allein. Nachtschichten, Wochenenddienste und Überstunden waren die Regel. Das alles zum Mindestlohn.
Sieben Jahre hielt sie durch, dann war ihr Körper ruiniert. Ihre Psyche ohnehin.
Er betonte immer wieder, dass er niemals einen solchen Job machen würde.
Blieb zuhause, wartete auf den versprochenen Job und war im Kaufrausch.
An- und Verkauf im Internet war sein Eldorado. Damit wollte er reich werden. Aber den Kühlschrank füllte sie. Ebenso wie die Miete von ihr gezahlt wurde, weil es nicht reichte. Dennoch rutschten sie noch tiefer ab.
Die Geldsorgen wurden mit jedem Stapel an Rechnungen größer.
In dieser Zeit drohte der Supergau.
Wieder eine Katastrophe – er war nie krankenversichert gewesen und nun sollte durch eine Gesetzesänderung solche Menschen dazu verpflichtet werden, nachträglich eine hohe Summe einzubezahlen und künftig pflichtversichert zu sein.
Es gab nur die eine Chance, dieser riesigen Summe zu entgehen: eine Heirat. Er würde in ihrer Versicherung aufgenommen und niemand würde ihn zur Kasse bitten können.
Also heirateten sie – aber es war eine Hochzeit ohne
Trauzeugen, Ringe oder eine Feier. Sie aßen immerhin auswärts.
Damals glaubte sie, es würde sich nun alles ändern.
Viele Zweckehen funktionierten gut, erst spät kamen Liebe und Leidenschaft hinzu. Vielleicht konnte er lernen sie zu lieben, jetzt, da sie offiziell Mann und Frau waren. Und zu begehren. Ein Intimleben gab es schon seit Jahren nicht mehr.
Viel schlechter konnte es nicht laufen. Es konnte nur noch aufwärts gehen.
Ja, es würde jetzt endlich alles gut werden. Das hier war ein Meilenstein.
Davon war sie überzeugt.
Die Ehe wurde jedoch nie vollzogen.
Es gab keine Hochzeitsnacht. Sie wurde immer wieder abgewiesen, jeder Versuch zur Verführung scheiterte. Es waren für sie Demütigungen wie Ohrfeigen.
Und dann kam der Tag, als sie in sein Büro kam und er nicht schnell genug seine Internetseiten schließen konnte.
Nackte Frauen.
Danach tat sie nichts mehr, um ihn umzustimmen, ihn zu becircen oder verführen zu wollen. Sie redete mit ihm nicht mehr über ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse. Sie schämte sich unendlich, je mit ihm darüber gesprochen zu haben, sich ihm so ausgeliefert zu haben.
Jahrelang hatte sie damit zu kämpfen. Er ließ sie in ihren besten Jahren verhungern. Dazu kamen die ersten Schläge.
Zuerst waren es eher Stöße. Er stieß sie beiseite,
wenn er mit dem Telefonhörer am Ohr durch die Wohnung rannte und sie seinen Weg kreuzte.
Oder etwas trug.
Einmal verletzte er sie mit einem langen Brett, dass er ihr in die Seite rammte. Sie schrie auf und flippte aus, riss an dem Brett herum, das er überrascht fallen ließ und dann brüllte sie ihn an, beschimpfte ihn als Idioten.
Er ging mit starrem Blick auf sie zu und schlug sie ins Gesicht.
Umgehend verließ sie die Wohnung und zeigte ihn an.
Wortreiche Entschuldigungen und Tränen seinerseits. Blumen, Geschenke. Und die Anzeige wurde zurück gezogen.
Das übliche also.
Er stieß sie nicht mehr, sondern forderte sie nun auf,
zur Seite zu gehen. Höflich und zugleich genervt.
Er schlug sie nie wieder. Jedenfalls nicht so offen.
Statt dessen kniff er ihr in die Brust, in die Arme, trat ihr „versehentlich“ auf den Fuß, umarmte sie so heftig, dass sie Schmerzen bekam.
Oh wie ungeschickt er doch war. Aber er liebte sie doch so... es dauerte Jahre bis sie dahinterkam, dass es zuvor immer einen Streit gegeben hatte, wenn so etwas geschah.
Statt endlich zu gehen, wurde sie stiller. Sie konnte nicht weg von ihm. Sie schaffte es einfach nicht.
Eines Tages erbte sie noch einmal. Ihr Vater, zu dem sie Jahrzehnte keinen Kontakt gehabt hatte, war verstorben und hinterließ ihr etwas Geld. Es war nicht viel, jedoch genug für einen Neuanfang.
Sie suchte nach einem Haus, es musste billig sein.
