Nach dem Aufwachen verabredete er telefonisch einen Termin für den Nachmittag bei Kommissar Werner. Der zeigte sich hocherfreut, schließlich musste er sein Protokoll für den Einbruch mit Körperverletzung abschließen.
***
»Die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Täter kriegen, ist nicht sonderlich groß«, eröffnete der Kommissar das Gespräch, nachdem Olli und Marko sich nach einem kurzen Händeschütteln setzten.
»Diese Junkies brechen alle naselang irgendwo ein. Es ist wahrscheinlicher, dass sie sich mit dem geklauten Geld eine Überdosis verpassen, als dass wir sie erwischen«, murrte der alte Kommissar weiter, bevor Olli den Mund aufmachen konnte.
»Aber das war ein Mordversuch!«, rief Olli empört. Der junge Kommissar, der an der Zeugenvernehmung ebenfalls teilnahm, sah so aus, als richte er sich schon darauf ein, seinen Chef verteidigen zu müssen. Zugegebenermaßen machte Olli nicht gerade einen sehr verlässlichen Eindruck. Man konnte den beiden Kommissaren nicht verdenken, dass sie ihn für etwas paranoid hielten.
»Wenn ich es richtig verstanden habe, sagten Sie doch, dass der Einbrecher mit diesem Metallrohr auf sie losgegangen ist, weil sie sich ihm in den Weg gestellt haben?«, fragte Kommissar Werner und beäugte Olli abschätzend. Er sah nicht so aus, als würde er ihm diese Heldentat zutrauen.
»Die Menschenkenntnis muss man ihm lassen«, dachte Marko bitter.
»Na ja, eigentlich war er schon aus der Wohnung heraus«, gab Olli kleinlaut zu. »Er hat sich dann noch mal umgedreht und ist auf mich los. Er hat auf mich mit dem Rohr eingeschlagen wie ein Verrückter. Sie müssen sich meinen Arm mal ansehen! Es ist ein Wunder, dass der überhaupt noch zu gebrauchen ist. Wenn der Nachbar nicht gekommen wäre, hätte der mich erschlagen!«
Ollis Zurückhaltung währte nicht sonderlich lange. Beim letzten Satz gestikulierte er schon wieder mit den Armen.
»Ja, ja, ich weiß, man will Sie umbringen, weil Ihr Rechner hin und wieder abstürzt«, antwortete Kommissar Werner säuerlich.
»Herr Werner, ist es nicht tatsächlich ein eigenartiger Zufall, dass in Herrn Vogts Wohnung eingebrochen wird, so kurz nach dem Tod seiner Kollegen?«, mischte Marko sich ein. Er bemühte sich um einen sachlichen Ton. Mit einer unwirschen Handbewegung brachte er Olli zum Schweigen, der schon wieder ansetzte, dazwischen zu reden.
»Wir haben leider ständig Einbrüche in der Stadt und entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, Herr Vogt wohnt nicht gerade in einer vornehmen Gegend.«
»Gibt es denn einen konkreten Hinweis auf Beschaffungskriminalität?«, fragte Marko nach.
»Herr Vogt sagte gestern Nacht noch, dass nichts entwendet worden sei. Sicher wäre es gut, wenn Sie das heute noch einmal in Ruhe überprüfen, oder haben Sie das schon getan?«
»Sind Sie wahnsinnig? Ich gehe doch nicht in diese Wohnung«, rief Olli entsetzt.
»Die Spurensicherung ist fertig. Die Wohnung ist freigegeben. Sie können sie gerne wieder benutzen.« Kommissar Werner sah Olli stirnrunzelnd an. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. Er schien zu einer Erkenntnis gelangt zu sein.
»Sie bestehen also darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gasexplosion bei ihrem Kollegen und dem Überfall auf Sie gibt?«, fragte er und sah Olli dabei ernst und durchdringend an.
»Ja natürlich! Und zwischen dem Autounfall von Thomas Krüger auch!«, rief Olli aufgeregt. Endlich glaubte ihm der Kommissar. »Die haben …«
»Gut, lassen wir mal den Unsinn mit den Computern«, unterbrach ihn der Kommissar. Er sah plötzlich nicht mehr gemütlich, sondern schon fast gefährlich aus. »Wenn Sie so gut mit Herrn Becker befreundet waren, dann können Sie mir doch sicher erzählen, was er mit Drogen zu tun hatte.«
»Was? Frank? Niemals!«
»Glauben Sie wirklich, dass Sie mich hier veräppeln können, oder kannten Sie Ihren Kollegen tatsächlich nicht«, schnauzte der Kommissar.
