„Und was tun Sie dann?“
„Meistens lege ich mich hin. Ich will nicht, dass es zu einem großen Anfall kommt.“
„Das ist vernünftig“.
„Das einzige was man tun kann.“
„Hatten diese Anfälle etwas mit Ihrer Tat zu tun? Ihrer Meinung nach?“
„Nein.“
Wieder Notizen. Ich glaubte, sie würde sich irren – würde ihr das aber nicht sagen.
Ein anderer Punkt war ebenfalls wichtig.
„Sie erwähnen oft Gott in Ihrem Bericht. Sind Sie sehr gläubig?“
Sie lächelte.
„Als Kind vielleicht. Ja, sogar sehr, wenn ich darüber nachdenke. Ich hatte viele Gründe zu beten. Aber das hat sich schon seit langer Zeit erledigt.
Allerdings schleichen sich immer noch solche Gedanken dann und wann ein. Ich wurde streng katholisch geprägt. Das sitzt drin, aber ist nicht mehr relevant.“
Okay.
Eine klare Ansage zu einem der intimsten Emotionen, zu denen ein Mensch fähig sein kann. Unerschütterlicher Glaube.
Bei Claire Nolan allerdings hatte sich das Motiv religiöser Fanatismus – oder Fatalismus – mit dieser Aussage erledigt. Sie brachte es überzeugend rüber, keine Bindung mehr an ihrem Glauben zu haben.
Ich hakte es ab und kam wieder auf das eigentliche Thema zu sprechen. Direkt und überraschend.
„Wie fühlten Sie sich, als Sie Ihren Mann erschossen?“
Wieder sah sie mir direkt in die Augen – und wieder mit einer Ausdruckslosigkeit, die ich selten erlebt hatte.
„Eigentlich nichts. Der Druck war weg, aber nicht wirklich. Ich wollte, dass er aufhört. Dass der Krieg aufhört. Ich glaube, ich wollte einfach nur den Feind ausschalten. Er hatte eine Grenze überschritten als er meine Penny angezündet hatte. Das Pferd war unschuldig, er hätte mich ja abfackeln können. Ich fühlte mich so, als hätte ich eine Gefahr beseitigt.“
„Das kann ich gut verstehen, er war ja eine Gefahr für Sie und alles, was Sie liebten.“
„So sah es zumindest aus.“
„Sie sind sich nicht sicher?“
„Nein, denn alles was geschah, war nicht wirklich auf ihn zurückzuführen. Man konnte es nie beweisen. Nehmen wir mein Pferd. Es kam brennend aus dem Stall gelaufen. Er war aber nicht da scheinbar. Angeblich war er unterwegs, das Auto stand nicht vor der Tür. Und doch brannte mein Pferd. Kein anderer konnte das gewesen sein, nur er hatte den Schlüssel zum Gelände. Als ich schlief musste er zurück gekommen sein. Denn am Morgen lag er ja im Bett.“
„Okay. Haben Sie noch andere Beispiele?“
Sie überlegte.
„Fast alles drehte sich um die Tiere. Ich fand meine Katze vergiftet vor. Nägel und Glas auf der Weide, auf der die Pferde standen. Wie von Geisterhand das ganze Heu nass, Futtermittel plötzlich unbrauchbar. Er vernagelte Tore zum Gehege, ich konnte so die Tiere nicht richtig versorgen. Es starben sechs Ferkel, weil er sich weigerte mir zu helfen, die Mutter vor der Geburt in eine Box zu treiben. Gab Wochen später vor, eine andere Sau zu betreuen, die in den Wehen lag, als ich zu einer Feier kommen sollte. Ich wollte absagen, aber er bestand darauf, sagte, dass er wirklich aufpassen würde. Er drängte mich geradezu, mich zu amüsieren und einen langen schönen Abend zu genießen.
Aber ich hatte ein ungutes Gefühl und ging nach ungefähr einer Stunde nach Hause.
Als ich wiederkam, musste der Tierarzt sofort kommen, sie war in Lebensgefahr.
Mein Mann hatte sich nicht um sie gekümmert, sondern sich wie üblich vor den Fernseher gesetzt und geschlafen.
Solche Dinge geschahen halt oft. Er baute Fallen auf und ich war damit beschäftigt, die zu umgehen oder wegzuschaffen.“
„Das zermürbt auf Dauer. Warum hat er das getan? Was glauben Sie?“
„Ich hatte mich von ihm abgewandt und anders konnte er mich nicht bestrafen. Er war ein typischer Narzisst. Er wollte unbedingt wieder auf das Podest, auf das ich ihn gestellt hatte zu Beginn unserer Beziehung.“
Sie sah zu Boden, als sie weitersprach.