Bei der Suche richtete sie sich auch nach seinen Wünschen. Er wäre sonst nicht mitgezogen.
Sie fand trotz seiner Ansprüche das passende Haus und konnte es in einer Zwangsversteigerung günstig erwerben.Sie renovierten Monate, bis ein Teil endlich bewohnbar war. Und zogen ein.
Doch der Start in ihr neues Leben verlief schlecht. Es war wieder einmal das typische Klischee. Es geschah bei der Autowäsche an der Tankstelle.Eine Frau verwickelte ihn in ein Gespräch, schnell sehr anzüglich – wie gut er aussah, genau ihre Kragenweite, wo sie doch frisch geschieden und sehr
einsam sei... und er hörte aufmerksam zu, bedankte sich für das Kompliment und erklärte der
Fremden, sie sei äußerst charmant und sicher nicht lang allein.
Sie war die ganze Zeit dabei gewesen, neben ihm stehend, völlig ignoriert von beiden. Sie sagte etwas wie „Schatz, wir müssen los....“, aber er und auch die Fremde würdigten sie keines Blickes.
Da ging sie in den Shop und bestellte mit einer ihr fremden Stimme einen Kaffee und kaufte dazu gleich Zigaretten und ein Feuerzeug. Fünf Jahre hatte sie nicht mehr geraucht.
Sie fragte nach einem Telefonbuch, um sich ein Taxi zu rufen.
Aber da kam er schon zur Tür herein. Musterte kurz die Zigaretten in ihrer Hand.
Sie fuhren schweigend in ihr neues Zuhause.
Am selben Abend wurden sie als „die Neuen“ in die Dorfgemeinschaft - bei einem Dorffest - eingeführt. Alle wollten sie kennenlernen und stellten sich vor. Jedoch bei jedem einzeln, denn statt sich mit ihr zusammen zu zeigen, an ihrer Seite zu sein, amüsierte er sich mit den Frauen des Ortes, die sich um ihn gruppiert hatten und brachte sie zum Lachen. Sie saß derweil mit einigen Seniorinnen an einem Tisch. Es war ihr unendlich peinlich. Die Damen bemühten sich sehr um sie und sie konnte sich nicht davonstehlen. Zu gern hätte sie sich zuhause eingeschlossen und die Decke über den Kopf gezogen.
Diese nun öffentlichen Demütigungen waren der Auftakt zu vielen weiteren.
Er witzelte vor den Nachbarn, wie ungeschickt sie mit den Werkzeugen umging, wie schlecht sie kochen würde.Wenn sie mit anderen sprach, fiel er ihr ins Wort und behauptete, die Geschichte sei ganz anders. Er lachte über ihr schlechtes Gedächtnis. Manchmal schickte er sie kurzerhand weg – dieses oder jenes musste erledigt werden.
Nun aber, hopp hopp.
Irgendwann ging er zu weit und sie erklärte ihm die Scheidung. Fortan lebten sie getrennt – sie zog in den unteren noch immer nicht renovierten und baufälligen Teil des Hauses und überließ ihm dabei die bequeme Wohnung. Des lieben Friedens willens. Und nur für das Trennungsjahr. Dann endlich würde er gehen.
Trotzdem hörten die Machtkämpfe nicht auf. Er diskreditierte sie weiterhin anderen gegenüber, zufällig fand sie persönliche Dinge im Müll wieder: liebevoll geschriebene Postkarten ihrer Freunde aus Urzeiten, Schmuckstücke, die sie einmal von anderen geschenkt bekommen hatte. Die von ihr angeschafften Tiere - Pferde und Minischweine - kauten Plastikfolie, die er ihnen hingeworfen hatte. Das Futter war regelmäßig ruiniert, weil er es ungeschützt den Katzen und Hunden auslieferte und diese darin ihr Geschäft verrichteten.
Teuer eingekauftes Stroh war plötzlich abgedeckt und vom Regen völlig durchnässt worden.
Dann fand sie eines Tages auf der Weide eine Vielzahl rostiger Nägel, Holzbretter mit spitzen Schrauben darin und Glasscherben in den Gehegen.
Sie ging in ihre Bleibe und schrieb einen kurzen Text.
Es war die Kündigung der Wohnung, die er bewohnte. Es war ihr Haus. Ihr gutes Recht.
Sie übergab ihm das Schreiben ohne ein Wort zu sagen.
Kalt.
Damit hatte er nicht gerechnet, kam zu Kreuze gekrochen, entschuldigte sich, bat um eine Chance wohnen bleiben zu dürfen. Zahlte Geld, eine großzügige Miete.
Plötzlich konnte er sich benehmen. War höflich. Kleine Aufmerksamkeiten jeden Tag.
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