Mit der Morgenröte, dem Aufschweben der Sonne, wurde Mels Körper so ruhig wie seine Gedanken. Er konnte in den See sehen, ohne darin etwas entdecken zu wollen, ging nach Hause, entfernte Schloss und Riegel, legte alles offen dar, was ihm bedeutend und wertvoll. So hatte er die einfachen Ängste überwunden und komplizierte hatte er keine.
Während Mel in seinem selbstgemachten Gewitter sitzt, bemerke ich die Katze. Eine grauschwarz Getigerte, im Unterfell weiß, leicht kartonbraun abgemischt. Der Schwanz ist bis zum Ansatz knallschwarz, wie Mel sagen würde. Sie streicht unentschlossen die Dahlien auf und ab, bleibt sitzen … oder ist es ein Kater? Scheint, als hört sie sich um. Wenn Mel sie sieht, wird er verrückt. Seit er hier lebt, hat er in der Nähe des Hauses noch nie eine Katze zu Gesicht bekommen. Sie sitzt mit aufrechten Vorderbeinen, ihre Ohren peilen nach Geräuschen, die Schwanzspitze wippt auf und ab. Sie lauert nicht auf etwas, sie wartet mit ruhigen, großen, fast runden Augen. Sie ist optimal getarnt in dem Lichtgeflecke der Dahlienschatten.
Mel ist inzwischen so weit, sein Gewitter aufzugeben, denn die Sonne ist zurückgekehrt. Nur einige unbedeutende Wölkchen sind geblieben. Keine Idee von Unwetter mehr und außerdem hätte er den stechenden Druck seiner Blase nicht mehr ausgehalten. So erhebt er sich und sieht die Katze durch das Fenster. Sie bewegt sich gerade in diesem Moment in die Sonne. Ein überraschendes beiderseitiges Entdecken. Mel denkt augenblicklich: Katze. Eine Katze! Die Katze!
Die Katze verharrt in der Bewegung, sieht gefasst in Mels Gesicht, der sich vorsichtig an die Fensterbrüstung lehnt und wieder und wieder denkt: Katze. Eine Katze. Die Katze. Automatisch, wie immer, wenn Mel einer Katze ansichtig wird, pfeift er durch die Zähne, und wie immer, reagiert e auch diese Katze. Sie stellt ihren Schwanz in die Höhe, marschiert, ein wenig hopsend, auf das Haus zu, schnellt mit einem Sprung auf das Fensterbrett, wo Mel sie mit einem breiten Lächeln in Empfang nimmt und lockt mit: „Miezi! Miezi!“
Miezi begrüßt Mel mit einem Nasenstüber. Mel streicht ihr von der Stirn über die Ohren, den Rücken entlang, bis zum Schwanz, den sie mit aller Kraft in die Höhe reckt. Sie schnurrt! Mel ist gerührt. Das ganze Gesicht lacht und die Katze drückt sich auf dem Fensterbrett stehend an seine Brust. Er massiert ihr mit den Fingerspitzen die Stirn zwischen den Augen, die sie fest zusammen kneift. Sie schnurrt wie ein kleiner Motor. Mel findet dieses Geschnurre eine wirklich sehr gute Möglichkeit, Sympathie auszudrücken, und er findet es eine ausgezeichnete Idee von der Katze, ihn zu besuchen.
Seine Blase drängt und um die Katze nicht gleich wieder zu verlieren, nimmt er sie behutsam in die Arme, begibt sich mit ihr zu dem Klohäuschen, angebaut an der Schmalseite des Hauses. Es hat einen Zugang vom Haus, einen vom Garten. Die Klotür zum Garten ist zweigeteilt, so dass Mel, wenn er will, nur den unteren Teil schließt. So sitzend, den Blick auf den See hat. Für die Katze hat er die Tür ganz offen gelassen und sie streicht ihm um die nackten Beine. lässt sich als dann im Nest seiner heruntergelassenen Hose nieder. Die Katze schnurrt! Mel schmunzelt! Lacht sich leise in den Hals und denkt, wenn uns jetzt jemand sehen könnte.
Doch gleich darauf verdüstert sich nun seine Miene, als ihm plötzlich diese Unglaublichkeit der gemeinen Anna wieder einfällt.
Als er sich noch im Glück mit ihr befand, brachte er zur Erheiterung, für Freude und Spiel, zwei klitzekleine, der Mutter kaum entwöhnte Kätzchen mit, die ihm ein Kunde als Geschenk darbot. Ein Weißes und ein Schwarzes! Er besorgte ein Körbchen, samt Katzenklo, Fellmäuschen, Babynahrung.
