»Heh, was macht ihr beiden, wenn euer Küchenquirl ausfällt, hä??«, brüllte der Alleinunterhalter über uns, um sich im nächsten Mom3ent seine Frage selbst zu beantworten. »Na, ganz klar! Dann müssen sie sich ordentlich am Riemen reißen!!«
Donnerndes Gelächter belohnte seine fragwürdigen Witzeleien!
»Lieber Gott, lass es Abend werden oder die Fähre kommen«, stöhnte der Schlacks und fing an, den Blasebalg mit den Füßen zu bearbeiten. Je länger er darauf herumtrampelte, umso besser wurde seine Laune, und ich hatte den Verdacht, dass er in seiner Vorstellung gar nicht auf einen kleinen Gummibalg, sondern auf etwas ganz anderes eintrat. Ganz langsam begann der erste Gummiwulst sich aufzublähen.
»Kuck mal, ein Gummibootus erectus!«, johlte es oben und ich griff unwillkürlich nach einem Paddel.
»Lass sein, zu viele Zeugen«, raunte mir der Lange zu und nahm mir das Ruder aus der Hand.
»Ich glaub, das fällt schon unter Notwehr«, gab ich zurück und Bodo grinste und deutete auf den Blasebalg.
»Los, mach du mal ‘ne Weile. Das beruhigt!«
Seufzend ergab ich mich in mein Schicksal und pumpte, bis die erste Kammer gefüllt war. »Ooch, da geht wohl noch ‘ne Menge rein. Mach man ordentlich stramm«, meinte der Schlacks.
»Ordentlich stramm, jawohl, Herr Kaptein!«
Also weiterpumpen.
»Sag mal, Käptn, wie pflegt man eigentlich so ‘nen Gummikreuzer? Muss man den auch mal streichen?«, fragte ich interessiert und nicht ganz grundlos. Ich fuhr mit der flachen Hand über die schon leicht raue Oberfläche. Man macht sich ja so seine Gedanken.
»Angsthase! Nee, streichen musste nich, aber damit das eingearbeitete Gewebe schön geschmeidig bleibt, muss man die Luftkammern von innen immer gut mit Talkum pudern. Dann kann gar nix passieren.«
»Hm.«
Ich starrte gedankenverloren auf die Stelle des Gummiwulstes, an der sich ein millimeterbreiter Riss gebildet hatte. Sollte ich vielleicht mit dem Pumpen aufhören? Noch während ich überlegte, fing der Riss an, sich zu verlängern. Da ich aber kein »Pssssssss!« hörte, konnte es nur die Gummioberfläche sein, die da nicht mehr so ganz halten wollte. Konnte man sicher flicken. Bodos hatte meinen interessierten Blick bemerkt und jetzt entdeckte auch er das Malheur, das im Zentimetertempo über den Gummiwulst kroch.
»Boah!«, brüllte der Schlacks und fingerte nach seinem Fahrtenmesser, um durch einen gezielten Stich den Riss am Weiterlaufen zu hindern. Es hätte sicher geklappt, wenn der Schlacks sich dabei nicht auch noch auf das Boot geworfen hätte. Zwar maß Bodo in den Schultern nicht mehr, als ein Hering zwischen den Augen, aber das schien wohl ausreichend zu sein, um die Katastrophe einzuläuten.
»Festhalten! Festhalten!« schrie der Lange und versuchte, den jetzt davoneilenden Spalt in der Gummihaut durch Fingeraufdrücken zu stoppen.
Die Detonation, mit der es unser Schlauchboot auseinander sprengte, veranlasste das Fährpersonal auf der anderen Weserseite zu einem hastigen Ablegemanöver. Wie Donnerhall rollte der Schall zwischen den Ufern hin und her, und unsere beiden Freunde vom Kutter waren scheinbar sehr gespannt, was wir nun wieder angestellt hatten. Wir schauten uns an. Der Schlacks schien etwas zu sagen, denn er bewegte die Lippen. Es sah aus, als kaue er hingebungsvoll einen Kaugummi, aber in meinen Ohren war lediglich ein lautes Pfeifen zu vernehmen, welches in an- und abschwellendem Rhythmus in meine Trommelfelle stach. Bodo schien die gleichen Probleme zu haben, denn er deutete jetzt mit dem Finger nach oben und ich folgte mit den Augen der angezeigten Richtung.
Eine weiße Nebelwolke stand wie ein Atompilz über uns, und die ganze Meute, die eben noch feixend über dem Geländer gehangen und uns mit ihrem Spott überschüttet hatte, rannte keuchend und hustend mit kreideweißen Gesichtern und staubigen Kleidern auseinander. Der größte Druck bei der Explosion war nach oben entwichen und hatte den gesamten Talkumpuder über die Schandmäuler da oben geblasen. Wir hingegen waren mal wieder davongekommen, die weiße Farbe unserer Gesichter entsprang mehr dem Schrecken und dem Gedanken, dass uns das auch draußen an der Fahrrinne hätte passieren können.