„Ich hatte ihn vergöttert, er bestrafte mich dafür. Wohl zu viel Liebe? Als ich mich von ihm löste, wählte er einen anderen Weg. Als ich mich wehrte, gab er nach. War freundlich und zuvorkommend. Keine Fallen mehr. Doch das war nur von kurzer Dauer. Die Spielchen wurden subtiler, doch in den letzten Wochen auch mit härteren Konsequenzen zu Lasten der Tiere.. Er wusste genau, sie waren das wichtigste in meinem Leben.“
„Gab es noch andere Vorfälle?“
„Viele. Wenn ich etwas renoviert hatte, machte er es wieder kaputt. Hatte ich einen Zaun gebaut, machte er ihn wieder platt. Seiner Meinung nach war das alles nichts wert und er wollte es anders machen. Er bot mir an mich zu wichtigen Terminen zu fahren, regelmäßig kamen wir zu spät, weil er Umwege fahren wollte, die völlig unnötig waren. Es ging ihm nur darum sich durchzusetzen.“
„Er lockte Sie also mit angeblichen Gefälligkeiten, um Ihnen dann zu schaden? Konnten es nicht nur Zufälle gewesen sein?“
„Nein, es waren zu viele sogenannte Zufälle.“
„Wegen ihm sind Sie verarmt?“
„Ja, er hatte etliche Fehlentscheidungen getroffen, obwohl ich regelmäßig mein Veto eingelegt hatte. Er ignorierte es. Ich vertraute zuerst darauf, dass er wusste was er tat und erfahrener war als ich. Auch wenn ich den Sinn und die Gefahr dieser Entscheidungen abwägen konnte, war es mir nicht möglich ihn zu stoppen.“
„Warum nicht? Sie hätten doch jederzeit das Konto sperren und gehen können.“
„Unter normalen Bedingungen hätte ich das sicher auch getan. Aber er manipulierte mich. Ich denke, die Umstände meiner Vergangenheit haben mich so abhängig von ihm gemacht. Ich schrieb ja darüber. Ich war ihm verfallen. Nichts war mir wichtiger als Harmonie und seine Zufriedenheit, seine Liebe. Ich wollte das über die ganzen Jahre nicht riskieren. Obwohl es nur eine Show war.“
Ich betrachtete sie und sagte: „Aber nichts davon war echt. Und was war mit den Schlägen?“
Sie seufzte kurz.
„Es konnte ja alles ein Versehen sein. Ich war nicht sicher, ob er einfach nur tollpatschig war. Oder nicht. Ich wollte ihm nichts unterstellen, ich war ja selbst nicht sicher, ob ich mir das alles nur einbildete, selbst als ich einen Zusammenhang zu unseren Streitereien sah.“
„Und jetzt?“
Sie hob hilflos die Schultern.
„Weiß ich es immer noch nicht.“
Ich hatte bereits genug Geschichten während meiner Laufbahn gehört, um ihr zu glauben. Und auch der Begriff Narzissmus war mir nicht fremd. Die letzte Fortbildung behandelte zufällig genau dieses Phänomen: Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung, die nicht dazu in der Lage sind, sich in andere hineinzuversetzen und auch keine Liebe empfinden können, sondern jegliche Zuneigung bekämpfen.
Sie finden immer ein Haar in der Suppe, verderben schöne Momente, sehen das Leben negativ. Auch sie sind Getriebene, brauchen mehr Anerkennung und Zuneigung als andere Menschen. Doch es ist nie genug, denn sie können diese Gefühle nicht als bereichernd sehen, ziehen keinen wirklichen Nutzen
oder ziehen Stärke daraus.
Sie hassen andere, die das können und bekämpfen sie, weil sie genau wissen, dass ihnen etwas wesentliches fehlt. Eine liebende Person in ihrer Nähe ruft Neid hervor, Hass, denn sie erinnert sie an ihre Unfähigkeit.
Deshalb sehen sie den Partner oft als Feind, den es bis zum Letzten zu vernichten gilt. Sie haben viele Masken, sind unglaublich charmant und intelligent. Damit können sie perfekt blenden und finden so ihre Opfer. Monatelang spüren sie auf, was der Partner braucht, studieren ihn, spiegeln seine Bedürfnisse und erfüllen sie, fesseln ihn damit an sich.
Die meisten Opfer berichten von einer absolut perfekten Beziehung, einer unglaublichen Wärme und Liebe, die sie wie eine Droge nach kürzester Zeit gefangen nimmt.
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