»Aber hören Sie! Sie kannten Frank nicht. Der hat sich nur für seine Rechner interessiert. Der hat nur an den Kisten gesessen. Selbst in seiner Freizeit hat er nur Internet-Spiele gespielt. Der hatte nichts mit Drogen zu tun!«
»Und was ist mit diesen kleinen Wachmachern? Ecstasy soll doch wach machen. Andere Leute tanzen dann die ganze Nacht durch, bis zum Umfallen.«
»Aber doch nicht Frank! Der hat zwar literweise Kaffee getrunken, aber alles andere hat der abgelehnt. In den letzten zwei Jahren hat er kaum noch Alkohol getrunken, weil er meinte, dass beinträchtige seine Reaktion. Der hätte niemals so ein chemisches Zeug genommen!«
»Und wie erklären Sie sich dann, dass wir Hydroxybuttersäure in seinem Blut gefunden haben, und zwar in nicht unerheblicher Menge?«
»Was haben Sie gefunden?«, fragte Olli verwirrt. Irritiert wanderten seine Augen zwischen Marko und den beiden Polizisten hin und her.
»Hydroxybuttersäure ist besser bekannt als Liquid Ecstasy«, klärte Marko ihn schließlich auf. »Die wird häufig auch als KO-Tropfen verwendet.«
»Was? Diese Vergewaltigungsdroge, die irgendwelchen Mädchen heimlich ins Getränk gekippt wird?«, rief Olli aus. »Da haben Sie es! Die hat ihm garantiert jemand heimlich ins Bier geschüttet.«
»Apropos Bier: Hatten Sie nicht gerade gesagt, dass Herr Becker keinen Alkohol trank? Wir haben einen erheblichen Promillewert in seinem Blut festgestellt.« Der Kommissar sah Olli streng an. Es war nicht zu übersehen, dass er ihm kein Wort glaubte.
»Also er hat schon manchmal ein Bier getrunken, aber nur noch ganz selten, nicht mehr wie früher«, stotterte Olli, dem langsam klar wurde, dass er sich gerade verdächtig machte.
»Jetzt werde ich Ihnen mal sagen, wie es gewesen ist«, sagte der Kommissar schneidend. »Herr Becker und Sie haben sich gedacht, Sie machen ein kleines Nebengeschäft und verkaufen so ganz nebenbei ein paar Drogen. Dabei sind Sie der örtlichen Drogenmafia in die Quere gekommen. Ihr Freund hat Pech gehabt und ist über die Klinge gesprungen. Jetzt kommen Sie hierher, weil Sie Angst haben, dass Sie auch dran sein könnten, wollen mir aber nicht die wahre Geschichte erzählen und kommen mir deswegen mit diesem Computer-Unsinn!«
Olli saß einen Moment still auf seinem Stuhl und starrte den Kommissar mit halb geöffnetem Mund an. So sprachlos hatte Marko ihn noch nicht erlebt.
»Aber das ist nicht wahr«, antwortete er schließlich lahm.
Die weitere Befragung brachte nichts Neues, außer dass deutlich wurde, dass, falls man tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den beiden Vorfällen konstruieren würde, Olli in den Verdacht geriet, am Drogenhandel beteiligt zu sein.
Nach der Befragung redete Olli noch einmal aufgeregt auf Marko ein. Er beschwor ihn, dass nicht nur er selbst, sondern auch sein verstorbener Kollege auf keinen Fall in den Drogenhandel verwickelt gewesen sei. Marko glaubte zwar nicht, dass Olli wirklich Hemmungen hätte oder nicht dumm genug wäre, sich auf solche Geschäfte einzulassen, er wusste aber mit Sicherheit, dass sein alter Freund einfach zu viel Angst hatte, um sich mit Leuten aus dieser Szene einzulassen.
***
Marko wartete neben Olli auf dem Flur darauf, dass der junge Kommissar ihnen das Protokoll zum Unterschreiben brachte. Auch Olli schwieg und starrte gedankenverloren auf den grauen Linoleumboden des Präsidiums.
»Oh je, wie sehen Sie denn aus? Was ist mit Ihnen passiert?« Die Stimme der jungen Privatdetektivin klang aufrichtig besorgt. Sie lächelte Marko an, während sie aufmerksam seine Beule betrachtete. Damit riss sie Marko aus seinen trüben Gedanken.
»Das sollten Sie kühlen!«, gab sie Marko als Rat noch mit auf den Weg. Dann marschierte sie schon zu Kommissar Werner ins Büro.
»Die hat mir gerade noch gefehlt«, maulte Olli.
»Wieso? Die ist doch ganz nett«, stellte Marko fest und sah auf die Bürotür, die sich hinter ihr schloss.
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