»Bist du verrückt! Ich schwebe in Lebensgefahr! Du kannst mich doch jetzt nicht allein lassen!« Ollis Stimme überschlug sich fast.
Die junge Frau sah irritiert von Marko zu Olli und wieder zurück. Der grinste nur und zuckte die Schultern. Er marschierte einfach in Richtung der Kneipe los, die er auf dem Weg zu dem zerstörten Haus gesehen hatte. Die anderen beiden gingen mit. Olli sah ängstlich in alle Richtungen. Man merkte ihm deutlich an, dass er sich bedroht fühlte. Die junge Privatdetektivin schloss zu Marko auf.
»Ich hatte gedacht, Sie wären die Neuen in Werners Team«, sprach sie Marko an.
»Nein, nein, ich kenne Kommissar Werner noch aus der Zeit, als ich für den ›Boten‹ gearbeitet habe. Da war ich auch für die lokalen Kriminalfälle zuständig.« Marko grinste sie schief an. Die Detektivin musterte ihn ernst.
»Hm, ich habe Sie noch nie gesehen. Ich gehörte früher auch mal zu seinem Team«, erwiderte sie nachdenklich.
»Ich war nur zwei Jahre dabei. Vor etwa einem Jahr habe ich aufgehört.«
»Das kommt hin. Es ist etwa drei Jahre her, als ich ausgestiegen bin.«
Marko hielt der jungen Frau die Eingangstür der Gaststube auf. Sie wollte zur Tür greifen, um sie selbst festzuhalten, aber Marko winkte ihr, einzutreten. Die Privatermittlerin sah nicht so aus, als sei sie gewohnt, dass Männer ihr die Tür aufhielten und auch nicht so, als wüsste sie es zu schätzen. Sie zuckte mit den Schultern und ging voran in die Kneipe. Ohne zu zögern, steuerte sie einen leeren Tisch am Fenster an. Olli trottete hinter ihr her. Marko folgte den beiden.
Die drei hatten gerade ihre Jacken abgelegt und sich gesetzt, als der Wirt schon vor ihnen stand. Marko bestellte drei Bier.
»Für mich ein alkoholfreies«, korrigierte die junge Frau. An Marko und Olli gewandt erklärte sie: »Ich muss noch fahren und ein Führerscheinverlust ist jetzt wirklich das Allerletzte, was ich brauchen kann.«
»Sie arbeiten als Privatdetektivin, wenn ich das richtig verstanden habe«, stellte Marko schmunzelnd fest. »Das hört sich spannend an.«
»Ja, das denken alle, die den Job nicht kennen«, antwortete die Ermittlerin. »Alle, die von meinem Beruf hören, denken sofort an die Lösung spannender Kriminalfälle. Leider sieht die Realität ziemlich langweilig aus. Die meisten Aufträge bekommt man als Kaufhausdetektivin. Da läuft man dann den ganzen Tag unauffällig durch einen Laden und fasst irgendwelche Hanseln, die irgendwas für ein paar Euro eingesteckt haben. Noch schlimmer sind Aufträge von irgendwelchen Privatleuten, die wissen wollen, ob sie von ihrem Partner betrogen werden. Man sitzt die meiste Zeit gelangweilt im Auto und schießt ein paar Fotos. Dazu wird das alles auch nicht besonders gut bezahlt. Da ist dieser Versicherungsjob schon besser. Dabei springen wenigstens ein paar Euro heraus. Allerdings erwarten die Herrschaften schon auch ein paar Ergebnisse zu ihren Gunsten. Leider scheinen die Häuser in letzter Zeit alle ganz ohne Fremdeinwirkung in die Luft zu fliegen. Wenn das so weitergeht, bin ich den Job bald los.«
Olli hatte das Gespräch über nur trübsinnig auf sein Bierglas gestarrt, das der Wirt unterdessen gebracht hatte und ausgesehen, als würde ihn das Gespräch nicht interessieren. Jetzt wachte er auf.
»Aber das stimmt nicht!«, sagte er mit Nachdruck. »Das war kein normaler Gasunfall! Frank ist umgebracht worden, genau wie Thomas!«
»Sie waren eng befreundet mit den beiden, nicht wahr?« Die junge Frau sah Olli mitfühlend an. Olli stierte wieder trübsinnig in sein Bierglas.
Die Detektivin füllte die Flasche alkoholfreies Bier, die ihr vom Kellner hingestellt worden war, in ein Glas um.
»Nee, unser Olli hat nur Angst, dass es ihm als Nächstes an den Kragen geht.« Marko grinste der jungen Frau ins Gesicht und erhob sein Glas. »Also ich heiße Marko Geiger. Prost!«
»Jana Brand«, erwiderte die Ermittlerin und prostete mit ihrem Glas.
