilung der Zimmer zu erinnern. Ein sehr matter Lichtschein fiel durch den Spalt in den engen Flur. Er war zu schwach, um wirklich etwas erkennen zu können. Marko nahm nur dunkelgraue Schatten wahr. Er erkannte eine niedrige Kommode im Flur. Immerhin verhinderte das wenige Licht, dass er sich an ihr das Knie stieß.
An der Tür angekommen, öffnete Marko sie vorsichtig. Wie schon gedacht, befand sich dahinter das Wohnzimmer. Das Licht der Straßenbeleuchtung schien nur matt durch die vorgezogenen Vorhänge. Die Schemen der Sessel, des Sofas und des niedrigen Couchtisches konnte Marko eher erahnen, als er sie sah. Viel verpasste er durch den fehlenden Anblick nicht, wie er sich erinnerte, es sei denn, Olli hätte die Wohnzimmereinrichtung in der Zeit, seit sie sich nicht mehr gesehen hatten, erneuert.
Wieder tastete Marko nach dem Lichtschalter. Dabei roch er in den Raum hinein. Auch hier fiel ihm, abgesehen von dem stärker werdenden Miefgeruch, nichts Verdächtiges auf. Gerade meinte er, den Schalter ertastet zu haben, da sah er es. Genauer gesagt, erahnte er mehr eine Bewegung in der Dunkelheit.
Ein Schatten sprang auf ihn zu. Im nächsten Moment durchfuhr ein stechender Schmerz seinen rechten Arm, dessen Hand schon auf dem Schalter lag. Viel zu langsam registrierte sein Hirn, dass der Angreifer mit einer Art Stange zugeschlagen hatte. Er schrie auf vor Schmerz. Wieder ahnte er mehr als er sah, dass der Angreifer erneut auf ihn einschlug. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte er, den Arm des Angreifers festzuhalten. Er bekam ihn unsicher zu fassen. Es klang wie Metall auf Zement, als die Stange neben seinem Kopf an die Wand schlug.
Im nächsten Moment blieb Marko die Luft weg. Noch bevor er den Schmerz spürte, hatte sein Hirn registriert, dass der Angreifer ihm die linke Faust in den Magen gerammt hatte. Der Arm mit der Stange entglitt seinen Fingern. Vor seinen Augen schien es kurz aufzublitzen. Ein Feuerball explodierte an seiner Stirn. Dann breitete sich undurchdringliche Dunkelheit um ihn herum aus.
***
Engel hatte er sich anders vorgestellt, Teufel allerdings auch.
»Können Sie mich hören?«, fragte das Gesicht, das er direkt vor sich sah. Es gehörte einer älteren Frau, die ihn sehr besorgt ansah. Aus dicken Brillengläsern blickte sie auf ihre altmodisch wirkende Armbanduhr, während sie seinen Puls maß.
»Können sie mich verstehen?«, fragte sie noch einmal.
Marko nickte mit dem Kopf, was sich als keine gute Idee herausstellte. Sein Schädel schien vor Schmerz zu explodieren, alles drehte sich und ihm wurde übel.
»Oh!«, stöhnte er.
Der helle Strahl einer kleinen Stabtaschenlampe leuchtete ihm direkt in die Augen. Er versuchte die Augenlider zusammenzupressen, aber die Frau drückte sie entschlossen auseinander. Endlich ließ sie ihn los. Marko blinzelte.
»Wie viele Finger sehen Sie«, fragte die Frau, die Marko mittlerweile eindeutig als Ärztin identifiziert hatte.
»Vier«, krächzte Marko, seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht. »Was soll das? Wo bin ich?«
»Sie sind niedergeschlagen worden«, sagte eine andere Stimme. Marko blinzelte nach oben. Bei dem Mann, der vor ihm stand, handelte es sich um den jungen Beamten, den er in der Nacht schon einmal gesehen hatte und der von seinem Erscheinen nicht gerade begeistert gewesen war. Er gehörte zu Kommissar Werners Team. Auch jetzt machte er nicht gerade einen erfreuten Eindruck über Markos Anwesenheit.
»Die potenzielle Tatwaffe, ein Metallrohr, haben wir im Treppenflur gefunden. Der Täter hat sie fallen lassen«, ergänzte der junge Polizist.
Langsam kam die Erinnerung zurück.
»Was ist mit Olli?«, fragte Marko. Er versuchte sich aufzurichten, gab aber sofort wieder auf, als sich ein stechender Schmerz erneut in seinem Kopf ausbreitete. Die Ärztin schüttelte den Kopf.
»Bleiben Sie erst mal liegen. Ich lasse Sie ins Krankenhaus bringen, zur Beobachtung. Sie haben eine Gehirnerschütterung.« Ihre Stimme verriet, dass jeder Protest sinnlos sein würde. Den Polizisten wies sie an: »Passen Sie auf, dass er liegen bleibt. Ich muss mich um den Rest kümmern.«
»Ja, ja«, antwortete der junge Beamte leicht gereizt und wandte sich dann wieder Marko zu. »Also bleiben Sie schön liegen! Meinten Sie mit ihrer Frage Herrn Vogt, den Mieter dieser Wohnung?«
»Ja, natürlich! Er befand sich hinter mir. Was ist mit ihm?«, fragte Marko jetzt ebenfalls gereizt.
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