Wir wussten nicht, ob wir lachen oder weinen sollten, denn Petrus‘ Wege waren manchmal schon ein wenig drastisch, aber alles in allem doch gerecht und sehr effektvoll. Wir packten unseren Kram also wieder ein und als wir die Anlegerbrücke zum Ponton hinunter kamen, und Kurt und Bruno die Trümmer unseres Gummikreuzers sahen, ahnten sie, warum die Passagiere der vorigen Fahrt alle einen so leicht mitgenommenen und verstaubten Eindruck gemacht hatten. Bruno klopfte uns väterlich auf die Schultern um uns zu trösten.
»Verdammt Jungs, ihr seid doch ganz verflixte Bäckerburschen! Also, Kopf hoch, meine Herren Raubfischer! Ein versenktes Gummiboot kann euch doch wohl nicht stoppen, wie? So wie ich euch kenne, habt ihr bald einen schwimmenden Ersatz gefunden, oder?«
Der Schlacks und ich tauschten einen Blick, dann erhoben wir wie auf Kommando gleichzeitig jeder drei Finger zum Schwur.
»Wir?? Nie wieder!!«, erschallte es im Chor.
Zwei Maulwürfe und ein Stichling
Bodo, Joachim und ich waren damals die dicksten Freunde. Wir teilten so ziemlich alles miteinander, was unsere Freizeit und die Hobbys betraf. Im Laufe der Zeit kamen wir einfach zwangsläufig von den Fischen auf die Boote, und ganz langsam entwickelte sich, wenn auch bei jedem von uns unterschiedlich, der Hang zum Wasser. Jetzt, da sich die Schlauchboot-Ära erledigt hatte, fehlte aber etwas. Wir wurden immer kribbeliger, so eingeschränkt, wie wir in unserem Bewegungsdrang waren. So durfte das nicht bleiben!
»Mensch, dass ihr aber auch den Gummikreuzer zerlegen musstet«, meckerte Joachim und beförderte einen der schmackhaften Tauwurmriesen in die Köderbüchse. Unser Vorrat an Wurmködern war erschöpft und wir mussten dringend für Nachschub sorgen.
»Hm«, machte ich nur kurz .
»Mein Gott, bist du heute wieder geschwätzig«, stellte Achim fest. »Was ist eigentlich los mit dir? Du tust schon seit ein paar Tagen so geheimnisvoll?!«
Ich grinste ihn entwaffnend an und sagte fröhlich: »Joah, ne?!«
»Verdammt, willst du mich auf den Arm nehmen? Sag endlich, was los ist!«
»Nee, geht nicht! Kann ich leider nicht machen, Achim. Sonst muss ich alles zweimal erzählen. Pass auf, wir treffen uns heute Nachmittag am Bootshaus. Bodo kommt auch, dann erfahrt ihr alles.«
Man konnte nicht behaupten, dass ihn diese Antwort zufrieden stellte. Er maulte und nörgelte, beschwor unsere Freundschaft und auch sein großzügiges Angebot: »Ich gebe auch einen aus, wenn du mir jetzt sagst, was los ist!«, konnte mich nicht dazu verleiten, das auszuplaudern, was beide Freunde erst am Nachmittag erfahren sollten.
»Ich weiß noch nicht, ob ich dir von meinen Tauwürmern welche abgeben soll«, startete er einen letzten Versuch.
»Och, macht nix, meine Büchse ist auch bald voll«, grinste ich und beförderte noch einen der langen Gesellen hinein, die wir aus dem Kartoffelacker unseres Nachbarn ans Tageslicht befördert hatten.
In der Tat hatte ich mich in der letzten Zeit etwas rar gemacht und den Freunden eisern verschwiegen, was mich so beschäftigte. Aber es sollte eine Überraschung werden, und so verkniff ich mir die Mitteilung, dass ich ein kleines Holzboot von knapp viereinhalb Metern Länge gekauft hatte. Ein älterer Segler aus dem Wassersportverein hatte den Tuffel noch im Bootsschuppen liegen gehabt und ich war schnell mit ihm handelseinig geworden.
Das Boot hatte lange Zeit im Winterlager gelegen und sah nicht mehr sehr flott aus. Das Holz war ausgetrocknet und zwischen den Planken klafften so breite Spalten, dass man da eine Mütze hätte durchwerfen können. Also musste der Kahn erst einmal aufgefixt werden. Einige Tage gut wässern, und die Spalten und Risse würden schon von allein dicht ziehen. Dann den Rumpf einmal durchschleifen und einige Büchsen Farbe drauf. Ein zartes, helles Lindgrün hatte ich ausgewählt. Sah toll aus, fand ich. Früher hatte das Boot mal einen Mast mit Segel gehabt, darum befand sich auch in der Bootsmitte der Schwertkasten, der nunmehr allerdings nur noch die Funktion eines Steh-im-Weg hatte. Er war von unten mit einem Blech verschlossen worden, da man im Zeitalter der Außenbordmotoren weder Mast noch Schwert benötigte. Gut, ich benötigte ihn jetzt auch nicht mehr, denn ich wollte mit dem Teil nicht segeln, sondern angeln. Also weg mit dem Störenfried. Ein Holzkeil verschloss den Spalt und ein wenig Teer und Werg dichteten alles gut ab.
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