Ob das gut ist, wenn die Katze auf seinem Kopf liegt? Als er sich die schweißnasse Stirn wischen will, erspürt er die Katze, wirft den Arm zurück ins Bett, verharrt in einem zufriedenen Lächeln, bevor er beginnt, seinen Körper zu prüfen. Er zuckt das Schulterblatt, kreist den Oberarm bis zum Ellenbogen, verspürt nur in den Fingerspitzen Taubheit. Kein Schmerz in seiner Brust. Er legt die Hand auf sein Herz, es schlägt ruhig. Er will sich aufsetzen, denkt an die Katze, lockt sie mit leichtem Lippengewisper, trommelt mit den Fingern auf seinen Brustkorb und die Katze kommt, legt sich darauf, sieht ihm gerade in die Augen. Mel umschließt sie mit den Armen, erhebt sich, bemerkt, dass er noch in Kleidung ist, sieht, dass es draußen bereits dunkel, sternenklar ist. Kurz vor Mitternacht.
Er ist unschlüssig, wandert mit der Katze, die ihren Kopf gegen seine Brust drückt, auf und ab. Haucht eine Pfeifmelodie vor sich hin. Die Katze sieht auf seinen Mund. Als wenn sie sich jahrelang kennen würden, so benehmen sich die beiden. Die warme, weiche Katze ist angenehm vor der Brust, dennoch ist Mel sehr in sich versunken. Sieht seinen wartenden Schatten vor sich, fühlt sich wie ausgehöhlt, denkt aber nicht an den Vorfall. Denkt an Marian, lächelt wehmütig, muss schlucken, spürt Tränennass unter den Augenlidern und es fällt ihm ein, dass sie bestimmt gesagt hätte: „ … erst mal eine heiße Suppe, Männlein!“. So setzt er denn die Katze auf das Bett und Wasser auf, holt die gekörnte Hühnerbrühe aus dem Regal, häuft einen Esslöffel voll in den Emailletopf, hat schon die Buchstabennudeln in der Hand, entschließt sich sodann für die Sternchennudeln, wegen der Nacht. Er kratzt Suppengemüse aus der Gefrierpackung, sucht im Kühlschrank nach etwas Fressbarem für die Katze. Vergeblich! Vielleicht mag sie auch gerne Hühnersuppe? Stellt einen Unterteller neben den Herd und noch einen dazu für Milch.
Die Katze registriert jede seiner Bewegungen durch einen Augenspalt. Hat die Vorderpfoten lässig übereinander geschlagen und Mel fühlt sich wohltuend beobachtet. Kaum sitzt er am Tisch, bläst in die Suppe, pirscht sie zum Herd. Leckt an der Milch, schnuppert an der Brühe, schlappert die Sternchen. Nun lässt Mel sie nicht aus den Augen! Sieht bedächtig ihrer Katzenwäsche zu und als sie auf den Tisch springt, an seine Suppe geht, denkt er: „Scheiß drauf!“. Also futtern sie beide aus dem gleichen Geschirr, des Öfteren innehaltend, um in die Nacht zu hören. Ein Flugzeug brummt hoch über dem Haus, vergrummelt alsbald in der Ferne. Ein Hund jault in exakten Abständen irgendwo aus dem Dorf. Musikfetzen weht der Wind über den See. „Fischers feiern mal wieder“, denkt Mel, blickt hinaus in das matte Nachtschwarz, kann den rötlichen Feuerschein am gegenüberliegenden Ufer wahrnehmen.
Die Katze hockt auf dem Fensterbrett, von ihrem Schwanz umringelt, dreht der Nacht den Rücken zu. Widmet ihren Blick Mels Gesicht, das milde lächelnd sagt: „Es gefällt mir gut mit Dir, Miezi!“ Miezi stemmt die Schultern hoch, reißt gähnend ihr Mäulchen auf, streckt ihre Zunge weit heraus, die wie ein Köder wirkt in ihrem rosa Mäulchen. Als wenn sie erspürt, dass Mel soweit gediehen, dass er zu verlassen ist, lässt sie sich mehr hinab gleiten in den Garten, als dass sie springt.
„Die kommt schon wieder!“, meint Mel unzweifelhaft. „Hat sie die schweren Stunden mit mir verbracht, so wird sie die unbeschwerten erst recht mit mir verbringen wollen. Auf alle Fälle gilt, Fressen für sie einkaufen.“ Ohne noch einmal in den Garten zu sehen, macht er sich daran, sein Bett zu richten. Nimmt nur die leichte Decke, will er doch in den Kleidern schlafen, weiß er doch nicht, was diese Nacht noch vorhat. Durch das offene Fenster weht eine Prise Seeluft. Mel reibt sich die tauben Finger in den Handflächen, zieht die Decke bis unter das Kinn, überlässt sich dem trägen Gefühl des nahen Schlafes. Eine imposante Spinne krabbelt orientierungslos über die Zimmerdecke, hält in einer Ecke inne, klebt einen Sinkfaden, lässt sich hinunter zwischen den Krimskrams auf dem Vorratsschrank.
