Sie begriff nicht, warum sie dennoch losrannte, sich dem Tier mit erhobenen Armen schreiend in den Weg stellte und erst recht nicht, wieso es auf sie reagierte und eine Kurve beschrieb, um ihr auszuweichen.
Sie schrie wieder und rannte los, die Stute jagte hinter ihr her, überholte sie fast und gemeinsam liefen sie geradewegs in den großen Teich, den sie im Frühling erst angelegt hatte.
Er hatte keinen Sicherheitszaun, auch dafür hatte das Geld gefehlt – in diesem Fall ein großes Glück. Auch war er gerade einmal eineinhalb Meter tief, doch Penny strauchelte und fiel, das Wasser umschloss sie und es zischte, als die Flammen gelöscht wurden.
Hatte das Tier gewusst, dass dies seine Rettung bedeuten könnte?
Hatte es den Teich angepeilt? Oder hatte sie es tatsächlich geführt?
Sie watete auf Penny zu, rutschte selbst aus und fiel komplett ins Wasser. Rappelte sich sofort wieder auf und ignorierte die Schwere ihrer nassen Klamotten und den Kälteschock. Wie schwer verletzt war das Pferd, konnte es aufstehen? Erleichtert sah sie die Umrisse. Ja, es stand.
Der See war nicht zu tief und hatte einen sanften Uferanstieg - Penny konnte hinaussteigen. Was sie auch selbstständig tat. Es dampfte. Die Mähne war eindeutig abgebrannt, soweit sie das erkennen konnte. Aber sie konnte nicht sehen, ob und wie stark die Stute verletzt war.
Hilflos tastete sie nach ihr, versuchte sie vorsichtig zu berühren, aber die Finger glitten immer wieder ab, sie waren taub. Die Kälte nahm ihr den Atem. Sie spürte ihre Hände nicht mehr. Sie ging schwankend und tropfnass über die Weide in den Stall, das Pferd folgte, nun ganz ruhig.
Der Stall und die Boxen waren unversehrt. Hier hatte es nicht gebrannt. Pennys Box hatte ebenfalls keinen Schaden genommen, jemand musste die Boxentür entriegelt haben.
An einer Stelle vor der Box entdeckte sie auf dem Boden Streichhölzer, die langen, die man gern auch für den Kamin benutzte. Es waren fünf Hölzer und sie waren zur Hälfte abgebrannt. Eine Benzinlache vor dem Eingang... sie musste sie wegwischen.
Doch zuerst ging es um Penny. Sie drehte sich um, traute sich kaum hinzusehen, tat es aber doch.
Penny sah bedauernswert aus – die Mähne war tatsächlich abgebrannt, einzelne Haarsträhnen hingen versengt herunter. An einigen Stellen sah sie Brandwunden, aber sie waren klein. Insgesamt fehlten nur wenige Millimeter zur Haut.
Schnell schnappte sie sich die alten Handtücher aus dem Schrank und rieb Penny trocken, machte nebenbei zwei Heizlüfter an, um die Stute zu wärmen.
Penny war auch sonst wie durch ein Wunder kaum
verletzt. Oberflächliche Wunden. Sie musste sich das Bein aufgeschlagen haben als sie in den Teich gesprungen und gefallen war. Vielleicht auch vorher schon in ihrer rasenden Panik. Sie nahm das Desinfektionsspray und säuberte notdürftig die Brandstellen und das Bein.
Kleine Mohrrüben als Leckerchen nahm Penny gern an. Das war gut. Sehr gut.
Sie legte noch eine große Lage Stroh in die Box und führte ihr Pferd hinein. Die Tür ließ sie offen, falls Penny eine Panikattacke bekommen sollte.
Schnell noch das Benzin aufwischen.
Sie spürte ihren Körper kaum noch.
Stoßgebete, sie war unendlich dankbar.
Ein Wunder war es gewesen. Der Teufel hatte nicht gesiegt, er hatte ein Bild gezeigt, ein Bild seiner Bösartigkeit, aber er hatte nicht gewonnen. Nein. Tatsächlich ein Wunder.
Die Wärme im Stall ließ sie ihre eigenen Schmerzen spüren, als das Blut in ihrem Körper zu zirkulieren begann. Es war schlimm, sie schlotterte, als sie endlich im Haus angekommen war und konnte sich unter der Dusche kaum halten. Sie sank hinunter und ließ das Wasser einfach auf sich hinab prallen. Nach Ewigkeiten konnte sie sich wieder bewegen und säuberte sich. Nur widerwillig verließ sie die Dusche. Sie hasste Kälte.
Sie nahm sich ihren Schlafsack und ging zu ihrer Stute, liebkoste sie, die Box blieb offen und sie legte sich direkt daneben auf den gemauerten Sims und schlief auf der Stelle ein.