Im ersten Moment war die gemeine Anna entzückt. Sie kreischte, kicherte vor Vergnügen, hatte glänzende, sanfte Augen. Schenkte Mel liebevolle Blicke mit verliebtem Lächeln. Sie ließ die Kätzchen unter ihren Pullover schlüpfen, küsste ihre rosa Schnäuzchen, hielt sie in den Händen hoch über ihr Gesicht und brabbelte in dieser Babysprache mit ihnen. In der Nacht riefen die Kleinen jämmerlich nach ihrer Mutter, beruhigten sich für eine kurze Zeit, als Mel ihnen Milch zu nuckeln gab aus einer winzigen Babyflasche. Doch alsbald begann das hohe, schrille Gemaunze von neuem und die gemeine Anna verzog sich samt Bettdecke ins Wohnzimmer. Mel nahm die verzweifelten Kätzchen zu sich ins Bett, um Ruhe zu haben. Die hatte er bis zum frühen Morgen, dann musste er die Betten abziehen, die Matratze mit Papiertüchern trocken tupfen. Katzenpipi! Als die gemeine Anna die verfleckte Matratze sah, sagte sie zwar nichts, hatte aber Grimm in ihrem Blick.
Vergeblich suchte Mel nach den Tierchen, als er abends aus der Werkstatt heimkehrte. Die Betten waren frisch bezogen. Alles sah so aus, als wäre nichts gewesen. Das Katzenklo stand nicht an seinem Platz und auch an keinem anderen. Keines der putzigen Spielzeuge lag herum. Kein Kätzchen war zu finden. Es roch nicht einmal mehr nach ihnen.
Mel hatte gehacktes Kalbfleisch eingekauft, um die Winzlinge langsam an feste Nahrung zu gewöhnen. Er hatte den ganzen Arbeitstag an die Kätzchen gedacht und daran, wie die gemeine Anna sie an ihre Toilette gewöhnen würde. Er hatte gedacht, dass nun neuer Gesprächsstoff in ihre Beziehung kommen würde und er hatte an weiches Katzenfell, an erstaunte ernste Äuglein, an diese winzigen Tatzen mit den noch weichen Krallen gedacht. „Wo waren die Kätzchen? Ihre Utensilien?“, fragte sich Mel. Und ob die gemeine Anna einfach alles in den Müllcontainer geworfen hat? Das kann sie doch nicht getan haben, grübelte Mel, nahm einen Bambusstab vom Balkon, um damit im Müll suchen zu können. Doch die gemeine Anna hatte sich gar nicht die Mühe gemacht, die Sachen zu überdecken. Sie lagen oben auf, als Mel den Deckel öffnete. Und die Kätzchen? Der Atem stockte ihm. Er spürte, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich. Sein Herz schlug wie wild und er schlich um den Container, legte da und dort sein Ohr an die Wände, um ein Miau, ein Kratzen zu erlausche. Nein! Das kann sie nicht getan haben, schloss er aus. Hatte er ihr erzählt, woher er die Tierchen hatte? Sollte er dort anrufen? Flau war es ihm im Magen und er beschloss, auf die gemeine Anna zu warten.
Er saß in dem schwarzen Sessel, die Eingangstür im Blick. Nahm alle paar Minuten einen großen Schluck Rotwein, atmete langsam, kräftig. Versuchte seiner Ungeduld Herr zu werden. Er war mehr in Trance, als dass er schlief, als die gemeine Anna zur Tür herein kam, ihn sah, kurz stutze und ihm entgegen fauchte, dass sie die Viecher zurückgebracht habe.
Mel sah furchterregend aus. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er erschnaubte und erröchelte sich Luft. Wut sah aus dem fahlen, verächtlichen Gesicht, während sein in sich zusammengesackter Körper Resignation ausdrückte.
Wortlos, die starren Augen nicht von ihr wendend, nahm er ihren Satz entgegen, fixierte sie weiterhin ohne einen Wimpernschlag. Keinen Millimeter rührte sich die gemeine Anna vom Fleck, trippelte nervös auf der Stelle, musste mehrmals ansetzen, bevor sie nun behauptete, die Katzen ins Tierheim gebracht zu haben. Als Mel sie unverwandt gebannt ansah, log sie diesmal, die Kleinen aufs Land zu Freunden gegeben zu haben. Als auch dies bei Mel nichts bewirkte, stampfte sie mit dem Fuß auf, floh ins Schlafzimmer und Mel donnerte ihr die Weinflasche hinterher, die mit einem dumpfen Knall an der Tür zerbarst. Nach einigen Sekunden absoluter Stille riss die gemeine Anna die Tür auf. Hysterisch keifte sie Mel entgegen: „Wenn du mich schlägst, dann steche ich Dir heute Nacht die Augen aus.“ Sie reckte ihm zwei Finger wie eine Waffe entgegen, fletschte wutentbrannt ihre Zähne und brüllte ihm zu: Ich habe sie das Klo hinunter gespült“, bevor sie mit gewaltigem Getöse die Tür ins Schloss schmiss.
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