»Da sag doch noch mal einer, Motorboot fahren sei was für faule Leute«, grinste Rudi und angelte einen schwarzen Benzinkanister hinter der Theke hervor. Er hielt ihn hoch und fragte scheinheilig: »Ist das vielleicht euer Kanister? Ich fand ihn unten auf dem Anleger, wo ihr vor eurem Ausflug das Boot liegen hattet.«
Bodo wurde blass. »Boh, ey! Den Kübel kenn’ ich doch. Den hab ich vorhin auf den Anleger gestellt, als wir die Pflastersteine verstauten.«
»Ja, ja. Im fortgeschrittenen Alter passiert das schon mal«, grinste ich. »Bodo, kannst du dich noch daran erinnern, in welcher Tasche dein Portemonnaie steckt? Ja? Das ist gut! Bootsmann, bring noch 'ne Runde, heute zahlt der Lange!«
Bodo wusste genau, dass Protest in seiner jetzigen Lage unangebracht war und ergab sich seufzend in sein Schicksal.
Es war öde und langweilig. Beinahe nicht auszuhalten. Himmel, was sollte ich bloß anstellen mit sooo viel Zeit? Hätte der Lange nicht zum Bund gehen können, wie normale Menschen auch? Dann wäre er sicher in der Umgebung stationiert worden, und wir hätten trotzdem angeln gehen können. Aber nein, der elende Feigling wollte sich drücken.
»Bevor ich zum Barras gehe, mustere ich in der christlichen Seefahrt an«, hatte er getönt und Joachim und ich hatten nur gegrinst. Dann kam der Tag, an dem der Schlacks seine Lehre als Maschinenschlosser natürlich mit Bravour abschloss, und an diesem Tag präsentierte er uns sein Heuerbuch. Der Schock war groß, als er uns eröffnete, dass sein Dampfer in wenigen Tagen von Bremen auslaufen würde. Der Schlacks hatte als Messjunge auf einem Frachter der Deutschen-Dampfschifffahrts-Gesellschaft Hansa angemustert, ohne uns davon was zu sagen.
Obwohl ich nicht damit einverstanden war, dass sich unsere gemeinsamen Interessen plötzlich so weit voneinander entfernten, so wollte ich es mir nicht nehmen lassen, den Freund bis auf sein Schiff zu begleiten, und der Abschied war schwer gefallen.
»In zwei Monaten bin ich doch schon wieder da«, hatte der Schlacks mit einem Kloß im Hals gegrinst, und seinen Vater und mich energisch zur Gangway geleitet. »So, nun seht man zu, dass ihr von Bord kommt. Um zwölf gibt es Essen, und in der Messe steht noch das Frühstücksgeschirr. Ich habe Arbeit satt, und ihr steht mir im Weg!«
Mit sanftem Druck schob er uns auf den Aufgang zur Gangway und wir hangelten uns die halsbrecherisch steile Laufplanke hinab. Wir blickten uns um. Von Bodo war nichts mehr zu sehen. Dafür hörten wir ein verdächtiges, lautes Tröten, so als putze sich ein Elefant den Rüssel.
»Vielleicht winkt er noch mal?«, hoffte ich, aber Willy schüttelte den Kopf.
»Der ist so mit seinen Tränen, äh..., ich meine, mit seinem Abwasch und dem dreckigen Frühstücksgeschirr beschäftigt, dass er uns schon lange vergessen hat«, meinte er, legte
mir väterlich seine Hand auf die Schulter und reichte mir fürsorglich sein Taschentuch. Schweigend gingen wir zum Wagen zurück.
Wo mochte der Schlacks jetzt stecken? Dubai, Karatschi, Kuwait? Irgendwo bei den Ölscheichs trieb er sich herum. Na ja, er würde es mir schon noch erzählen. Übel war nur, dass auch Joachim schon in den Vorbereitungen zu seiner Prüfung als Schriftsetzer stand, und somit auch keine Zeit für mich hatte. Was also blieb mir anderes übrig, mich in meinen Stichling zu setzen, und die Aale allein zu ärgern.
»Mann, was hast du denn vor?«, staunte Bootsmann Rudi, als ich mit den langen Stangen und tausend Utensilien angeschleppt kam.