Am nächsten Morgen erschoss sie ihn, noch während er im Bett schlief.
Den Teufel.
HEUTE:
Ich habe nicht nur ihn getötet. Es folgten noch weitere. Ich habe damit mein Schicksal endgültig besiegelt. Vielleicht sogar Gottes Plan durchkreuzt. Einen eigenen Willen soll er ja angeblich jedem Menschen mitgeben. Das ist interessant, wenn dieser Mensch nie eine Chance hatte. Ad absurdum.
Ich tötete.
Löschte viele Lichter aus.
Und damit starben alle geheimen verbliebenen Träume und Hoffnungen – die Verführungen dieses beschissenen Lebens. Die Gedanken, es könne irgendwann eine Wiedergutmachung geben, eine faire Chance, einen Lohn für all das.
Sie sind Geschichte.
Ich glaube nicht mehr daran. Es ist vorbei, ich spiele nicht mehr mit. Pech für das Schicksal.
Meine Taten sind lediglich das Ergebnis einer unzähligen Anzahl von Bösartigkeiten der Menschen, die mich von Anfang an begleiteten. Er selbst, seine Taten allein hätten es nicht geschafft, mich dahin zu treiben, wo ich jetzt stehe. Hätte ich je echte reine Liebe erfahren, hätte ich meine Grundrechte leben dürfen – schon als Kleinkind – und wäre nicht als ein unliebsamer Unfall gehandelt worden, wäre all das nicht geschehen.
Ich wäre stark gewesen, selbstbewusst, hätte vertrauensvoll auf Fürsorge und Hilfe der Familie zählen dürfen. Nie hätte ich mich einem solchen Menschen hingegeben, auch nicht den anderen kranken Typen zuvor. Ich wäre nie so überzeugt gewesen, keine Liebe zu verdienen und dankbar alles hinzunehmen, nur damit sich jemand zu mir bekennt. Mir seine Liebe vorgaukelt, eine Illusion, die ich brauchte – mehr noch als die Luft zum Atmen.
Das alles sind Fakten. Ohne Emotionen.
Ich empfinde kein Mitleid, weder für mich noch für andere.
Es ist eine einfache logische Schlussfolgerung eines von anderen geprägten und verpfuschten Lebens.
Ich erschoss an jenem Tag also nicht nur ihn und die anderen, sondern damit auch meine Mutter, meinen Vater, die Stellvertretermutter, den ersten Ehemann und seine gesamte Sippe, den zweiten Betrüger, alle Lügner. Ich erschoss damit jeden, der mich je gedemütigt hatte. Ich erschoss dieses Dasein, die Armut, der Dreck, meine eigene Unfähigkeit mich zu befreien.
Von ihm.
Er röchelte übrigens noch eine Zeit lang, nachdem ich ihn die tödlichen Kugeln verpasst hatte. Eine mitten in sein feistes Gesicht, die andere in die Brust. Links.
Meine Tiere erschoss ich einen nach dem anderen. Allen Hunden war eines gemeinsam: sie liebten mich ohne jedes Misstrauen und liefen freudig auf mich zu, leckten mich begeistert ab. Es war schwierig, jedem von ihnen eine gut platzierte Kugel zu verpassen, bei Jack traf ich daneben und musste noch zweimal abdrücken, bis er endlich zusammenbrach. Sie hatten alle diesen verstörten Blick, sie verstanden nicht, was da geschah. Die letzten beiden flüchteten, versuchten zu entkommen, doch alle Türen waren zu. Es waren die kleinsten. Sie jaulten, hatten Angst. Wuselten umher.
Danach waren sie endlich ruhig.
Die Katzen waren geflüchtet, meine beiden Lieblingskater Charlie und Brikett erwischte ich dennoch. Ich musste nur etwas warten und mit der leeren Futterdose locken. Fünf zutrauliche Schweine, die ich aufgezogen hatte – auch sie mussten sterben.
Aber es würde ihnen tot besser ergehen. Die Tiere waren abgemagert, viel zu dünn.
Ich hatte kein Geld mehr für Futtermittel. Und keine Zeit, um sie ins Tierheim zu schaffen. Die Pferde waren gut genährt und würden schnell neue Besitzer finden. Die Nachbarn waren verliebt in sie. Ein Zettel auf dem Küchentisch musste genügen.
Die Knallerei lockte den halben Ort heran.
Es war typisch, viele Rentner, Arbeitslose und andererseits Menschen mit so viel Geld, dass sie nicht arbeiten gehen mussten. Sie alle hatten die Gemeinsamkeit, fast vor Langeweile sterben zu müssen.
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