Die Sterne blinken so stark in dieser klaren Nacht, stärker als in Van Goghs Bild „Sternennacht über der Rhone“ vom September 1888, als ich in Venedig einen Bäcker begleitete. Einen kleinen, dicken, haarlosen Menschen, der den Teig mit Sägemehl streckte, seine Frau und Kinder als Bedienstete ansah, sich keinen glücklichen Tag im Leben gönnte und am dreiundfünfzigsten Tag seines vierzigjährigen Lebens verstarb.
Mel liegt auch darnieder, wie auf dem Totenbett, gerade langgestreckt auf dem Rücken, Füße überkreuzt, Hände auf der Brust. Seine Miene, ernst angestrengt, ein wie in Traurigkeit zusammengekniffener Mund. Normalerweise könnte er keine fünf Minuten auf dem Rücken liegen, dreht, wendet sich von einer auf die andere Seite. Doch sein Körper braucht Erholung, Ruhe, Aufmerksamkeit. Er ist erschöpft nach der Attacke. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn, läuft über die Schläfen in das Kissen. Sein Gehirn macht sich Gedanken, bringt Mel aber nicht ins Träumen. Lässt es ihn schlafen ohne Angstkanonaden, dann ist er am Morgen bereit, alles zu vergessen. Erst Recht, wenn die Katze wieder auftaucht. Was so ein Tier in einem Menschen so alles auslöst! Kinderersatz sagen die Leute. Nach einem Kind hatte sich Mel noch nie gesehnt, auch noch nie nach einer Katze – nur gedacht hatte er an beides. Die gemeine Anna bot ihm doch tatsächlich einmal an, ein Kind für ihn zu gebären, wenn er dafür bezahle. „Du kannst eins haben, aber es kostet!“ Zwanzigtausend sollte er dafür geben. Ein Kind von Anna, mit der Aussicht, dass es so wird wie sie – ausgeschlossen für Mel. Einen Bruder hätte er gerne gehabt oder eine Schwester oder beides. Aber eigentlich war er doch am liebsten mit sich, schon allein wegen der Unkompliziertheit. Ob er die Katze vermisst, falls sie nicht erscheint?
Es lässt ihn träumen. Unter den weichen Augenlidern sind die rollenden Bewegungen der Augäpfel zu beobachten. Mel gibt die starre Liegung auf, wälzt sich in die Seitenlage, zieht die Knie vor die Brust, legt die gefalteten Hände neben das Gesicht. Einige Bilder ziehen durch seinen Kopf. Es ist die Katze! Mel schmunzelt und im Nu löst sie sich auf und er sieht sich im See schwimmen. Allerdings nicht im Wasser, sondern gerade so weit darüber, dass ab und zu sein Penis die Wasseroberfläche erspürt. Ob auf dem Rücken, dem Bauch, er flosselt sich mit den Füßen vorwärts. Schwerelos, als wenn der Wind ihn treiben würde. Wie sanft die Luft über dem See liegt, indem er sein Spiegelbild betrachten kann. Eine weiß-grünliche Gestalt, nackt, leicht wellenverzerrt, aber durchaus zu erkennen, dass sie vergnüglich ist. Erst dreht Mel eine Runde in Ufernähe, kreuzt dann mehrmals über den See, testet verschiedene Geschwindigkeiten und die Schwäne bestaunen ihn. Er schwimmfliegt nun dem Fischerufer zu, die ihn beide begeistert beklatschen. Die Hunde begleiten ihn freudig bellend. Mel amüsiert sich. Als er erneut gemächlich an den Fischers vorbeiziehen will, bespringt ihn die Frau mit einem mächtigen Satz, landet auf seinem Schoß, taucht ihn für einen Moment unter Wasser und er spürt, wie dabei sein Glied in sie eindringt. Wild sieht sie ihn an, packt seine Schultern mit festem Händegriff, reitet auf Mel wie ein kleiner Teufel. Die roten Haare umflammen ihr Gesicht. Sie jauchzt, kreischt in Leidenschaft. Ihre kräftigen Beckenstöße treiben sie wieder und wieder in den See, aus dem Mel sie mit großer Anstrengung herausfliegt. Wie eine Furie benimmt sich des Fischers Frau, beißt, kratzt in sexueller Gier. Die Spitzen ihrer kleinen Brüste glühen. Mel schwimmt in grenzenloser Wollust. Der erleichternde, fast schmerzliche Orgasmus lässt beide erschauern, bevor sie sich, in erschöpfter Zufriedenheit, auf ihn fallen lässt. Wie ein Kind liegt sie in seinen Armen, wein, beküsst ihn, rührend in ihrer Kleinheit. Mel ist sehr berührt. Spürt so sehr die samtene Haut. Ihre Tränen rinnen über seine Brust. Weich im Samengel pulsiert sein Glied in ihrer Scheide. Sie beugt sich seufzend zurück in die Lehne seiner Schenkel. Liebreiz im Blick auf Mel – da zerbirst in einer Explosion der Kopf der Fischerin. Sogleich erblickt Mel den Fischer am Ufer, der das Gewehr erneut in Anschlag bringt…. Da reißt Mel sich aus dem Traum.
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