Olli nahm sein Bierglas und stürzte den Inhalt zur Hälfte hinunter.
»Und mein Kumpel hier ist Oliver Vogt«, erklärte Marko grinsend.
»Mal im Ernst: Was ist denn das für eine große Sache, von der Sie da eben geredet haben?«, fragte Jana Brand Olli.
»Ich weiß es doch auch nicht! Die beiden haben es mir nicht erzählt, immer nur so Andeutungen gemacht. Es muss aber mit einem Hackerangriff in ganz großem Stil zusammenhängen«, antwortete Olli.
»Ich dachte, Hacker wären so pickelige Schüler, die den ganzen Tag bei Mutti hinter ihrem PC hocken und sich hin und wieder den Spaß gönnen, virtuell irgendwo einzubrechen oder anderen Menschen den Computer zu verseuchen. Ich habe noch nie gehört, dass solche Typen andere Menschen umbringen und ganze Häuser in die Luft jagen.« Jana nagelte Olli mit einem unnachgiebigen Blick aus ihren graublauen Augen fest.
»Nein, so etwas habe ich auch noch nicht gehört«, gab Olli zu. »Aber man hört so einiges nicht. Es ist nicht mehr so, dass nur gelangweilte Jugendliche Computersysteme hacken. Ganz abgesehen von Geheimdiensten, die alles Mögliche mithören, gibt es mittlerweile richtige Banden, die mit Computerkriminalität Geld verdienen. Vereinzelt hört man Berichte darüber, dass Großunternehmen und Banken erpresst werden. Die Unternehmen zahlen, damit sich nicht herumspricht, dass ihre Systeme gehackt wurden und sie damit als unsicher eingestuft werden. Es soll da eine sehr hohe Dunkelziffer geben. Aber genau weiß man das natürlich nicht.«
»Das hört sich alles sehr spannend an, jedenfalls spannender als mein Job.« Jana Brand sah auf die Uhr und trank ihr Glas aus. »Leider muss ich morgen früh wieder heraus und es ist schon zu spät.«
»Und was ist mit den Morden?«, fragte Olli.
Jana grinste. »Wenn es sich wirklich um Morde handelte, ist die Gasexplosion vorsätzlich herbeigeführt worden und meine Auftraggeber bräuchten die Versicherungssumme nicht ausbezahlen. Wenn ich das herausbekäme, wären meine Auftraggeber begeistert. Sie würden mir auf die Schulter klopfen und ich hätte den Job für die nächsten Jahre sicher. Leider handelte es sich um einen Unfall. Sie haben doch gehört, was Kommissar Werner gesagt hat.«
»Der weiß doch gar nicht, was los ist«, ereiferte sich Olli.
»Na, na, na, ich habe früher mit ihm zusammengearbeitet. Auch wenn er nicht so aussieht, er ist der Beste. Wenn er sagt, es ist ein Unfall, dann ist es einer. Warten wir die kriminaltechnische Untersuchung ab. Vielleicht wissen wir dann mehr.« Jana stand auf.
»Vielleicht können Sie uns die Ergebnisse mitteilen«, warf Marko ein.
Jana Brand lächelte ihn an, sagte dann aber: »Am besten Sie fragen selbst beim Kommissariat nach.« Sie winkte einen Gruß und ging zur Theke.
Marko starrte ihr hinterher. Sie war zwar eigentlich nicht sein Typ, aber er fühlte sich in ihrer Nähe wohl. Er hätte sie ganz gerne wiedergesehen. Das schien allerdings nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Sie hatte nicht angebissen, den hingeworfenen Köder nicht geschluckt.
»Dann wollen wir mal«, sagte er zu Olli und leerte den Rest seines Glases in einem Zug.
Als er bezahlen wollte, berechnete der Kellner ihm nur die zwei Bier. Jana Brand hatte ihr Getränk selbst bezahlt. Marko zuckte mit den Schultern. Er hatte die Runde ausgeben wollen.
»Wer nicht will, der hat schon«, dachte er.
»Sag mal, wo willst du denn hin?«, fragte Marko, als sie aus der Gaststättentür traten und Olli den gleichen Weg einschlug wie er. »Deine Wohnung liegt doch in der entgegengesetzten Richtung.«
»Ich komme mit zu dir. Ich kann doch jetzt nicht in meine Wohnung. Du hast doch gesehen, zu was die fähig sind!«
»Oh nein, du übernachtest nicht bei mir!«
»Aber du kannst mich doch nicht in den Tod schicken«, jammerte Olli. »Die sprengen mich auch in Luft. Dann kannst du mich ja gleich umbringen.«
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