»Ooch, der Lange hat vor einiger Zeit mal ‘ne Sperrlage gebaut, für seinen Gummikreuzer. Bloß, ausprobiert haben wir sie nie. Aber ich denk mal, sie hat genau das Maß für den Stichling, und so werde ich übers Wochenende mal Karl Bollmann ein wenig Konkurrenz machen!«
Ich schaute über das Geländer der Veranda, konnte aber den »Reiher«, Karls massives Stahlschiff, nirgends sehn. »Wo steckt der eigentlich?«
Der Bootsmann grinste. »Der ist zur kleinen Weser, und ich denke, es ist besser, du kommst ihm mit deiner Sperrlage da nicht in die Quere. Ich bin mir nicht sicher, ob er soviel Spaß versteht!«
»Spaß versteht?«, echote ich empört. »Du täuschst dich, Bootsmann, ich will keinen Spaß machen, ich will das Ding wirklich ausprobieren!«
Rudi holte tief Luft, als wolle er zu einem sehr ausgedehnten Vortrag ansetzen. Dann winkte er konsterniert ab, drehte sich um und ging kopfschüttelnd davon.
»Mach doch, was du willst«, brummelte er und verschwand im Bootshaus.
Es dauerte seine Zeit, bis ich den ganzen Krimskrams verstaut hatte, und, oh Wunder, es passte sogar alles ins Boot. Ich warf den Motor an und tuckerte aus dem Hafen. Ich fuhr Weser abwärts, und mit dem ablaufenden Wasser machte der Stichling ganz schön Fahrt.
Der Bootsmann mochte Recht haben, es war wohl wirklich besser, dem fischenden Kleiderschrank, wie Karl auch scherzhaft genannt wurde, aus dem Weg zu gehen. Wenn er in der kleinen Weser gegenüber von Brake fischte, dann würde ich ein klein wenig weiter fahren und mein Netz in der Schwei, einem anderen Nebenarm der Weser, auswerfen. So konnte ich ihm nicht ins Gehege kommen. Ich erinnerte mich an den Verlauf der schmalen Fahrrinne und tastete mich mit dem auflaufenden Wasser in den schlammigen Seitenarm hinein. Ich fand die Gräben wieder, in denen Karl mir das Fischen mit der Sperrlage gezeigt hatte, musste allerdings noch eine Weile vor Anker auf die Flut warten.
Als der Wasserstand hoch genug war, steuerte ich das Holzboot mit einigen Ruderschlägen durch die Wand aus Schilf und ließ es weiter in den Graben treiben. Ich fand schnell eine geeignete Stelle, drehte das Boot quer und warf Bug- und Heckanker aus. In der Abenddämmerung montierte ich das Netz zwischen die beiden langen Holzstangen und brachte die unförmige Konstruktion zu Wasser. Ich musste höllisch aufpassen, denn das leichte Holzboot war natürlich nicht so stabil wie Karls schwerer Reiher. Aber im Grunde genommen war es eine Sache der Balance, und ich gewöhnte mich schnell daran, das Gewicht der Sperrlage mit meinem Körpergewicht auszugleichen.
Wahnsinn! Es funktionierte. Aal auf Aal flutschte über das Netz ins Boot, und ich nahm mir vor, Bodo im nächsten Brief den Ritterschlag zu verpassen. Den Adelstitel »Sir Bodo« hatte er sich mit dieser Bastelei verdient. Es plätscherte, und dann rauschte etwas durchs Schilf.
»Wahrschau!«, brüllte ich, als das große schwarze Etwas durch den Graben genau auf mein Boot zuschoss.
»Damminomol!«, fluchte eine raue Stimme, die mir bekannt vorkam. Ein Lichtstrahl flammte auf und blendete mich. Dann platschte ein schwerer Anker ins Wasser und das große, stählerne Boot kam knapp vor meiner Sperrlage zum Stehen. Wieder der Lichtstrahl.
»Verflixt und zugenäht. Was machst du denn hier? Raus aus meinem Graben, Bengel!«
»Und was willst du hier, Karl? Ich denke, du bist in der kleinen Weser?«
»Kein Aal da, wollte es hier probieren.« Ich sah Karls ratloses Gesicht. »Wie sieht es denn hier aus?«
Als Antwort holte ich die Sperrlage hoch. Sechs gute Räucheraale schlängelten sich ins Boot und Karl bekam große Augen.
»Damminomol!«, kommentierte er den Fang und begann, den Anker, den er als Notbremse benutzt hatte, wieder einzuholen. Wortlos stakte er sein schweres Boot zurück und verschwand in der Dunkelheit. Wieder raschelte es, als er den »Reiher« durch das Schilf drückte. Dann war es still, und ich wieder allein.
»Damminomol!«, entfuhr es mir und ich war erstaunt, dass Karl nicht mehr zu sagen gehabt hatte. Ich brachte die Sperrlage erneut zu Wasser und begann, das Wasser aus dem Schiff zu schöpfen. Denn jedes Mal, wenn ich das Netz einholte, kamen auch einige Liter Wasser ins Boot, und ich war kurz davor, nasse Füße zu bekommen.
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